Unterstützung:Wie Bayern den Ukrainern helfen will

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In der Posthalle auf dem Gelände der ehemaligen US-Kaserne in Bamberg werden Hilfsgüter für die Ukraine gesammelt. (Foto: Stanislav Gorkurov-Parsa)

Im ganzen Freistaat ist die Hilfsbereitschaft für die Menschen in der Ukraine enorm. Hilfsgüter werden gesammelt, Transporte machen sich auf den Weg. Und viele Leute sind bereit, Flüchtlinge im eigenen Haus aufzunehmen.

Von Andreas Glas, Hubert Grundner, Sonja Hößl, Olaf Przybilla und Viktoria Spinrad, Bamberg/Augsburg/Regensburg

Saufen für den Frieden? So will Raphael Birnstiel das nicht verstanden wissen. "Aber du musst die Leute irgendwo abholen, damit es ihnen leicht fällt zu helfen", sagt er. Birnstiel ist Inhaber der Fußballkneipe "Olle Gaffel", eines von rund 40 Lokalen, die sich in Regensburg an einer Hilfsaktion für die Ukraine beteiligen. Die "Heimat" hat angefangen, Birnstein hat die Idee weitergetragen, inzwischen haben "Filmbühne", "Byrdcave" und andere den Moscow Mule von ihren Cocktail-Karten gestrichen. Stattdessen wird in Regensburg jetzt Kyjiw Mule getrunken, benannt nach der ukrainischen Hauptstadt Kiew. Das Rezept bleibt gleich, Wodka, Limette, Ginger Beer. Aber der Name ist anders. Und für jeden verkauften Kyjiw Mule spenden die Gastronomen einen Euro für die Ukraine.

Die Hilfsbereitschaft ist groß, nicht nur in Regensburg. Überall in Bayern gehen die Menschen auf die Straße, spenden oder bieten ihre Häuser den Flüchtlingen an, die sich aus der Ukraine auf den Weg in Richtung Westen machen, aus Furcht vor den russischen Angriffen. Man könne "nicht seriös abschätzen", wie viele Menschen kommen werden, heißt es aus dem Innenministerium, das alle Kommunen kontaktiert hat, um sich einen Überblick über mögliche Unterkünfte zu verschaffen. Am Mittwoch wird das Kabinett in einer Sondersitzung beraten, wie der Freistaat konkret helfen kann. Auch Städte und Landkreise bereiten sich längst vor.

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Gut gerüstet fühlt man sich etwa in Passau, wo 2015 und 2016 die Flüchtlinge zu Hunderttausenden ankamen, aus Syrien, Irak, Afghanistan. Wie damals soll ein erster Anlaufpunkt auch diesmal die Dreiländerhalle sein, wo der Politische Aschermittwoch der CSU stattgefunden hätte, hätte die Partei ihn nicht kriegsbedingt abgesagt. Auch die Stadt Augsburg kann auf die Netzwerke von 2015 zurückgreifen und hat einen Krisenstab eingerichtet. Man rechnet mit einer größeren Zahl an Flüchtlingen, "darauf wollen wir vorbereitet sein", sagt Oberbürgermeisterin Eva Weber (CSU). Ihre Stadt richtet gerade eine ukrainischsprachige Hotline ein, die Themenseite auf der städtischen Homepage wird übersetzt. Mit Unterstützung der Stadt haben der Ukrainische Verein und die Stadtsparkasse ein Spendenkonto eingerichtet. Bis zum Montagnachmittag waren schon mehr als 50 000 Euro eingegangen. "Das Beste, was man zum aktuellen Zeitpunkt tun kann, ist Geld zu spenden", sagt Weber.

Rund 170 Kilometer nördlich von Augsburg, in Bamberg, war der Kriegsbeginn am vergangenen Donnerstag ein Tag "in Schockstarre". Im Team der Bamberger Kurzfilmtage arbeiten auch Kollegen mit ukrainischen Wurzeln mit, dass man "in einer anderen Welt aufgewacht ist an diesem Morgen" werde da wohl noch mal realer, sagt die Festivalleiterin. Den Schock haben sie aber schnell überwunden. 24 Stunden später hat das Team angefangen, Hilfsgüter zu organisieren. 48 Stunden später saß Bambergs Zweiter Bürgermeister Jonas Glüsenkamp am Telefon des Teams und war mit einem dreistelligen Angebot an Hilfsangeboten konfrontiert. Und für Mitte der Woche hofft das Team, einen voll beladenen Zwölftonner auf den Weg schicken zu können.

Julia Salzmann und Mariya Zoryk (am Steuer) fahren Hilfsgüter für die Ukraine. (Foto: Julia Salzmann)

Das Büro des Festivalteams war schon wenige Stunden nach dem ersten Spendenaufruf zu klein für alle Güter. Also organisierte die Stadt eine leerstehende Halle auf einem ehemaligen Militärgelände, dort wurde am Wochenende alles eingerichtet und sortiert: Decken und Winterjacken, Müsliriegel und Konserven, Schlafsäcke und Isomatten, Medizin und Babybedarf. Zweieinhalb Tage nach dem Gefühl von "Schockstarre" machte sich der erste, von einer Brauerei zur Verfügung gestellte Kleintransporter auf den Weg, am Steuer die in der Ukraine geborene Mariya Zoryk, begleitet von Beifahrerin Julia Salzmann. In Breslau, auf der Hälfte der Strecke, helfen sie beim Aufbau eines Lagers, danach soll es noch weiter nach Lwiw gehen.

Bei Hilfsgüterlieferungen aber soll es nicht bleiben. Beim Festivalteam gehen nun ständig Angebote für Unterkünfte ein, Ferien-und Einliegerwohnungen, auch privater Wohnraum. Noch am Montagabend will Bürgermeister Glüsenkamp sämtliche Bamberger Initiativen miteinander vernetzen, an eine Bettenbörse ist gedacht, an geregelte Helferschichten und dauerhafte Spendenabgabestellen. Auch die städtische Wohnungsbaugesellschaft wird mit einbezogen, die kurzfristig Raum zur Verfügung stellt. Glüsenkamp ist begeistert von der Hilfsbereitschaft, aber er warnt auch. Auch 2015, zu Zeiten der sogenannten Flüchtlingskrise, sei diese riesig gewesen. Aber als das Thema dann nicht mehr als Topmeldung in den Medien war, hätten sich Helfer oft "alleingelassen" gefühlt von Land und Bund. Das dürfte sich jetzt nicht wiederholen, warnt er. In der Zentralen Aufnahmeeinrichtung in Bamberg ist währenddessen die erste Familie aus der Ukraine angekommen, zwei Erwachsene mit ihren zwei Kindern. Nach Angaben eines Regierungssprechers ist die Einrichtung derzeit mit 1186 Geflüchteten belegt, ausgerichtet ist sie für etwa 1500 Menschen.

Die Gästebetten im Haus der Familie Wunderlich stehen derweil leer. Noch. "Wenn Menschen auf der Flucht sind, muss man ihnen helfen, ganz einfach", sagt Jörg Wunderlich, der mit seiner Frau und seinen Kindern in Lappersdorf (Kreis Regensburg) lebt. Die Großeltern seiner Frau sind 1922 selbst geflüchtet, im russischen Bürgerkrieg. Nun hat die Familie über die Regensburger Hilfsorganisation Space Eye angeboten, etwa 70 Quadratmeter ihres Hauses für Flüchtlinge aus der Ukraine zur Verfügung zu stellen. Für Jörg Wunderlich ist das "etwas ganz Natürliches".

Tanja Hoggan-Kloubert ist im ukrainischen Czernowitz geboren, seit zehn Jahren lebt sie in Augsburg. Nun bangt sie um ihre Familie und Landsleute in der Heimat. (Foto: privat)

"Enorm" sei die Hilfsbereitschaft, sagt auch Tanja Hoggan-Kloubert, Helferin des Ukrainischen Vereins Augsburg. Fünf Lastwagen voll mit Schlafsäcken, Babynahrung, Hygieneprodukten und Medikamenten habe man schon an die ukrainische Grenze geschickt. Kurz dahinter, in der 260 000-Einwohner-Stadt Czernowitz, haben sich viele Flüchtende aus dem Land angesammelt, die Versorgungslage gilt als prekär. Hoggan-Kloubert hat gute Verbindungen vor Ort. Czernowitz ist ihre Heimatstadt. Ihre Eltern, Tanten, Cousinen, Nichten - sie alle harren weiter dort aus. Dennoch versucht sie, inmitten dieses persönlichen Dramas möglichst ruhig zu bleiben, so gut es eben geht. Zehn Binnenflüchtlinge hätten sie bereits unterbringen können, sagt sie. "Zum Glück ist es hier grad noch friedlich."

Im Kreis Traunstein stellt sich Landrat Siegfried Walch (CSU) darauf ein, binnen Stunden mehrere Hundert Menschen unterzubringen und zu versorgen, auch medizinisch. Das sagte er am Wochenende in einer Youtube-Botschaft. Hierfür sollen bestehende Flüchtlingsunterkünfte genutzt werden, die offenbar über freie Kapazitäten verfügen. Walch erwartet, dass hauptsächlich Frauen, Kinder und Senioren eintreffen werden - sie gut unterzubringen, "das ist jetzt unser Job", sagte der Landrat. Am Ostrand Bayerns, im Kreis Regen, berichtet Landrätin Rita Röhrl (SPD) über zahlreiche Anrufe von Privatleuten, die Ferienunterkünfte zur Verfügung stellen. Allein am Sonntag und am Montagvormittag haben sich laut Röhrl etwa 50 Personen gemeldet. Auch Angebote, Ukrainer im eigenen Haus aufzunehmen, gebe es. Das Landratsamt sammelt die Unterkunftsangebote und listet sie auf seiner Website. Je nachdem, wie sich die Lage in Regen entwickelt, soll es zudem eine Telefonhotline für die Vermittlung von Unterkünften geben. Die Vorbereitungen dazu laufen. Für die Koordinierung der Hilfen ist außerdem ein Krisenstab aus Feuerwehr, Technischem Hilfswerk und Landratsamt eigerichtet worden. "In der ersten Nacht geht es um eine sichere Unterkunft, aber am nächsten Tag haben die Menschen weitere Bedürfnisse", sagt Röhrl. Für Frauen mit Kindern etwa brauche es Handtücher, Betten, Babynahrung, "alles was bei einer Flucht nicht in den Koffer gepackt werden kann".

Das "Olle Gaffel" in Regensburg hat derweil schon einen ganz ordentlichen Spendenbetrag beisammen - und das, obwohl die Kneipe gar keine Cocktails anbietet. Allerdings: Statt des Kyjiw Mules steht nun ein "Odessa Ring" auf der Karte, ein Kölschkranz, für den jeweils gleich drei Euro an die Organisation Space Eye geht, die sich darum kümmert, dass das Geld in der Ukraine ankommt. "Man kann sich von Putin nicht auch noch die restliche Lebensfreude nehmen lassen", sagt Space-Eye-Sprecher Hans-Peter Buschheuer. "Wenn das Helfen Spaß macht, umso besser."

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