Bayerns Wirtschaftsminister:Mundschutz? Maulkorb!

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Hubert Aiwanger stellt sich gerne als der Mann dar, der die Versorgung mit Masken sicherstellt. Was allerdings die Verteilung der Soforthilfen anbelangt, gibt es inzwischen deutliche Kritik. (Foto: Armin Weigel/dpa)

Hubert Aiwanger schießt in der Corona-Krise gerne quer. Von der CSU gab es deshalb nun eine Ansage. Die Frage ist: Warum macht er das?

Von Lisa Schnell, München

Es ist Dienstag. Bei der Pressekonferenz des Kabinetts steht Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger direkt neben Markus Söder. Aiwanger drückt den Rücken durch, zieht das Kinn nach oben. Den Abstand zum 1,94 Meter großen Söder will der etwas kürzer geratene Aiwanger offenbar nicht größer erscheinen lassen, als es die Natur vorgibt. Wer möchte, könnte in seiner Haltung eine gewisse Aufmüpfigkeit vermuten.

Und während Söder mal wieder vor zu schnellen Lockerungen in der Corona-Krise warnt, erinnert man sich an den lockeren Aiwanger der letzten Tage. Am Sonntag wollte er die Biergärten öffnen und zwar bald. Am Montag die Restaurants, vielleicht schon Mitte Mai. Und am Dienstag? Wann die Gastro wieder öffnen kann, wird Aiwanger gefragt - und sagt: "Das Datum können wir heute noch nicht nennen." Bitte was?

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Man weiß nicht genau wann oder wie, eines aber ist klar: Zwischen Montag und Dienstag muss Aiwanger eine derart deutliche Ansage erfahren haben, dass die Botschaft jetzt offenbar auch bei ihm angekommen ist: Umsicht! Vorsicht! Geduld! Das ist die Linie der Staatsregierung, jeder schien das kapiert zu haben, nur der stellvertretende Ministerpräsident nicht. Oder wie es ein CSU-Vorstandsmitglied sagt: "Obwohl Aiwanger zwei Meter neben Söder steht, hat er oft die längste Leitung." Bei den Freien Wählern sehen das manche freilich anders, aber dazu später.

Nun erstmal zu der Frage, warum es aus Sicht der CSU überhaupt eine Ansage brauchte. Ein stetig ansteigendes Grummeln über Aiwanger ist schon seit längerem zu vernehmen. Etwa als er Ende März vom Ende der Ausgangsbeschränkungen sprach, wo die doch gerade erst begonnen hatten und Söder täglich zur Geduld mahnte. Oder als er Anfang April dachte, es wäre eine gute Idee, zu einem Besuch im hochgeheimen, polizeiüberwachten Maskenlager des Freistaats ein Kamerateam mitzunehmen. Kaum etwas aber übertrifft die Aktionen der letzten Tage, die nicht nur in der CSU für Verwunderung gesorgt haben.

Die Eskalationsstufen im Schnelldurchlauf: Aiwanger verkündet zusammen mit Söder die Linie der Staatsregierung und stellt sie ein paar Tage später als Chef der Freien Wähler in Frage. Aiwanger schlägt eine Ersatz-Wiesn vor, nur ein paar Stunden, nachdem Söder das Oktoberfest abgesagt hatte - und zwar ersatzlos. Söder lobt in jeder Minute die Verdienste der Virologen, Aiwanger ärgert sich, dass sie jeden Tag anderer Meinung sind. Im Ergebnis holte er sich fast täglich eine Rüge von der CSU und die Zeitungen schrieben vom "Koalitionskrach". Einer aber blieb auffallend milde. Markus Söder soll in der CSU noch derjenige sein, der Aiwanger am meisten Verständnis entgegenbringt. Was zu der Frage führt: Warum macht Aiwanger das?

Wer ein wenig herumfragt, der hört oft von dem Druck, den ein Wirtschaftsminister von Gastronomie und Tourismusverbänden bekomme, aber auch immer wieder von einer Umfrage, die in Bayern als die wichtigste gilt. Der BR-Bayern-Trend Anfang April machte sehr deutlich, wer von der Corona-Krise profitiert: Söder, die CSU, Söder und Söder. Die FW dagegen verloren sogar leicht an Zustimmung. Aiwanger, offiziell die Nummer Zwei im Land, kam bei den Zufriedenheitswerten nur auf Platz drei. Den Wunsch, vom Scheinwerferlicht um Söder zumindest gestreift zu werden, können manche sogar in der CSU verstehen.

Die Frage ist nur, was all die Krawall-Schlagzeilen bringen. Söders Kurs unterstützten 94 Prozent der Bayern. Um wen also buhlt Aiwanger, die restlichen sechs Prozent? Streit wird gerade im konservativen Lager kaum goutiert. Nicht zuletzt deshalb war es Aiwanger selbst, der stets betonte wie einig das Bündnis von CSU und FW ist. Die letzten Tage müsste es wohl heißen: war. Dazu kommt, dass Aiwangers Vorstöße nicht nur in der Koalition für Unruhe sorgen, sondern auch in den eigenen Reihen, denn: Was er einreißt, müssen andere mühsam wieder aufbauen. Einerseits.

Andererseits: Hieß es nicht immer, die größte Gefahr für die FW ist es, dass es ihnen geht wie der FDP? Wer als kleiner Partner immer nur alles abnickt, läuft Gefahr vom Wähler als überflüssig empfunden zu werden. Oder wie es Fabian Mehring sagt, parlamentarischer Geschäftsführer der FW: "Wenn wir keine anderen Positionen hätten, dann bräuchte es uns nicht." Was andere Krach nennen, ist für ihn "das Ringen um die besten Ideen". Und zwar eines, in dem Aiwanger nicht selten als Sieger vom Platz ginge. Mehring sieht das so: Die FW fordern die Maskenpflicht, einen Tag später wird sie von Söder verkündet.

Aiwanger kriegt Ende März einen auf den Deckel, weil er sagt, Mitte April solle ein normales Wirtschaften wieder möglich sein, aber siehe da: Am 20. April öffnen die ersten Geschäfte. "Aiwanger setzt sich durch", die Überschrift fände Mehring auch mal angebracht, wenn schon immer von einem Konflikt die Rede sei. Wer ihm so zuhört, bekommt den Eindruck: Aiwanger kann es gar nicht richtig machen. Steht er einig hinter Söder, schreiben die Zeitungen "Söders Ministrant", zeigt er eigenes Profil, ist er "der Querulant".

Eine Möglichkeit zu glänzen allerdings gäbe es noch für Aiwanger: als Wirtschaftsminister. Viele loben seinen Tatendrang, wenige meinen, er setze ihn richtig ein. Wer an Aiwanger denkt, der denkt an Masken, an die unzähligen Stoffrollen, die er im Land verteilte. Der denkt auch an Schnaps, den Aiwanger zu Desinfektionsmittel machte und vielleicht noch an das "Recht auf Pieseln für Lkw-Fahrer". Über letzteres kann man nun Witze machen, genau wie über Aiwangers hemdsärmelige Art, es mit Vorschriften nicht so genau zu nehmen. Insgesamt aber ist Pragmatismus in der Krise nicht immer die schlechteste Eigenschaft. Wie sinnvoll die Aiwanger-Masken gerade am Anfang waren, kann man von vielen Landräten hören.

Nur: Aiwanger ist ja nicht Minister für Masken, sondern für die Wirtschaft. Die wichtigste Aufgabe eines Wirtschaftsministers in der Krise ist es, dafür zu sorgen, dass Unternehmen flüssig bleiben, kurz: Aiwanger muss Geld verteilen. Eigentlich nicht die schlechtesten Bedingungen für einen Minister, seine Beliebtheitswerte zu steigern. Vorausgesetzt natürlich, das Geld kommt an und zwar zügig, bei einer Soforthilfe am besten "sofort". Derzeit wurden von den fünf Milliarden Euro Soforthilfe laut Wirtschaftsministerium etwa eine Milliarde ausgezahlt. Dass es nicht mehr sind erklärt Aiwanger damit, dass gründlich geprüft werden müsse. Mittlerweile aber treibt ihn nicht nur Finanzminister Albert Füracker (CSU) mit deutlichen Worten zur Eile, sondern auch Bertram Brossardt.

Brossardt ist Geschäftsführer der Vereinigung der bayerischen Wirtschaft. Bis jetzt fiel seine Kritik eher verhalten aus, nun aber wird er deutlicher. Anlaufprobleme müsse man akzeptieren, sagt Brossardt, nur: "Beschlossen wurden die Soforthilfen Mitte März. Alles, was bis Mitte Mai nicht bewilligt wurde, ist keine Soforthilfe mehr. Deshalb muss der Antragsstau aufgelöst werden." Was er von Aiwanger hält? "Der Wirtschaftsminister ist sehr aktiv." Noch was? Nein. Und von Söder? "Strategisch klug, präzise, ein fester Anker für die Wirtschaft".

Man darf das eine klare Rollenverteilung nennen. Und damit zurück zu Dienstag und der neuen Einigkeit: Aiwanger erklärt gerade, wie gut er sich mit Söder verstehe, "bestens" nämlich, so gut, dass er ihn sich sogar als Kanzler wünsche. Eines aber müsse Aiwanger verstehen, wenn er nach Berlin ginge, nehme Aiwanger nicht automatisch seinen Platz ein, macht Söder einen Scherz. Und damit nebenbei klar, wer in Bayern die Nummer eins ist und wer nicht. Aiwanger scheint das genauso zu sehen. Diese Woche zumindest.

© SZ vom 02.05.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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