Favoriten der Woche:Er hurt, frisst, trinkt und säuft

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Aber die Frauen lieben ihn: Brechts Baal, hier gespielt von Matthias Mosbach in der Inszenierung von Sebastian Sommer am Berliner Ensemble 2017. (Foto: Martin Müller/Imago)

100 Jahre ist es her, dass Brechts "Baal" zum Skandal - und umgehend abgesetzt wurde. Diese und weitere Empfehlungen der Woche aus dem SZ-Feuilleton.

Von Harald Eggebrecht, Stefan Fischer, Gerhard Matzig, David Steinitz und Egbert Tholl

Krimi: "Der böse Vater"

Christof Weigold: Der böse Vater. Kampa Verlag, 624 Seiten, 28 Euro. (Foto: Verlag)

Der erste entscheidende Hinweis in dieser Kriminalgeschichte kommt von keinem Geringeren als Charlie Chaplin. Im schicken Restaurant Musso & Frank auf dem Hollywood Boulevard, wo die Stars sich zum Lunch treffen und die Steaks in der Mitte des Lokals über dem offenen Feuer gegrillt werden, befragt der Privatdetektiv Hardy Engel den Filmstar. Und erfährt von einer Affäre und einem Schuss auf einer Yacht.

"Der böse Vater" (Kampa Verlag, 624 Seiten, 28 Euro) spielt im Los Angeles des Jahres 1929. Das Buch ist bereits der vierte Band der Hardy-Engel-Reihe, man kann es aber auch bestens ohne Vorkenntnisse lesen. Der Autor Christof Weigold hat in den Neunzigern unter anderem für die Harald-Schmidt-Show geschrieben, heute schreibt er Hollywoodkrimis. Eigentlich ist es natürlich strengstens verboten, auf den Spuren von Raymond Chandler zu wandeln. Aber Weigold hat einen guten Trick gefunden, sich und seinen Helden trotzdem ins goldene Zeitalter der amerikanischen Filmindustrie einzuschleusen: Hardy Engel ist ebenfalls Deutscher, ein Veteran des Ersten Weltkriegs, der als Glückssucher nach Kalifornien kommt. Mit der angestrebten Schauspielkarriere wird es nichts, dafür reüssiert er als Privatdetektiv.

Seine Fälle führen ihn in die Untiefen der Unterhaltungsbranche, den historischen Rahmen hat Weigold bestens recherchiert und webt ihn elegant in die Fälle ein. Diesmal steht Hollywood vor einer Revolution: Der Tonfilm löst den Stummfilm ab, und die neue Kunstform und ihre Anforderungen bereiten Charlie Chaplin deutlich größere Sorgen als der Schuss auf der Yacht.

Zum Figurenpersonal dieser Geschichte gehört aber vor allem auch eine deutsche Familie aus dem schwäbischsten Schwaben - aus Laupheim. Von dort ist einst Carl Laemmle in die USA emigriert, wo er mit seinen Universal Studios zu den Gründervätern Hollywoods wurde. Mit ihm ist der Detektiv Hardy Engel schon einmal aneinandergeraten, im ersten Fall, und die Laemmles machen ihm auch diesmal das Leben nicht leicht. Laemmles Sohn, Carl Junior, ist gerade dabei, den Bestseller der späten Zwanziger zu verfilmen. Dafür braucht er unbedingt den Rat eines deutschen Veteranen, der den Horror der Schützengräben erlebt hat. Der Titel des Romans, den er unbedingt auf die Leinwand bringen will: "Im Westen nichts Neues". David Steinitz

Hörspiel: "Krieg und Frieden"

Wieder zugänglich als ARD-Podcast: das zwölfstündige Hörspiel "Krieg und Frieden" von 1967. (Foto: ARD)

Geschichte wiederholt sich nicht. Zudem ist es bislang nur Schwarzmalerei, sich auszudenken, was mit Europa passieren könnte, sollte Russland den Ukrainekrieg gewinnen - etwa mit dem Baltikum, das Teil der EU ist, zu der wiederum Staaten mit prorussischen Regierungen gehören. Lernen lässt sich aus der Geschichte gleichwohl. Vor gut 200 Jahren hat im Zuge der Napoleonischen Kriege eine massive Neuordnung Europas stattgefunden. Die umfassendste künstlerische Auseinandersetzung dieser durch Kriege erzwungenen Umwälzungen ist - aus Perspektive der russischen Gesellschaft - Lew Tolstois Romanepos "Krieg und Frieden". Der Rundfunk der DDR hat ihn 1967 als rund zwölfstündiges Hörspiel inszeniert - immer noch nur ein Kondensat, aber ein doch in viele Winkel dieser Geschichte auskragendes. Dieses Hörspiel ist nun nach langer Zeit wieder zugänglich, als Podcast in der ARD Audiothek. Stefan Fischer

Klassik: "Zingarissimo"

Matthias Well, Maria Well, Vladislav Cojocaru: Zingarissimo. (Foto: GLM Music)

Violine, Violoncello, Akkordeon: Es klingt so frisch und ansteckend vergnügt, dass es eine Freude ist, wenn der Geiger Matthias Well, seine Schwester, die Cellistin Maria Well, und der Akkordeonist Vladislav Cojocaru Ungarische Tänzen nach Johannes Brahms spielen oder zigane Musik nach Roby Lakatos oder Grigoraș Dinicu oder "Schön Rosmarin" nach Fritz Kreisler. Was früher "Zigeunermusik" genannt wurde, entstammt dem ureigenen musikalischen Impetus der Roma und Sinti. Vladislav Cojocaru hat mit seinen Bearbeitungen für diese Instrumentenkombination nahezu immer die zündende Mischung gefunden. So fliegen die fetzigen Tänze mitreißend virtuos dahin, gelingen die elegisch langsamen Stücke ganz kitschfrei und entfalten ein feines, ja, nobles Sentiment. Harald Eggebrecht

Bauhaus-Weihnachtsschmuck

Die Re-Edition des "Bauhaus Weihnachtsschmucks", den vermutlich Johannes Gabriel entwarf. (Foto: IC Design)

Zur Gehirnwäsche, der Architekten im Namen der Moderne unterzogen werden, gehört die Schrift "Ornament und Verbrechen" von Adolf Loos. Außerdem der durch Ludwig Mies van der Rohe populär gewordene Satz "Weniger ist mehr" und Bruno Tauts Idee, den "Plunder" (alles, was schmückt) auf den "Müllhaufen" zu werfen. Letztlich hat all das eine Architektur hervorgebracht, die Tom Wolfe als "sinnliches Entzugskoma" im Bauhaus-Sinn verdammt. Vor diesem Hintergrund lässt sich Weihnachten als Rache an der Moderne begreifen. Weshalb die Re-Edition des "Bauhaus Weihnachtsschmucks" von IC Design aus der Schweiz eine besondere Pointe darstellt. Zur Feier des hundertsten Bauhaus-Jubiläums wurden die vermutlich von Johannes Gabriel Ende der Zwanzigerjahre entworfenen Weihnachtsornamente aufgelegt - im 12er-Set und im Stil des Triadischen Balletts von Oskar Schlemmer. Der sehr stolze Preis von 179 Franken für das im Schwarzwald handgedrechselte Christbaumkugel-Surrogat aus Ahorn und in Bauhaus-Farben beinhaltet die ultimative Weihnachtsdeko-Distinktion und die denkwürdige Paradoxie schmucklosen Schmucks. Gerhard Matzig

100. Geburtstag von Brechts "Baal"

Vor hundert Jahren kam Baal zur Welt und verschwand gleich wieder. Vorerst, aber nicht lange. Am 8. Dezember 1923 hatte Bertolt Brechts Stück "Baal" seine Uraufführung im Alten Theater Leipzig, am Tag danach ließ es der Leipziger Oberbürgermeister absetzen. Baal, der Asoziale in einer asozialen Gesellschaft, der frisst, hurt, lügt und säuft, Baal, der Viechskerl, dem auch noch die Herzen aller weiblichen Nebenfiguren zufliegen, war zu viel für die bürgerliche Gesellschaft. Bei der Premiere muss das Theater einem Tollhaus geglichen haben, Zuschauer riefen in die Aufführung hinein, dass man doch mal bitte das, was da oben gesagt wird, erklären solle. Was soll denn das heißen: "Als im weißen Mutterschoße aufwuchs Baal, war der Himmel schon so groß und still und fahl." Es gab Pfiffe und Buhrufe, freilich am Ende auch Applaus von den Vertretern der Avantgarde im Publikum.

Und da war ja auch noch dieser seltsame Schöpfer des Baals, dieser 25 Jahre junge Dichter, der bei den Proben sich ungefähr so aufgeführt haben soll wie seine Figur, der das Ensemble traktierte, streng roch, immer eine Zigarre zwischen den schon gelblich schimmernden Lippen hatte, schlampig gekleidet war und seine graue Unterhose sehen ließ. Doch Brecht ging es wie Baal, die Schauspieler und vor allem die Schauspielerinnen liebten ihn, die Kritiker nicht. Die taten das alles als pubertären Schmarrn ab. Ach, was waren das für herrliche Zeiten, als das Theater noch einen solchen Aufruhr verursachte, einen Aufruhr nur seiner selbst wegen, nicht etwa wegen politischer Entgleisungen - die einzige Möglichkeit, heute noch einen Skandal zu verursachen. Baal, unschwer als Selbstüberhöhung seines Erfinders erkennbar, war der Stachel im Fleisch einer Gesellschaft, die das Rohe und Raue im Menschen nicht wahrhaben wollte.

Viele Jahre später, 2015, gab es noch mal einen "Baal", der nach wenigen Aufführungen abgesetzt wurde. Doch diesmal lagen die Gründe anders. Frank Castorf hatte seine Inszenierung am Münchner Residenztheater, wie er es oft macht, mit reichlich Fremdtext angereichert, die Brecht-Erben waren erbost, die sechsstündige Gerichtsverhandlung darüber nahm selbst Züge einer absurden Posse an. Verloren hatte damals die Kunst, "Baal" nicht, der lebt weiter. Egbert Tholl

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