AfD-Wahlerfolg:Ein Abend "voller Freude und patriotischer Gedanken"

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Andreas Winhart (l.), parlamentarischer Geschäftsführer der AfD, und Spitzenkandidat Martin Böhm feiern bei der Wahlparty die erste Prognose. (Foto: Uwe Lein/dpa)

Die AfD erstarkt auch im Freistaat, viel mehr als erwartet. Die Sorge in der Partei, dass sie wegen Hubert Aiwanger als Konkurrenz weit hinter ihrem Bundestrend zurückbleiben dürfte, war offensichtlich unbegründet.

Von Johann Osel

Natürlich wussten sie bei der AfD, dass es ein starkes Ergebnis wird, weitaus besser als die zehn Prozent vor fünf Jahren. Aber wie stark, was ist wirklich drin? Wer sich dazu in den Tagen vor der Wahl bei Parteistrategen erkundigte, der bekam doch etwas Zurückhaltung zu hören. Einerseits hieß es, der beflügelnde Bundestrend der AfD, der Ampel-Frust und das Heizgesetz - "ein Geschenk für uns", auf dass viele Wähler ihre Rebellion maximal zum Ausdruck bringen mögen: mit Kreuzen bei der AfD. Dazu der neu entflammte Unmut über die Migration, "unser Kerngeschäft - großartig". Andererseits: So riesige Unzufriedenheit wie in Ostdeutschland gebe es in Bayern nicht, dazu kämen vor allem die Freien Wähler mit Hubert Aiwanger, der "unsere Sprüche klaut". 13 Prozent, hieß es noch im Laufe des Sonntags, wären "ein Traum".

Das war wohl zu tief gestapelt. Es ist Punkt 18 Uhr im Landtag, Fraktionsebene der AfD im Südbau, als Klarheit aufkommt. 16 Prozent steht da auf dem Bildschirm, in der Prognose des ZDF, knapp vor den Grünen, klar vor den Freien Wählern. Es gibt keine zentrale Wahlparty diesmal. Die Spitzenkandidaten Katrin Ebner-Steiner und Martin Böhm sind in den Landtag gekommen, die Landes- und Fraktionsführung - und sie alle umarmen sich jetzt, bilden ein großes Knäuel, unter dem Jubelklangteppich der Mitarbeiter und Gäste. Trotz der "Hetze" der Gegner, von Markus Söder und sogar vom Bundespräsidenten, sagt Ebner-Steiner, werden "unsere Erwartungen übertroffen". Die Bürger wollten "einen Wechsel, hin zu einer Politik für die eigene Bevölkerung". Co-Spitzenkandidat Böhm verspricht einen Abend "voller Freude und patriotischer Gedanken".

Am Ende der Wahlnacht werden es 14,6 Prozent sein, nicht mehr 16. Und dennoch ist das stattlich, das ist ein Erstarken der AfD auch im Freistaat, zweifellos. Im Laufe des Abends wurde auch entschieden, wer Oppositionsführerin wird im Landtag: Landet die AfD tatsächlich vor den Grünen? Danach sieht es nun aus. Das ist relevant beim Zugriff auf Ausschussvorsitze, für Rederechte im Parlament oder für den ersten Konter nach Regierungserklärungen des Ministerpräsidenten. Oppositionsführerin wird damit ausgerechnet eine Partei, die wegen Verdachts auf verfassungsfeindliche Bestrebungen immer stärker ins Visier des Verfassungsschutzes rückt.

Aiwanger, Aiwanger, Aiwanger - der Name war in der AfD in den vergangenen Wochen viel zu hören, fast schon als Obsession. Die Klage, bereits vor Aiwangers Affäre um ein antisemitisches Flugblatt zu dessen Schulzeit, lautete: Dass die AfD sich in den bundesweiten Umfragen inzwischen konstant auf mehr als 20 Prozent fest getackert hat, in Bayern dagegen mit Abstand zurückliegt, habe eben die FW als Grund, "ein Faktor, den es so nur in Bayern gibt". Mit seiner Rede auf der Erdinger Heiz-Demo, dass man sich "die Demokratie zurückholen" müsse, oder mit seiner These vom gesunden Menschenverstand, der durch linke Eliten überall ausgehebelt werde, gelte der Vize-Ministerpräsident vielen Menschen draußen als Opposition, als Protestmagnet quasi, als "AfD light". Das aber sei doch bitte schön die Rolle der Original-AfD.

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In der Flugblattaffäre hat man in der AfD dann Wellen der Solidarisierung mit Aiwanger in den eigenen Reihen gespürt. Und versuchte, mit Wucht gegenzusteuern. Auf dem Gillamoos vor einigen Wochen rief Ebner-Steiner den Anhängern die Warnung zu: Aiwanger spiele nur Opposition, er "hat die Aufgabe, kritische Stimmen ins System reinzuholen und dort zu neutralisieren". An den Wahlständen der AfD probierten sie, wenn die Sprache auf Aiwanger kam, diesen als Söders "Schoßhündchen" zu zeichnen, als "Fiffi", und als "Umfaller" - etwa bei den Corona-Maßnahmen, wo seine FW doch trotz öffentlichem Gepolter im Kabinett alles mitgetragen hätten. Das hat offenbar geklappt, so das Wahlergebnis auch im Laufe des Abends, ein absoluter Höhenflug der FW zulasten der AfD ist ausgeblieben.

Wobei eine Doppelstrategie im Wahlkampf der AfD erkennbar war: Radikalität und Camouflage. Den eigenen Anhängern musste man schon etwas bieten, gerade weil ja auch Söder und Aiwanger die Migrationsfrage forcierten und ebenso einen Kulturkampf gegen Grüne beschworen. Ebner-Steiner nannte auf dem Gillamoos die Bundesregierung "Pack" und "deutschlandfeindliche Tagediebe". Und "Asylforderer" kämen "nur zum Kassieren", müssten alle ausreisen.

In Fernsehformaten fürs breite Publikum gaben sich die Kandidaten dagegen eher zahm, über die durch Migranten "ausgeplünderten Sozialkassen" ging es kaum hinaus. Das passte wiederum zur "Normalisierungsstrategie", wie es ein AfD-Insider nennt - stets andockfähig für enttäuschte Wähler von CSU und FW zu bleiben. Und durch lokale Multiplikatoren, die sich in Vereinen, im Wirtshaus oder am Arbeitsplatz zur AfD bekennen, "zeigen, dass wir gar nicht so schlimm sind", wie der politische Gegner und Medien glauben machen wollten. "Ganz normale Leute." Auch das muss ausweislich der Resultate durchaus aufgegangen sein.

Am Montag geht es für die bayerischen AfD-Spitzenleute nach Berlin, zum Bundesvorstand. Vorsitzender Tino Chrupalla wird nicht dort sein, hört man; nach dem immer noch rätselhaften angeblichen Sicherheitsvorfall in Ingolstadt. So oder so, Ebner-Steiner und Böhm bringen ein Ergebnis mit, das sie mit Stolz präsentieren können. Am Sonntagabend ruft Böhm in München aber erst mal diesen Satz: "Holen wir uns die Demokratie zurück!"

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