Kunstskulptur aus Bayern:Blau wie der Himmel, schwer wie 14 Autos

Lesezeit: 4 min

Zehn Ketten, eine Umschlingung und dazwischen 24 Tonnen brasilianischer Stein. Dass Alicja Kwades Werk "Solid Sky" in New York hängt, ist auch Rosenheimer Kettenexperten und Nürnberger Gesteinsingenieuren zu verdanken. (Foto: Fred Charles/oh/Agentur BerlinRosen)

Die "Solid Sky" ist in jeder Hinsicht rekordverdächtig. Wie die Kugelskulptur der weltbekannten Künstlerin Alicja Kwade mit bayerischer Hilfe nach New York gelangte.

Von Clara Lipkowski, Nürnberg

Gregor Stolarski hat ständig mit Steinen zu tun, mit dem rötlichen Sandstein der alten Nürnberger Stadtmauer etwa. Manchmal auch mit Marmor, schimmernd, "weiß wie Zucker", sagt der Ingenieur. Er ist ein freundlicher Mensch und weiß, dass er schnell über die Komplexität allerlei Gesteinsschichten schwärmen kann, also greift er direkt zu anschaulichen Vergleichen. Immer wieder bekommt er als Sachverständiger der Landesgewerbeanstalt LGA Anfragen für Untersuchungen.

Jene aus Berlin vor etwa zwei Jahren aber klang ungewöhnlich: Brasilianischer, azurblauer Stein, einer der teuersten der Welt, sei auf dem Seeweg nach Europa. Rekordverdächtig auch Größe und Gewicht des Quaders, etwa vier Meter hoch, knapp 30 Tonnen schwer. Noch dazu habe man nur ein paar Monate, und die Pandemie gefährde den Zeitplan. Ob Stolarski den riesigen Würfel untersuchen würde? "Die Festigkeit", erzählt er in einem Videogespräch Ende Januar, "war komplett ungewiss."

Newsletter abonnieren
:Mei Bayern-Newsletter

Alles Wichtige zur Landespolitik und Geschichten aus dem Freistaat - direkt in Ihrem Postfach. Kostenlos anmelden.

Der Nürnberger ist unbestritten Experte auf seinem Gebiet. Mit internationalen Künstlerinnen, in diesem Fall dem Berliner Büro von Alicja Kwade, hat er aber seltener zu tun. Kwade ist unter den 100 Top-Künstlerinnen und -Künstlern der Welt gelistet, stellt in den USA aus, in Europa. Sie ist bekannt für Installationen und sehr teure, elegante Skulpturen, arbeitete schon zuvor mit schwergewichtigen Formen, mit Kupfer, Gold und Spiegeln.

Vor Stolarski hatte eine Ingenieurin den Auftrag abgelehnt, der Stein sei schlicht zu groß, um tief genug messen zu können. Aber wann, dachte er, bekommt man es schon mal mit einem so alten, quarzreichen Sandstein zu tun? 1,2 Milliarden Jahre alt ist der "Macaúbas Do Azul". Erstmals wurde ein so massiver Quader aus einem brasilianischen Steinbruch geschnitten. Er sagte zu.

In Brasilien geschnitten, in Polen geschliffen, in Bayern geprüft: Der azurblaue Quader ist da noch etwa 52 Tonnen schwer, später wird er zur 24-Tonnen-Kugel "Solid Sky". (Foto: LGA/oh)

Heute hängt das Werk, es hat den Transport von Brasilien über den Atlantik in eine polnische Werkstatt und wieder übers Meer nach New York unbeschadet überstanden. Als Kugel unter dem Titel "Solid Sky" hängt es seit Ende 2021 im Foyer eines luxuriösen Bürogebäudes in Manhattan. Riesig, glatt, glänzend, eindringlich blau - und so schwer wie etwa 14 Autos.

Der Nürnberger Gesteinsprüfer Gregor Stolarski bei der Arbeit. (Foto: LGA/oh)

Neben Stolarski in Nürnberg bekam in Rosenheim Ingenieur Roman Auer eine Anfrage. Wochenlang habe er daraufhin am PC "Maße und Gewichte berechnet und hin- und hergeschoben", dann folgten Tests mit seinem Team. Während die Nürnberger über die Beschaffenheit des Steins brüteten, waren die Rosenheimer für einen anderen entscheidenden Teil des Kunstwerks zuständig: die Aufhängung.

Beim Kettenhersteller "Ketten Wälder" in Rosenheim sind sie zwar spezialisiert auf genau das, Edelstahlstränge, etwa für die Nautik, für große Anker. Doch das Kunstwerk sprengte das übliche Portfolio: Um die geplante 24-Tonnen-Kugel halten zu können, brauchte es XXL-Ketten. "Das war die Herausforderung", sagt Auer, "die technischen Anforderungen mit den optischen Wünschen der Künstlerin zu vereinen."

Zehn Stränge fertigten sie und dazu eine "Umschlingung", auf der die Kugel liegt. Besonders tricky: Die Knotenpunkte zwischen Ketten und Umschlingung. "Da bündeln sich enorme Kräfte", sagt Auer am Telefon. Obwohl üblich wäre, sie mechanisch zu schweißen, schweißten sie von Hand, um auch hier bei der Optik sicherzugehen. Damit alles ein stimmiges Gesamtbild ergibt, sollten die Ketten spiegelnd sein, also polierten sie teils auch händisch.

Made in Rosenheim: Die Stahlkettenkonstruktion von Roman Auer (links) und seinem Team, vor dem Abtransport zur Kugel. (Foto: Firma Ketten Wälder/oh)

Umso beeindruckender sei es schließlich gewesen, Kugel, Ketten und die tatsächlichen Dimensionen bei der Probehängung zu sehen, sagt Auer. Nach ewigem Planen und Testen hatte alle Theorie ihren Weg in die Praxis gefunden.

Hält, was sie halten soll: Kwades Kugel, 24 Tonnen, in der von Auer mitproduzierten Kettenkonstruktion. (Foto: Firma Ketten Wälder/oh)

Und die lagerte da in einer Werkstatt zweier fränkisch-polnischer Steinmetzbrüder im schlesischen Ciasna. Mit ihnen hatte Kwade schon zuvor gearbeitet, und dort kreuzten sich letztlich auch die Wege von Stolarski aus Nürnberg und Auer aus Rosenheim - wenn auch zeitversetzt. Stolarski war zuvor zu Probenentnahmen angereist. Denn bevor die Rosenheimer die Ketten anlegen konnten, musste der Stein zur Kugel geschliffen werden. "Aber die Frage war", sagt Stolarski, "was passiert, wenn der Stein geschliffen wird? Zerfällt er uns auf der Drehbank oder hält die natürliche Kittung?"

Stolarski bohrte Proben aus dem Quader. Das, was später das Rund werden sollte, musste unversehrt bleiben, daran gebohrt werden durfte nur für die späteren Aufhängungspunkte. Wieder und wieder untersuchte Stolarski mit seinem Team in Nürnberg das Material, wo sie entsprechende Laborausstattungen haben. Sie versuchten, in das Innere des Steins zu blicken. Sie zogen mit Maschinen an den Proben, übten Druck auf sie aus, suchten nach Lufträumen und Schwachstellen in den uralten, filigranen Materialschichten. Nach ein paar Extraschichten hatten sie 95-prozentige Sicherheit - der Stein würde halten. Drei Monate später war der Würfel zur Kugel geschliffen. Und nichts war gebröckelt, nichts gebrochen.

Zur Jahreswende 2020/2021 ging der Stein wieder auf Reisen, diesmal zum Ziel nach New York. Gezittert hätten sie bis zuletzt, sagt Stolarski und grinst in die Kamera. Auf keinen Fall sollte die Kugel Kratzer bekommen, und dann gab es auch noch Winterstürme während der Überfahrt.

Angekettet geht es zum Verpacken und dann über den Atlantik nach New York: Später wird "Solid Sky" in ein Foyer gehängt. (Foto: LGA/oh)

Auf dreieinhalb Metern Höhe hängt die Kugel seither, und Lobeshymnen auf Kwades Coup ließen nicht lang auf sich warten. Warum aber nun gerade bayerische Expertise für das Projekt? Im Berliner Büro der Künstlerin erhält man zwar keine persönliche Auskunft von Kwade, bekommt aber zu hören, dass man die Offenheit der Hersteller in Bayern gegenüber Kunstprojekten schätze.

Ketten Wälder ist nach eigenen Angaben eine der wenigen Firmen, die derartige Projekte stemmen könne. Und der Nürnberger LGA, für die Stolarski arbeitet, ist offensichtlich ihr Ruf als eine der ältesten Ingenieureinrichtungen in Bayern vorausgeeilt. Ein Ruf, den man auch in New York verteidige, sagt Stolarski und grinst noch mal, bis hin zum dortigen Ingenieurbüro, dem er immer seine Berichte übermittelt habe.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusNürnberg
:"Das wird kein Flaggschiff wie die Elbphilharmonie"

Millionen von Euro hat die Stadt Nürnberg für die anfängliche Planung eines neuen Konzerthauses ausgegeben - um den Plan dann wieder zurückzuziehen. Ein Gespräch mit dem damaligen Sieger des Entwurfswettbewerbs Martin Rein-Cano.

Interview von Olaf Przybilla

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: