Dialekt und Tradition:Das Allgäu wird zu oberbayerisch

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Aus für Ripple, Küchle und Brettle und aus der Alpe wird die Alm. Im Allgäu nähert sich der Dialekt an Oberbayern an. (Foto: dpa)

Das findet zumindest der Sprachwissenschaftler Manfred Renn. Er beklagt, seine Allgäuer Landsleute opferten ihre Eigenheiten - auch aus Mangel an kollektivem Selbstbewusstsein.

Von Hans Kratzer, Füssen

Gerade weil er selber ein gebürtiger Allgäuer ist, tut sich der Germanist Manfred Renn zunehmend schwer, seine Landsleute zu verstehen. "Die Allgäuer orientieren sich viel zu sehr an Oberbayern", mosert er. "Zugleich grenzen sie sich gegen die Schwaben ab, zu deren Regierungsbezirk sie gehören." Als ihm neulich in München der Dialektpreis Bayern überreicht wurde, beklagte Renn diese Entwicklung mit scharf gewürzten Worten: "Den heutigen Allgäuern scheint das Fundament ihrer Identität, nämlich die stammesmäßige Herkunft und die Verwurzelung im schwäbisch-alemannischen Sprachraum, nicht mehr viel zu bedeuten!"

Wenn einer wie Renn so etwas behauptet, dann hat das Gewicht, hat er sich doch als Wissenschaftler lange mit den Mundarten und Eigenarten in Schwaben und im Allgäu beschäftigt. Renn führt diese Neigung nach Oberbayern vor allem auf mediale Einflüsse zurück. "Im Bayerischen Rundfunk ist ja dialektal meistens das Münchner Salonbairisch zu hören, daran orientiert man sich auch in Schwaben und im Allgäu. Es klingt ja sympathisch."

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Am Stammtisch in Füssen, sagt Renn, höre er häufig den Satz: "Unsern Dialekt, den kasch it höre!" Das heißt: Er klingt nicht gut, er tut den Ohren weh. Also muss die heimische Ausdrucksform weichen. Nach und nach werden laut Renn Wörter, Lautungen und grammatische Strukturen aus dem dominierenden und prestigeträchtigeren Fernsehbairisch übernommen.

"Oberbayern hat hier eine wahnsinnige folkloristische Anziehungskraft", hat auch Renns Kollege, der Augsburger Germanist Werner König, festgestellt. "Bei der sprachlichen Neuausrichtung tun sich vor allem die Gastronomen hervor", sagt Renn. Speise- und Getränkekarten würden im Allgäu wahllos mit Bavarismen wie Haferl, Stamperl, Pfandl, Brettl, Würstl und Fleischpflanzerl angereichert. Ausdrücke aus der heimischen Regionalsprache wie Brettle, Pfänn(d)le, Fleischküchle und Ripple gelten dagegen als minderwertiger. Und Berghütten, so Renn, firmierten nicht länger unter der heimischen Bezeichnung Alpe, man werte sie zu Almen auf. Die Kappeler Alm auf dem Weg zur Alpspitze bei Nesselwang trage noch eine Inschrift mit dem bodenständigen Namen Kappeler Alpe.

Wenn sich die Anpassung ans Bairische so weiter entwickle, gehe den Allgäuern allmählich ihr eigener Dialekt und damit ein Kernelement ihrer Eigenheit verloren, befürchtet Renn. "Man muss sich dann nicht wundern, wenn das Allgäu nur noch als westliches Anhängsel des oberbayerischen Alpenrandes wahrgenommen wird."

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Nachdem Schwaben vor gut 200 Jahren dem damaligen Königreich Bayern einverleibt worden war, waren die Schwaben und Allgäuer zunächst nicht erfreut über diese Zwangseingliederung. "Nun sind wir also baierisch, Gott gnade uns allen", soll ein Allgäuer Pfarrer von der Kanzel herabgerufen haben. Bis ins 20. Jahrhundert hinein fühlten sich viele Schwaben nicht gut aufgehoben in ihrer neuen weiß-blauen Heimat. Weil aber das bayerische Herrscherhaus mit neuen Schlössern im Allgäu kräftige Spuren setzte, goutierte die Bevölkerung dies mit einer großen Loyalität zu den Wittelsbachern, die freilich mit einer Distanzierung zu den Schwaben einherging.

Renn sieht hier den Grund für die gespaltene Identität der Allgäuer. Die Frage nach der landsmannschaftlichen Zugehörigkeit würde von einem Rosenheimer ohne Umschweife mit Bayer und von einem Bamberger ebenso eindeutig mit Franke beantwortet werden, sagt Renn. Ein bayerischer Allgäuer aber würde zunächst seine Zugehörigkeit zum Freistaat Bayern hervorheben, vermutet er. Allenfalls würde er sich mit einigem Stolz auf seine Allgäuer Identität berufen. "Zu seinem Schwabentum jedoch würde sich vermutlich kaum ein (Ost-)Allgäuer bekennen wollen", befürchtet Renn.

Als Folge des Mangels an kollektivem Selbstbewusstsein werde im Allgäu bereitwillig alles, was als bayerisches Brauchtum angesehen wird, imitiert. Gerade jenen, die lautstark eine Verpreußung, eine Amerikanisierung und andere Arten von Überfremdung beklagten, stemmten sich keineswegs gegen eine Verbaierung, sagt Renn. Miesbacher Tracht sei in Allgäuer Trachtenvereinen sehr beliebt. Und was im oberen Lechgau Volksmusikanten und Trachtler zum Besten geben, habe oft nicht viel mit alter heimischer Traditionspflege zu tun. Überboten werde dies allenfalls noch von so manchem Volkstheater, "wo sich Allgäuer Laienspieler ihre Schnäbel verrenken, um sich einigermaßen die fremde Komödienstadel-Sprache anzueignen".

Ungeachtet dessen fühlt sich der prosperierende Regierungsbezirk Schwaben in Bayern bestens aufgehoben. Während die Franken gerne in Sezessionsfantasien schwelgen, ist so etwas im Schwäbischen und im Allgäu undenkbar. "Nur, dass halt das Eigene dabei auf der Strecke bleibt, schade ist es trotzdem", bedauert Renn.

© SZ vom 09.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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