Hubert Aiwanger:Der Minister, der das eigene Klimaziel in Frage stellt

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"Wir sind keine Diktatur, wo wir sagen, ab morgen gibt's kein Fleisch mehr, kein Auto mehr und kein Haus mehr." Hubert Aiwanger hat das Ziel der bayerischen Staatsregierung, ab 2040 klimaneutral zu sein, in Frage gestellt. (Foto: Sven Hoppe/dpa)

Klimaneutral bis spätestens 2040? "Ob wir's erreichen, wissen wir nicht", sagt Bayerns Wirtschaftsminister Aiwanger - und relativiert damit Beschlüsse seiner Regierung. Über den schmerzhaften Spagat zwischen Populismus und Staatsernst.

Von Thomas Balbierer

Hubert Aiwanger hat am Mittwochabend in der Wahlarena des BR einen gelösten und durchaus munteren Auftritt hingelegt. In der Diskussion mit Bürgerinnen und Bürgern konnte der Freie-Wähler-Chef seine große Stärke ausspielen: Volksnähe. Er sprach über Lieblingsthemen wie das Jagen, seinen Wald und niedrigere Steuern für Rentner. Vom Studiopublikum gab es viel Applaus und Kopfnicken. Die Affäre um ein neonazistisches Flugblatt, für das Aiwanger als Gymnasiast bestraft worden ist, spielte kaum eine Rolle, im Gegenteil. "Sie sind ein anständiger, korrekter Bürger", gab ihm ein älterer Mann mit auf den Weg.

Aiwanger fühlt sich als Mann des Volkes, Stimmungen übernimmt er ungefiltert in seinen Wahlkampf. Das kann klingen wie auf der Heizungsdemo in Erding, wo er die Bundesregierung in Berlin wüst beschimpfte: "Ihr habt's wohl den Arsch offen da oben." Offenbar in der Annahme, die "schweigende große Mehrheit" im Rücken zu haben, nimmt der Minister keine Rücksicht auf politische Spielregeln. Gerade das scheint vielen Leuten zu gefallen. In Umfragen ist Aiwangers Partei zwar weit von einer Mehrheit entfernt, steht aber trotzdem gut da: mal bei 14, mal bei 17 Prozent.

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Politikwissenschaftler attestieren Bayern kurz vor der Landtagswahl allerdings ein Populismus-Problem. "Söder wird populistischer, Aiwanger wird ohnehin populistischer - die werden lauter, polarisierender", sagte der Bamberger Kommunikationsforscher Olaf Hoffjann der dpa. Er stellte fest, dass Aiwanger "den politischen Diskurs vergiftet, aber es scheint ihm zu gelingen, dass die AfD nicht so groß wird". Das Problem des Populismus ist jedoch, dass die scheinbar einfachen Lösungen häufig im Widerspruch zur politischen Realität stehen. Man muss sich für eines entscheiden. AfD-Politikern ohne Regierungsverantwortung fällt diese Entscheidung leicht.

Für einen Vize-Ministerpräsidenten ist es eine Gratwanderung, das wurde bei Aiwangers Wahlarena-Auftritt deutlich. Ein Studiogast fragte ihn, wie Bayern seine Klimaziele erreichen will. Mit dem Klimaschutzgesetz hat sich die Staatsregierung aus CSU und Freien Wählern dazu verpflichtet, den Freistaat "spätestens bis zum Jahr 2040" klimaneutral zu machen. Laut Experten und dem Klimabericht der Staatsregierung sinken die CO₂-Emissionen aber längst nicht schnell genug.

"Das ist genau so, wie wenn ich sage: Ich will nächstes Jahr Tabellenführer im Fußball werden"

Aiwanger antwortete, dass man das Ziel zwar weiter anstrebe. "Ob wir's erreichen, wissen wir nicht." Das im Gesetz festgeschriebene Datum relativierte der Staatsminister mit einem Sportvergleich: "Das ist genau so, wie wenn ich sage: Ich will nächstes Jahr Tabellenführer im Fußball werden."

Man sei beim Klimaschutz vorangekommen, betonte der Freie-Wähler-Chef und verwies zum Beispiel auf die Lockerung der 10-H-Abstandsregel für Windräder. Aber man dürfe Industrie und Menschen nicht überfordern. "Wir sind keine Diktatur, wo wir sagen, ab morgen gibt's kein Fleisch mehr, kein Auto mehr und kein Haus mehr - dann habe ich's durchgesetzt in fünf Jahren."

Ein Minister, der seine eigenen Gesetze nicht ernst nimmt? Denn wenn Aiwanger das Ziel der Klimaneutralität in Zweifel zieht, spricht da nicht nur ein Wahlkämpfer. Es spricht außerdem der Vize-Ministerpräsident des Freistaats Bayern, der zuständige Wirtschafts- und Energieminister sowie der Chef einer Partei, die in Bayern den Umweltminister stellt.

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"Wirtschaftsminister Aiwanger ist als Klimazweifler der Bremsklotz in der Klimapolitik", kritisiert Katharina Schulze, die Spitzenkandidatin der Grünen. "Ich erwarte von Ministerpräsident Söder eine klare Aussage, ob er den Klimaschutz in Bayern ernst nimmt. Denn mit den Freien Wählern ist hier kein Staat zu machen." Der Klimaschutz müsse zur Priorität der nächsten Regierung werden.

Wissenschaftler weisen immer drängender darauf hin, dass die Zeit für wirksame Maßnahmen verrinnt. Bayern leidet bereits spürbar unter dem Klimawandel, die Extremwetter im August waren nur die augenscheinlichsten Folgen. Der Temperaturanstieg trifft Bayern überproportional, es wird heißer, unweigerlich. Die Frage ist nur, wie schlimm es kommt.

Ausgerechnet bei diesem Thema lotet Hubert Aiwanger nun aus, ob er sich vom Beschluss der Klimaneutralität 2040 lösen kann. Und es stimmt ja, dass viele Menschen sich nach Corona-Krise, Ukraine-Krieg und Inflation eine Pause von Krisen erhoffen. Nur lässt sich der Klimawandel nicht wegwünschen. Stattdessen stehen die Regierungen in Bund und Land vor der schwierigen Herausforderung, eine wirksame Klimapolitik zu entwickeln - für die sie auch um Unterstützung der Bevölkerung werben müssen. Einfache Lösungen gibt es da kaum: Der grüne Wasserstoff, den Aiwanger in der BR-Sendung abermals als Lösung präsentierte, ist ohne Öko-Strom nicht zu produzieren. Wenn überhaupt wird er erst in Jahren in großen Mengen verfügbar sein.

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