Lieferengpass bei Medikamenten:"Ich empfinde diese Situation als Katastrophe"

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Schmerz- und Fiebersäfte für Kinder sind in den Apotheken derzeit kaum noch zu bekommen. (Foto: Friso Gentsch/dpa)

Schmerz- und Fiebersäfte für Kinder mit den Wirkstoffen Ibuprofen und Paracetamol sind derzeit kaum lieferbar. Freisings Apotheker und Apothekerinnen können verzweifelten Eltern oft nicht helfen.

Von Gudrun Regelein, Freising

Erst vor Kurzem haben wieder verzweifelte Eltern bei Ingrid Kaiser angerufen. Im Hintergrund habe sie gehört, dass ein Baby weint, erzählt sie. Kaiser ist Apothekensprecherin im Landkreis Freising und Inhaberin der Engel-Apotheke. Das Baby hatte Ohrenschmerzen, die Eltern waren auf der verzweifelten Suche nach einem Schmerzsaft. Auch Ingrid Kaiser konnte ihnen nicht helfen, denn: bei Schmerz- und Fiebersäften für Kinder - Medikamente mit den Wirkstoffen Paracetamol oder Ibuprofen - gibt es einen eklatanten Engpass. "Ich habe nichts mehr, es tat mir im Herzen weh, dass Baby so weinen zu hören", sagt Kaiser. "Eine dringend benötigte Medizin nicht abgeben zu können, bedeutet doch, dass etwas nicht mehr stimmt."

Engpass zeichnete sich ab

Der Engpass aber habe sich schon lange abgezeichnet, sagt Ingrid Kaiser. Schon Ende Mai, als sie an einem Sonntag Notdienst hatte, sei ihr das aufgefallen. Ein Kunde habe ein Rezept für einen Fiebersaft für sein Kind eingelöst. Als sie den Saft dann nachbestellen wollte, hieß es schon damals, das sei derzeit nicht möglich. Ein Problem sei das noch nicht gewesen, die Apotheken hatten Vorräte und immer wieder seien kleine Menge geliefert worden. Inzwischen aber sei das anders: Säfte mit den Wirkstoffen Ibuprofen oder Paracetamol können kaum mehr bestellt werden. "Und das, obwohl die Weltgesundheitsorganisation die beiden als unentbehrliche Arzneimittel deklariert hat", sagt Kaiser empört.

Die Erkältungswelle rollt. Im letzten Notdienst in der Freisinger Engel-Apotheke zumindest kamen sehr viele Patienten - vor allem Schnupfensprays und Schmerzmittel waren gefragt. (Foto: Marco Einfeldt)

Der Engpass aber betreffe natürlich nicht nur die Freisinger Apotheker, "das ist deutschlandweit so." Das Einzige, was sie momentan anbieten könne, seien Zäpfchen oder Tabletten, diese allerdings könnten erst ab einem bestimmten Alter verwendet werden. Zwar könnten Apotheker Säfte oder Zäpfchen auch selber herstellen, das sei die Kompetenz, "das haben wir gelernt." Aber auch hier gebe es einen Rohstoffmangel, sagt Kaiser. Vor vier Wochen bereits habe sie Ibuprofen bestellt, noch heute warte sie darauf. "Ich empfinde diese Situation als Katastrophe", sagt die Apothekerin.

Eine Erklärung für die Misere hat Kaiser: Früher habe es elf Anbieter für Paracetamol-Saft gegeben, inzwischen seien es nur noch zwei. Seit etwa acht Monaten aber liefere die Vertragsfirma den gesetzlichen Krankenkassen keinen Saft mehr. Die Gründe seien nicht bekannt, der Wirkstoff sei vorhanden, sagt Kaiser. Das bedeute, dass der Originalhersteller alleine die Versorgung bewältigen müsse. Bei der Firma handele es sich um ein Familienunternehmen mit etwa 100 Mitarbeitern, das in Deutschland produziere.

Zwar werde versucht, die immense Nachfrage durch Wochenend- und Nachtschichten zu decken - aber dafür könne nicht das notwendige Personal gefunden werden. "Mittlerweile gibt es auch Engpässe bei den Zäpfchen. Ich finde diese Situation erschreckend, wie sollen wir die kleinen Patienten mit Schmerzmittel versorgen?", sagt Kaiser. Ibuprofenprodukte für Kinder gebe es derzeit wegen Rohstoffmangels ja auch nicht.

Wenn dann aber wieder einmal eine kleine Menge Säfte geliefert werde, sei diese sofort weg. Panikkäufe könne sie nicht zulassen, es werde immer nur eine Packung abgegeben. Was sie besonders störe sei, dass die Pharmaindustrie nicht früher vor diesem Engpass gewarnt habe, kritisiert Kaiser. Sie hoffe auf eine Entspannung bis Herbst. Denn wenn in der Erkältungszeit Fieber- und Schmerzsäfte noch immer fehlen würden, "wird es zu einem richtigen Problem."

Auch in der Freisinger Hof Apotheke von Lisa Lettenmayer kennt man das Problem. (Foto: Marco Einfeldt)

Auch in der Hof-Apotheke in Freising gibt es momentan keine Säfte mehr mit dem Wirkstoff Ibuprofen oder Paracetamol. "Seit mehreren Wochen schon können wir gar nichts mehr bestellen", sagt Inhaberin Lisa Lettenmayer. Zäpfchen oder etwas niedriger dosierte Tabletten habe sie zwar noch in ihrer Apotheke, allerdings gebe es auch hier Probleme. "Vereinzelt kann ich schon jetzt nicht mehr beliebig nachbestellen." Ähnlich war es vor Kurzem mit Elektrolytlösungen gewesen, auch diese waren eine Zeitlang nicht mehr lieferbar.

In den Apotheken im Landkreis Erding ist die Situation genauso angespannt: Er könne den Eltern alternativ nur Zäpfchen oder Schmelztabletten mit den beiden Wirkstoffen anbieten - oder pflanzliche oder homöopathische Präparate, berichtet Bernd Grünberg, Inhaber der Apotheke im West Erding Park. Es seien derzeit aber nicht nur diese beiden Wirkstoffe nicht lieferbar, sondern sogar über 250, sagt er. Darunter beispielsweise auch Tamoxifen, ein hormoneller Wirkstoff, der bei der Therapie gegen Brustkrebs eingesetzt wird.

Enormer Kostendruck durch Krankenkassen

In der Park-Apotheke in Dorfen gehen die "kargen" Vorräte an Kindersäften mittlerweile auch zur Neige, berichtet Inhaber Jens Krautscheid. "Im Notfall werden wir dann Säfte aus Tabletten herstellen", sagt er. Aber auch das werde problematisch, denn die Rohsubstanzen seien kaum mehr verfügbar. Das eigentliche Problem sei, dass es nur wenige Länder gebe, die wie Deutschland nur so wenig für Arzneimittel bezahlen würden - "beziehungsweise bereit sind, dafür zu bezahlen". In Deutschland gebe es durch die Krankenkassen einen enormen Kostendruck, der natürlich Folgen habe. Die Produktion der meisten Arzneimittel sei inzwischen ins Ausland verlagert worden, schildert er. "Und ein Hersteller in China oder Indien liefert natürlich dorthin, wo mehr bezahlt wird."

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