Medikamentenmangel:Heiß auf den Fiebersaft

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Viele in Deutschland benötigten Arzneien werden nicht im Land produziert. (Foto: Christoph Hardt/imago images/Future Image)

Bei zahlreichen Arzneimitteln herrschen immer wieder Lieferengpässe, produziert wird fast ausschließlich in Asien. Die Regierungsfraktionen CSU und FW wollen das ändern und legen Ideen dazu vor.

Von Johann Osel, München

Wer darunter leidet, seien "mal wieder die Kleinsten in unserem Gesundheitssystem - die Patienten, die noch keine Tabletten schlucken können", sagte der Vorsitzende der bayerischen Kinder- und Jugendärzte (BVKJ), Dominik Ewald, vor einigen Wochen. Da hatte sein Verband Fiebersaft-Alarm geschlagen, konkret: Lieferengpässe für Fieber- und Schmerzsäfte mit Ibuprofen und Paracetamol. "Jetzt rächt sich die Produktionsverlagerung sogenannter unrentabler, aber für bestimmte Patientengruppen wichtiger Arzneimittelspezifikationen, ins außereuropäische Ausland", teilte Ewald mit: "Und jetzt werden auch noch die Zäpfchen knapp."

Vor allem Kleinkinder bekommen Säfte oder Zäpfchen statt Tabletten. Arzneimittel aus chinesischer Produktion hingen wegen des dortigen Lockdowns in den Häfen fest, ein Hersteller hat sich zudem vom Markt verabschiedet: zu aufwendig, zu wenig lukrativ. Dazu kam laut BVKJ erhöhte Nachfrage - wegen der Corona-Welle oder Ausbrüchen von Scharlach. Der Nachschub bei den Säften, heißt es nach wie vor aus der Apothekenbranche, "stockt oder ist sehr unregelmäßig".

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Lieferengpässe bei Medikamenten treiben viele Bürgerinnen und Bürger um - Berichte über zumindest vorübergehenden Mangel gibt es immer wieder: Antibiotika und Schmerzmittel, Blutdrucksenker, Schilddrüsenhormone, sogar gewisse Krebsmedikamente. Die bayerischen Regierungsfraktionen CSU und Freie Wähler machen sich nun für mehr pharmazeutische Forschung und Produktion hierzulande stark. "Deutschland war einmal die Apotheke der Welt", sagte der Pflegebeauftragte der Staatsregierung, Peter Bauer (FW), "von dem Zustand kommen wir." Er sei "kein Nostalgiker, aber wir müssen wieder Zugpferd werden".

Die Herstellung wichtiger Medikamente dürfe nicht ausschließlich in Drittländern stattfinden, forderte auch Bernhard Seidenath (CSU) am Montag bei der Vorstellung eines Antragspakets, das die Fraktionen nach der Sommerpause des Landtags einbringen wollen. "Wir müssen Produktion ins europäische Inland zurückholen." Zum Beispiel Antibiotika würden innerhalb Europas nur noch an einem Standort in Österreich hergestellt - alles andere komme aus China und Indien.

Laut einem der Anträge soll sich daher die Staatsregierung beim Bund gezielt für Investitionsförderung einsetzen - in Forschung und Entwicklung sowie für Produktionsanlagen; vermehrte Förderung über die Europäische Union gehöre ebenso dazu. Seidenath räumte auf Nachfrage ein, dass in dem Themenfeld die Gestaltungsmöglichkeiten des Landtags begrenzt seien. Als Landesgesundheitspolitiker habe man aber die Aufgabe, Sorgen der Bevölkerung aufzunehmen und etwa über den Bundesrat zu transportieren.

"Geiz ist geil" sei die falsche Devise, wenn es um die Versorgungssicherheit gehe

Einer der weiteren Anträge sieht vor, dass die gesetzlichen Krankenversicherungen beim Abschluss von Rabattverträgen heimische Produktion berücksichtigen sollen. Wunsch von CSU und FW ist es, dass Kassen die Verträge künftig mit mindestens drei Herstellern schließen müssen; europäische Hersteller sollen dabei das Prä erhalten, auch wenn dies mehr Geld koste. Tatsache sei, sagte Peter Bauer, dass das derzeitige Rabattsystem "durch den Kostendruck zu einer immer stärker werdenden Marktverengung" führe. "Geiz ist geil" sei aber die falsche Devise, wenn es um die Versorgungssicherheit gehe. Seidenath sagte, man wolle "kein Ende der Globalisierung im Arzneimittelbereich, aber eine Relativierung". Kritik übten beide Politiker am Bund. Dessen Entwurf für ein Gesetz zur Entlastung der Krankenversicherungen lasse die forschenden Pharmaunternehmen im Regen stehen.

Beate Merk (CSU) erinnerte an einen Engpass Anfang 2022 bei Tamoxifen. Es ist für die Versorgung von Patientinnen mit hormonell bedingtem Brustkrebs wichtig und sei phasenweise nicht erhältlich gewesen. "So mussten Ärzte auf Medikamente ausweichen, die für mehr Nebenwirkungen sorgen. Viele Betroffene haben die jahrelange Behandlung deshalb abrupt abgebrochen", so Merk. Dies dürfe auf keinen Fall erneut passieren. Der Bayerische Apothekerverband hatte damals die Situation ähnlich kommentiert: "Die Betroffenen haben Angst, und das ist mehr als verständlich."

Das Beispiel Tamoxifen verdeutliche "das generell bestehende Problem von Lieferengpässen", zu den vielfältigen Gründen zählten auch Fabrikunfälle oder Verunreinigungen: "Die Produktion der Wirkstoffe wurde aus Kostengründen zum größten Teil nach Fernost verlagert. Ein Lösungsansatz wäre, wichtige Wirkstoffe wieder innerhalb der EU zu produzieren. Und zwar unter hohen Umweltschutz- und Sozialstandards". Dafür, hieß es, müsse man aber Zeiträume von mehreren Jahren ansetzen.

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