Corona-Krise in Bayern:Der Kaufrausch bleibt aus

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Zentimeterarbeit: Bayerische Geschäftsleute, wie hier in Regensburg, müssen nun auf korrekte Abstände achten. (Foto: Armin Weigel/dpa)

Seit einer Woche dürfen die meisten Läden in Bayern wieder öffnen. Viele Händler haben das herbeigesehnt - ausgestanden haben sie die Krise jedoch längst noch nicht.

Von Maximilian Gerl und Viktoria Spinrad, Regensburg/München

Samstag, kurz vor 18 Uhr in Regensburg. Für Mariola Fleischmann, 55, ist Schluss für heute, sie zieht einen Bücherständer zurück in die Dombuchhandlung "Bücher Pustet". Die Titel: "Das Glück der kleinen Gesten", "Krankheit als heilende Kraft", "Hexenkraut & Zauberpflanzen". Glück, Kraft und Zauberei, das sind keine schlechten Stichworte, wenn es um eine erste Bilanz für den Einzelhandel geht. "Wir haben weniger als halb so viel wie sonst eingenommen", sagt Fleischmann und zählt an den Fingern auf: keine Erstkommunion, keine Hochzeiten, keine Touristen. "Alles fällt weg. Es ist ein Rattenschwanz", sagt die Verkäuferin. Sie breitet die Arme aus, als hoffe sie auf Hilfe von oben.

Hilfe von oben, von unten, von irgendwo: Viele Einzelhändler warten darauf, seit sie wegen der Corona-Pandemie ihre Läden schließen mussten. Seit einer Woche dürfen kleinere Geschäfte wieder öffnen, unter Einschränkungen: nur ein Kunde auf 20 Quadratmeter, für alle Anwesenden gilt Maskenpflicht und der Abstand muss gewahrt werden. Einkaufen unter anderen Umständen, vor allem aber ist es Geschäfte machen unter anderen Umständen. Denn für den Handel ist die Krise trotz der Lockerungen längst nicht ausgestanden.

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Von Laura Kaufmann

Normalerweise gehören Samstage zu den umsatzstärkeren Tagen im Einzelhandel. Doch nicht nur im Buchladen von Mariola Fleischmann bleibt der große Kaufrausch diesmal aus. Zwar bilden sich vor einzelnen Geschäften längere Schlangen. Insgesamt ist die Stimmung aber verhalten. Gerade ältere Menschen sind in den Straßen und Läden Regensburgs kaum zu sehen. In München, schätzt der Handelsverband Bayern, waren 40 bis 50 Prozent weniger Menschen zum Einkaufen unterwegs als sonst. In anderen Innenstädten sei es ähnlich gewesen, sagt Verbandssprecher Bernd Ohlmann, allerdings auch wegen des schlechten Wetters. "Da hätten wir uns ein bisschen mehr Unterstützung vom Wettergott gewünscht."

Dabei hatten die Händler der Wiedereröffnung entgegengefiebert. Immerhin wäre jetzt Hochsaison. Eine Zeit, in der man das Finanzloch aus fünf Wochen Zwangspause stopfen könnte - schließlich hatten viele Händler zuletzt keine oder kaum Einnahmen, bei laufenden Kosten. Als die Nachricht kam, dass auch Geschäfte jenseits des täglichen Bedarfs wieder öffnen dürften, begann das große Rüsten: Zettel mit der maximal erlaubten Kundenzahl an der Tür, Desinfektionsmittel am Eingang, Abstandsaufkleber auf dem Boden gehören mittlerweile zum Standartinventar. Die in Supermärkten erprobten Maßnahmen sind Vorbild. Geschäftsinhaber erstellten "Schutz- und Hygienekonzepte", vorzuweisen bei Kontrollen. Bei Verstößen drohen 5000 Euro Bußgeld.

Doch statt Aufwind sehen Händler vor allem die Löcher in ihren Büchern. So auch Klaus Krönke. Der 37-jährige Filialleiter des ebenfalls am Regensburger Dom gelegenen Streetwear-Shops "Beatnuts" steht hinter der Theke und zeichnet eine Abwärtsspirale in die Luft. Zwischen fünf und zehn Prozent mache er mit Online-Handel, sagt er. Entsprechend groß ist das Minus: In den drei Filialen habe man 20 Prozent des Jahresumsatzes und damit einen sechsstelligen Betrag verloren. "Das ist, als würde das gesamte Weihnachtsgeschäft ausfallen", sagt er. Und schiebt hinterher: "Das holst du nicht auf."

Ein Satz, den auch Elena Lehneis ausspricht. Drei Gehminuten weiter liegt ihr Schuhladen. Die 44-Jährige zieht ein gemischtes Fazit. "Ich kann nicht meckern, es kommen sowieso immer weniger." Lehneis spricht aus langer Erfahrung in einer Branche, die schon vor der Corona-Krise unter erheblichem Druck stand, auch weil die günstigeren Preise der Onlineanbieter den kleinen Einzelhändlern das Geschäft vermiesen.

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Mariola Fleischmann, Verkäuferin im "Bücher Pustet" am Regensburger Dom.

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Klaus Krönke, Filialleiter der Regensburger Niederlassung der Street-, Skate- und Snowfashion-Kette "Beatnuts".

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Elena Lehneis, Inhaberin der Schuh-Boutique "Elly" in der Regensburger Innenstadt. Fotos: Viktoria Spinrad/oh

Vielerorts macht sich zudem bemerkbar, dass größere Geschäfte und Kaufhäuser wegen der Einschränkungen noch geschlossen haben. Sie ziehen in der Regel besonders viele Kunden an. Trotzdem lief für den Handelsverband der "Kaltstart" besser als erwartet: Niemand habe ja gewusst, inwiefern den Menschen überhaupt zum Einkaufen zumute sei, sagt Ohlmann. Und mit Maske einzukaufen, sei fast so beliebt wie Zahnschmerz.

Ähnlich äußert sich Thomas Schörg von der Industrie- und Handelskammer (IHK) Schwaben. Offenbar seien viele Kunden froh über eine "neue Normalität". Die Sorge, dass sie sich mit Einkäufen komplett zurückhalten könnten, habe sich nicht bewahrheitet - und das "trotz der Unsicherheiten, die sie selbst oft haben". Tatsächlich gibt es derzeit mehr Gründe, Geld zu sparen als es auszugeben. So drohen vielen Beschäftigten Kurzarbeit und teils empfindliche Lohnkürzungen, mitunter gar die Arbeitslosigkeit.

Vergangene Krisen haben gezeigt, dass es dauern kann, bis der Konsum wieder altes Niveau erreicht. Bis dahin werden wohl nicht alle Händler durchhalten. Außerdem klagen viele über weitere Probleme, sie warten zum Beispiel seit Wochen auf die sogenannte Soforthilfe, mit der Bund und Freistaat Betriebe vor der Pleite retten wollen. Klaus Krönke vom Street-Laden rechnet auch deshalb mit einer "Pleitewelle ab September". Er selbst hat Kurzarbeitergeld beantragt, vor Sommer erwartet er es nicht. "Keine Personalkosten und Miete zahlen zu müssen, hätte uns mehr geholfen."

Die Branche hofft nun auf weitere Lockerungen, etwa für Geschäfte mit mehr als 800 Quadratmetern Verkaufsfläche. Unter anderem aus Sicht der IHK Schwaben müssten die Maßnahmen aber diesmal - anders als zuletzt - bundesweit einheitlich umgesetzt werden, um "Wettbewerbsgleichheit" zu wahren.

Zurück im Buchladen. Mariola Fleischmann lässt den Blick über den Souvenirstand mit den Magneten wandern, vor dem sich sonst Touristen tummeln würden. Die Zwangspause hatten die Inhaber kreativ genutzt und Bücher per Kurierdienst verschickt. Nun sind alle Mitarbeiter in Kurzarbeit, die Öffnungszeiten wie vielerorts verkürzt. Kein schönes Geburtstagsgeschenk für ein Familienunternehmen, das in diesem Jahr sein 200-jähriges Bestehen feiert. Fleischmann steht da mit ihrer weißen Schutzmaske, zwischen Büchern, Desinfektionsgel und roten Warnschildern: zwei Meter Abstand, nur 13 Personen. Wie soll das alles gut ausgehen? Sie öffnet die Hände: "Wir können nur hoffen, dass die Kunden wiederkommen."

© SZ vom 05.05.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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