Kunstausstellung:Die Kosmopolitin

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Ein Gemälde von 2010 von Etel Adnan: Ein Kreis rollt über eine Linie, oder ist es die Sonne am Horizont? (Foto: Studio Rémi Villaggi/Courtesy of the Estate Etel Adnan and Collection Mudam Luxembourg, Musée d'Art Moderne Grand-Duc Jean © VG Bild-Kunst, Bonn 2022)

Die Schriftstellerin und Malerin Etel Adnan erfand einst die abstrakte Kunst noch einmal neu - wiederentdeckt aber wurde sie erst im hohen Alter. Jetzt sind ihre Werke in München zu sehen.

Von Kia Vahland

Etel Adnans Kunst möchte überall zu Hause sein. Sie nährt sich von arabischen Ornamenten wie von amerikanischer Farbfeldmalerei, von asiatischen Leporellos wie von christlichen Ikonen. Sie ist anschlussfähig in Nord und Süd, im arabischen Raum wie im Westen und in Japan. Nach München aber, ins Lenbachhaus, gehören Adnans Werke unbedingt. Denn ihre verspielten, mit breitem Pinsel aufgetragenen windschiefen und sonnengegerbten Geometrien beerben Paul Klees und Wassily Kandinskys Bilderfindungen, die in dem städtischen Kunstmuseum hier hängen. Einige sind in der Schau auch zu sehen.

Porträt von Etel Adnan in der Türkei im Winter 1973/74. (Foto: Simone Fattal/Courtesy of the Estate Etel Adnan and Galerie Lelong & Co)

Der Vergleich zeigt auch die Unterschiede zu den Vorbildern. Die in Beirut aufgewachsene Tochter eines syrisch-griechischen Ehepaars lässt sich nicht, wie Klee auf seiner Tunisreise im Jahr 1914, vom Licht des Südens blenden. Es gehört einfach zu ihr, in ihr Denken und Fühlen. Viel Gelb und Orange ist zu sehen, insgesamt erscheinen die Farben hell, leuchtend und klar voneinander abgegrenzt. Auch vor Pastelltönen scheut Adnan nicht zurück. Und anders als Kandinsky schwelgt sie nicht in immer neuen Farbwirbeln auf einer einzigen Komposition. Dazu hat sie gar nicht den Platz: Adnans Gemälde sind zumeist nur handtaschengroß. Die Quadrate, Kreise, Hügel und Horizonte sortieren sich von Bild zu Bild immer wieder neu, geraten in Bewegung, sobald man die langen Reihen dieser Kleinformate abschreitet. Adnan schwelgt nicht im Formengewitter, sie konzentriert sich.

Gewaltige Malerei, triefend vor Künstler-Ego? Etel Adnan geht einen anderen Weg

An der Vorbereitung der Münchner Ausstellung, ihrer ersten großen Einzelschau in Deutschland, war Adnan noch beteiligt. Im vergangenen November starb sie dann mit 96 Jahren, ein Jahrzehnt nach ihrem internationalen Durchbruch auf der Documenta 13. Viel zu spät hat die breite Öffentlichkeit in Europa Etel Adnan damals außer als Autorin auch als Künstlerin entdeckt. Was auch damit zu tun hat, dass sie manche Klischees über abstrakte Kunst nicht erfüllt: Nicht gewaltig kommt ihre Malerei daher, nicht in großen Schwüngen, triefend vor Künstler-Ego. Im Gegensatz zu vielen Kollegen behauptet Adnan nicht einfach, die eigene Abstraktion sei eben eine universal verständliche Weltsprache. Als Kosmopolitin aus einer Migrantenfamilie denkt und empfindet sie wirklich in einer Reihe unterschiedlicher Sprachen und Kulturen zugleich, umkreist sie, mischt sie, entzieht sich ihnen wieder.

Dabei litt sie, die zuvorderst Schriftstellerin war, darunter, zwar mit dem Griechischen, Türkischen, Französischen und später dem Englischem bestens vertraut zu sein, es im Arabischen aber nicht bis zur anerkannten Dichterin gebracht zu haben. Also experimentierte sie visuell mit den Schriftzeichen, integrierte sie in Leporellos und Zeichnungen. Insbesondere während des Algerienkrieges fremdelte sie immer mehr mit der alten Kolonialmacht Frankreich und wollte seither dem Französischen entkommen. So einfach aber war das nicht, auf Französisch erschien auch die libanesische Zeitung, deren Kulturressort Adnan in Beirut vor Ausbruch des libanesischen Bürgerkrieges 1975 leitete.

Diese Abstraktion malte Etel Adnan um 1970. (Foto: Courtesy of the Estate Etel Adnan and LaM Lille métropole musée d'art moderne d'art contemporain et d'art brut Villeneuve-d'Ascq (France) © VG Bild-Kunst, Bonn 2022)

Die Kunst rettete sie vor all diesen Verstrickungen, auch vor denen innerhalb des arabischen Raums, dem sie sich zugehörig fühlte. Erst vor der Staffelei gewann Adnan Distanz zur Tagespolitik, wurde grundsätzlicher, suchte nach dem Wesen von Sonne, Mond und Bergen. Zur Entscheidung, die Schreibmaschine für die Palette immer öfter stehen zu lassen, dürfte eine Begegnung in Beirut beigetragen haben: Hier lernte Adnan die syrischstämmige Künstlerin Simone Fattal kennen und lieben, ihre Partnerschaft währte bis zu Adnans Tod.

Migration hieß für das Paar, sich immer wieder in Neues zu stürzen - anders vielleicht als für Adnans Eltern, die in Beirut noch lange dem heutigen Izmir nachtrauerten, aus dem sie nach dem Untergang des Osmanischen Reiches 1922 ausgereist waren. Die Tochter stürzte sich in Kalifornien in die tösende Jazzszene, machte dann aber den Mount Tamalpais zu einem schon fast mythischen Protagonisten ihrer Kunst. Und sie entwarf Teppiche, von denen viele aus finanziellen Gründen erst in ihren letzten Lebensjahren auch gewebt werden konnten.

Im Ergebnis musste Adnans künstlerisches Œuvre auf ein an den Avantgarden geschultem Publikum vertraut wirken und zugleich völlig unbekannt. Eine solche Irritation als etwas Bereicherndes zu erleben, das gelang der westlichen Kunstszene lange nicht. Heute - genauer: seit Okwui Enwezors international bestückter Documenta 11 im Jahr 2002 - ist das anders. Im Lenbachhaus denkt man: warum so spät?

Etel Adnan. Lenbachhaus München, bis 26. Februar 2022. Der Katalog (Hirmer) kostet 29.90 Euro.

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