Sie trägt dieses Oberteil, knallrot, hochgeschlossen bis zum Kehlkopf. Wie am Tag zuvor, dasselbe Oberteil. Es ist Donnerstagnachmittag, und Melanie Huml (CSU) sieht aus, als hätte sie die Nacht in ihren Kleidern verbracht. "Wir haben die ganze Nacht durchgearbeitet", damit die Infizierten endlich erfahren, dass sie infiziert sind, sagt Huml. "Ich hätte mir die letzten 30 Stunden, 35 Stunden durchaus auch anders vorstellen können."
35 Stunden. Zuerst, Mittwochfrüh, hat Huml erfahren: 44 000 Reiserückkehrer, die sich an Autobahnen auf das Coronavirus testen ließen, haben ihr Ergebnis noch nicht bekommen. Davon sind etwa 900 infiziert, ohne es zu wissen. Dann, Mittwochabend, musste Huml die Panne ihres Gesundheitsministeriums der Öffentlichkeit beibringen. Donnerstagmittag, bietet sie Ministerpräsident Markus Söder (CSU) ihren Rücktritt an. Und jetzt, 15.30 Uhr, steht Huml neben Söder und sagt: "Ich bin sehr froh, dass ich das Vertrauen weiterhin habe."
Dass an ihrer Kompetenz gezweifelt wird, das ist Melanie Huml nicht neu. Hartnäckig hielt sich über Jahre das Gerücht, dass der damalige Ministerpräsident Günther Beckstein gar nicht so genau wusste, wen er sich da 2007 als Sozialstaatssekretärin ins Kabinett holte. Aber dass Huml mit 32 Jahren die jüngste Abgeordnete war, eine Frau und aus Oberfranken noch dazu, das soll ihn überzeugt haben. Dass sie approbierte Ärztin ist, diente erst später als Begründung.
Huml war 2013 auch die jüngste Ministerin, als sie Horst Seehofer als Chefin ins neu geschaffene Ressort Gesundheit und Pflege schickte. Und wieder, nach sechs Jahren im Kabinett, zweifelte noch der eine oder andere an ihrer Eignung. Weniger an der fachlichen als daran, dass sie sich würde durchsetzen können im Machtgefüge der Staatsregierung. An den Ränkespielen in der CSU hat sich Huml nie beteiligt, sie fiel weder durch übergroße eigene Ambitionen auf noch dadurch, dass sie Spekulationen über Nachfolgefragen oder andere Umstürzlereien befördert hätte - weder vor noch hinter den Kulissen. Dafür ist sie in der CSU und der Landtagsfraktion beliebt und hat es 2017 gar zur (einflusslosen) stellvertretenden Parteivorsitzenden gebracht.
Inzwischen gehört Melanie Huml mit erst 44 Jahren zu den Dienstältesten im Kabinett in der Ministerriege, nur Joachim Herrmann und Söder selbst sind länger dabei. Mit Söder arbeitet sie schon lange zusammen, als er Gesundheitsminister war, war Huml Staatssekretärin in seinem Haus. Damals wurde sie gelegentlich vorgeschickt, wenn es dem Minister zu wenig prestigeträchtig war. In der langen Diskussion um das Rauchverbot etwa. Da musste schon mal Huml - die Ärztin - in Vertretung des Ministers eine Lockerung des Rauchverbots verteidigen.
Nicht alle hatten erwartet, dass Huml die Testpanne übersteht
Als Gesundheitsministerin legte sie ein Programm auf, um mehr Ärzte aufs Land zu locken, außerdem setzte sie sich für kleine Krankenhäuser ein. In Erinnerung wird ihre Amtszeit aber vor allem als Corona-Zeit bleiben. Während andere wachsen in der Krise, gibt es an ihr nun wieder diese Zweifel. Nicht alle hatten erwartet, dass Huml die Testpanne übersteht. Den ganzen Donnerstag über wurde spekuliert, ob sie gehen muss. Muss sie nicht. Wie immer gibt es dafür mehrere Gründe. Sicher, Huml ist verantwortlich, aber viele Fehler, so sehen das manche, hat ein anderer gemacht.
Der Mann nämlich, der am Donnerstag wirklich gehen muss oder zumindest seinen bisherigen Job verliert: Andreas Zapf, der von der Spitze einer Behörde, dem Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL), ins Gesundheitsministerium wandern soll. Seine Behörde war es, die am Montag die Informationen liefern sollte, was denn schieflief an den Teststationen. Seine Behörde schaffte es nicht, das Ausmaß der Panne frühzeitig zu erfassen und zu benennen. Das ist der eine Grund.
Ein anderer ist wohl, dass man in einer der größten Gesundheitskrisen nur ungern einen neuen Gesundheitsminister in der Regierung sitzen hat, der sich erst einarbeiten muss. Und dann gibt es da noch eine Erklärung, die gar nicht so viel mit Huml oder Zapf zu tun hat, sondern mit Söder selbst. Bei all den Sorgen, die sich Söder nach der Panne sicher um die Menschen, das Land und die Gesundheit gemacht hat, dürfte er auch einen klitzekleinen Gedanken darauf verwendet haben, wie er selbst da wohl am besten wieder rauskommt.
Dass er, der sonst keine Kamera auslässt, nun, da die Nachrichten nicht allzu rosig sind, zunächst seine Ministerin vorschob, sah nicht allzu gut aus. Ihr durch einen Rücktritt die ganze Schuld zuzuschieben, hätte nach Bauernopfer ausgesehen. Nun aber ist Söder der mit dem "offenen Herzen", der sich in einer Krise bei Huml "unterhakt", so sagt er das jedenfalls. Und: "Ich wollte auf die Erfahrung und auch auf die psychische Stärke, und die hat die Melanie, auch nicht verzichten." Doch wer die Hauptschuld trägt, diese Frage ist auch geklärt. Weil Huml eben ihren Rücktritt anbot, angeblich sogar zweimal. Söder verpasst nicht, das mehrmals zu erwähnen.
Huml kommt aus Oberfranken, ihren Stimmkreis hat sie in Bamberg, bei ihrem ersten Einzug 2003 war sie noch über die Liste in den Landtag gewählt worden. In Bamberg hätten es zuletzt einige gern gesehen, wenn sie als Oberbürgermeisterin kandidiert hätte, um der dort arg darbenden CSU wenigstens eine Chance zu verschaffen, den amtierenden SPD-Oberbürgermeister Andreas Starke abzulösen. Ob Huml tatsächlich nicht wollte oder sich nur nicht schnell genug durchringen konnte, bevor ein anderer (am Ende völlig erfolgloser Kandidat) sich mehr oder weniger selbst nominierte, darüber gibt es verschiedene Deutungen.
Sie blieb also Ministerin, und sie bleibt es weiterhin. Wenn auch angeschlagen. Blickt man im Nachhinein auf diesen Donnerstag, wirkt es fast ein bisschen absurd: Selten stand Huml so schlecht da, selten bekam sie öffentlich so großen Zuspruch. Nachmittag, kurz vor vier, spricht ihr die CSU-Fraktion im Landtag ihr Vertrauen aus. Unermüdlich habe sie "sehr gute Arbeit" geleistet, sagt Fraktionschef Thomas Kreuzer. Und später sagt dann CSU-Generalsekretär Markus Blume: "Der Tüchtige macht auch Fehler." Huml habe in der Corona-Krise "in der Staatsregierung einen der schwierigsten Jobs". Dass Bayern insgesamt so gut durch die Krise komme, sei auch ihr Verdienst.
Klare Aussprache ist nicht ihre größte Stärke
Hörte man sich sonst so um, waren die Beschreibungen nicht immer ganz so euphorisch. Anfangs soll Söder doch recht verwundert gewesen sein, dass Huml sich auch in Krisenzeiten an die normalen Geschäftszeiten zu halten schien. Und fast immer, wenn Huml auf Pressekonferenzen neben ihm steht und spricht, sagt Söder danach Sätze wie diesen: "Wenn ich da noch was ergänzen könnte ..." Spricht Söder, schreiben die Journalisten mit, bei Huml eher weniger. Es verstärkte das Bild noch, dass sich Huml in der Corona-Anfangszeit auch mal mit einem anderen Minister das Mikrofon teilen musste, während Söder präsent in der Mitte stand.
Die klare Aussprache ist zudem nicht ihre größte Stärke. Auch den Corona-Krisenstab hätte man stringenter leiten können, hieß es, bis Huml ihn dann nicht mehr leitete. Ende März setzte ihr Söder einen neuen Amtschef vor die Nase, dazu einen Staatssekretär aus dem Innenministerium. An diesem Montag ernannte Söder dann Staatskanzleichef Florian Herrmann (CSU) zum "Corona-Koordinator". Und am Donnerstag gab er bekannt, dass sich in Zukunft nicht mehr Huml, sondern Innenminister Joachim Herrmann um die neuen Testzentren kümmern soll, die in jedem Landkreis entstehen sollen. Sicher alles Entscheidungen, für die es gute Gründe gibt, aber eben auch immer ein Signal, dass man Huml nicht allzu viel zutraut.
Niemand sei perfekt, nicht er selbst, nicht "die Melanie", sagt Söder noch, als er neben Huml steht. "Fehler passieren", dürften sich "aber nicht wiederholen". Wichtig sei jetzt, dass Huml "die nächsten Wochen und Monaten ihre Aufgabe mit großem Einsatz" versehe. Als Söder das sagt, dreht er den Kopf zu seiner Ministerin. Huml nickt.