Rupert Stadler war schon immer der beste Verkäufer seiner Marke: "Wir machen das Elektroauto zum Must-have des kommenden Jahrzehnts", kündigte der Audi-Chef jüngst an. Die Öko-Kiste sexy zu machen - das hat bisher nur Tesla geschafft. Nach der Flut von Vorbestellungen für das Model 3 schaut die Branche gebannt nach Kalifornien. Im Sommer läuft die Produktion des Kompaktmodells an. Nächstes Jahr soll das Werk Fremont eine halbe Million Fahrzeuge ausspucken. Was durchaus sportlich ist, denn neue Tesla-Modelle fallen bisher als Mängel-Riesen auf. Wenn die Qualität nicht stimmt, wird die Verfünffachung der Produktion Geld im großen Stil verbrennen. Ob die Investoren Tesla dann noch als das wertvollste US-Automobilunternehmen bewerten?
"Niemand verdient heute mit Elektrofahrzeugen Geld", sagt Thomas Weber mit einem Seitenhieb auf Tesla: "Schon gar nicht der Hersteller, der uns immer als leuchtendes Vorbild genannt wird", so der frühere Mercedes-Entwicklungsvorstand. Auch General Motors (GM) ergeht es nicht besser. Insider berichten, dass der Chevrolet Bolt vor allem wegen der kalifornischen Umwelt-Credits gebaut wird, die es für emissionsfreie Fahrzeuge gibt. Nach dem Opel-Verkauf haben es die Amerikaner nicht eilig, den fast baugleichen Ampera-e in den europäischen Markt zu drücken. Während die ersten Fahrzeuge in Norwegen ausgeliefert werden, müssen deutsche Kunden bis Ende 2018 darauf warten.
Elektroautos:Flächendeckend E-Autos? 2025 vielleicht
Kaum einer kauft Elektromobile, die Kanzlerin kassiert das offizielle Eine-Million-Ziel ein. Auch die Autoindustrie zögert - und schiebt den Kunden die Verantwortung zu.
Elektromobilität sei kein Sprint, sondern ein Marathon, versucht der Verband der Deutschen Automobilindustrie zu beruhigen. Was er nicht sagt: Dass die hiesigen Hersteller noch immer nach einer Antwort auf Tesla suchen. Mittlerweile setzt sich die Erkenntnis durch, dass das agile Start-up im Technologiewettlauf nicht so schnell zu schlagen ist.
Audi, BMW und Mercedes besinnen sich im Prestigekampf daher auf traditionelle Tugenden: Baukästen mit hohen Stückzahlen und vielen Gleichteilen unter den diversen Hüten. Im Handumdrehen lässt sich so ein Elektro-Lego allerdings nicht in den weltweiten Produktionsnetzwerken umsetzen. Jedenfalls nicht in der kurzen Zeit, die Tesla auf dem Weg zum hochfrequenten Vollwerk braucht. Auch deshalb steht Rupert Stadler spürbar unter Rechtfertigungsdruck: "Wir meinen es ernst mit dem Ziel Zero Emission. Mitte des nächsten Jahrzehnts ist jeder dritte ausgelieferte Audi teil- beziehungsweise rein-elektrisch", versprach der Audi-Chef vorige Woche auf der Jahrespressekonferenz in Ingolstadt.
Die Zeit der Technologie-Leuchttürme ist bei BMW vorbei
Konkret soll nach dem Crossover-Modell e-tron ( 2018) der e-tron Sportback mit Coupé-artig abfallender Dachlinie folgen (2019). "Im Jahr darauf, 2020, bieten wir auch im Kompaktsegment ein Premium-Elektroauto an. Es basiert auf dem Modularen Elektrifizierungsbaukasten des VW-Konzerns." Was Stadler als "Zeitenwende" ankündigt, beruht auf einer simplen Einsicht: Die Masse macht's. Nachdem die größeren e-trons mit einer exklusiven Plattform und kleinen Stückzahlen lediglich die Nummer der unrentablen Elektrofahrzeuge weiter erhöhen dürften, steuert Audis kleiner Teslafighter zurück in den modularen Mainstream.
"Jetzt kommen wir von der Singularität zur Normalität", bekennt auch BMW-Produktionsvorstand Oliver Zipse. Die Zeit der Technologie-Leuchttürme und Manufaktur-Prozesse ist bei BMW vorbei. Der iNext wird ab 2021 nicht mit den bisherigen i-Stromern in der Karbonfabrik Leipzig vom Band laufen. Stattdessen muss er sich in die Dingolfinger Großserien-Strukturen des BMW 5er und 7er einfügen. "Wir werden nur einen flexiblen Karosseriebau benötigen, der elektrische und Verbrenner-Varianten herstellen kann", sagt Zipse.
Niemand weiß, wie hoch der Elektro-Anteil 2025 wirklich sein wird
Das ist tatsächlich eine Zeitenwende: In der nächsten Dekade werden Elektroantriebe zu einer Variante von vielen. Selbst Kernbaureihen wie BMW 3er und BMW 5er lassen sich dank neuer Fahrwerksbaukästen mit Batteriepaketen für 500 Kilometer Reichweite ausstatten. Mit allen Vorteilen der Großserienproduktion, die Tesla erst einmal realisieren muss.
Was der BMW-Produktionsvorstand als "einzigartige Flexibilität in der Planung" und optimale Kostenstrukturen feiert, ist der schieren Not geschuldet: Niemand weiß, wie hoch der Anteil von Elektroautos 2025 wirklich sein wird: Ein Drittel, wie Rupert Stadler zu wissen meint, oder doch nur die Hälfte dessen? Der Unterschied könnte den Ausschlag zwischen schwarzen oder roten Zahlen geben.
Vieles hängt nicht von der Technik, sondern von der Politik ab. Deshalb bleibt BMW auch der aufwendigen Achtgangautomatik treu - obwohl Plug-in-Hybride mit der Hälfte der Gangstufen auskämen. "Die Erfahrung zeigt, das gerade bei der Elektromobilität die Prognosen entweder zu klein oder zu groß sind", weiß Bernd Stockmann, Leiter der Getriebe-Division des Zulieferers ZF: Deshalb scheuten viele Autohersteller das Risiko einer kompletten Getriebe-Neuentwicklung. Bei einem Jahresvolumen von etwa drei Millionen Stück sei die Achtgangautomatik in jedem Fall billiger. Zumal sie alle Elektrifizierungsstufen vom Mild-Hybrid mit 48-Volt und 15 kW bis zum Hochleistungs-Plug-in mit 120 kW elektrischer Leistung integrieren kann.
Der Hype um das Tesla Model 3 zeigt vor allem eines: Viele Kunden wollen ein bezahlbares Erstauto mit sauberem Antrieb. "Je näher ein Elektroauto einem konventionellen Verbrenner kommt, desto schneller steigt die Nachfrage", bestätigt Mercedes-Entwicklungsvorstand Ola Källenius, "wir glauben, dass nach 2019 eine sehr viel größere Nachfrage kommen wird." Wie die Münchner erwarten auch die Stuttgarter einen Elektroanteil im Jahr 2025 zwischen 15 und 25 Prozent. "Aber wir können es nicht exakt wissen, deshalb müssen wir in unserem Produktionsnetzwerk zwischen den Antriebsformen atmen können."
Der Elektroantrieb entwickelt sich zum Allerweltsantrieb
Bis 2022 sollen mehr als zehn alternative Mercedes- und Smart-Modelle in Serie gehen. Zehn Milliarden Euro fließen in die Elektroflotte. Trotzdem setzt Daimler nicht alles auf eine Karte. Im weltweiten Werksverbund sollen alte und neue Antriebsformen nebeneinander gebaut werden. Dadurch bleibt das Risiko gering, sich im Zukunfts-Poker zu verzocken.
Bisher werden Elektroantriebe mit Submarken und Designextravaganzen verkauft, künftig entwickeln sie sich zum Allerweltsantrieb. Bis dahin sind aber noch einige Batteriethemen zu klären: Im sächsischen Kamenz haben Bundeskanzlerin Angela Merkel und Daimler-Boss Dieter Zetsche gerade den Grundstein für ein neues Batteriewerk gelegt. Mit Investitionen von rund 500 Millionen Euro soll eine der modernsten Batterieproduktionen der Welt entstehen.
"Warum wir jetzt voll in die E-Mobilität einsteigen? Weil die Batterietechnologie einen Stand erreicht hat, der vor wenigen Jahren schwer vorstellbar war", sagte Dieter Zetsche, "jetzt haben wir die technischen Voraussetzungen, Elektroautos zu entwickeln, die dem Verbrenner in puncto Reichweite kaum noch unterlegen und in puncto Fahrspaß teilweise sogar überlegen sind." Was Zetsche als "fundamentale Transformation" bezeichnet, ist in Details aber weiter offen. Deshalb stellt Daimler in Kamenz keine eigenen Zellen mehr her, sondern baut die zugelieferten Energiespeicher lediglich zusammen.
Das Thema Sicherheit wird noch wichtiger
Unklar bleibt, welches Zellformat in Kombination mit welcher Chemie sich durchsetzen wird. Panasonic baut für Tesla althergebrachte Rundzellen, will durch ein größeres Format aber 30 Prozent der Kosten sparen. GM setzt hingegen auf Pouch-Zellen, die wie eine Tüte Gummibärchen aussehen. Die Wabbeldinger brauchen weniger Platz als die aufwendig gepanzerten, alten Rundzellen, die leichter durchbrennen. Beim Schnellladen heizen sich Pouch-Zellen jedoch stärker auf, weil sie sich ohne Stahlpanzer schlechter kühlen lassen. Der Ampera-e beschränkt die Ladeleistung deshalb auf 50 Kilowatt. Das Schnelladen dauert mehr als doppelt so lange als bei den Tesla-Modellen.
"Wir wissen, dass das Thema Sicherheit durch steigende Energiedichten und neue Materialien noch wichtiger wird", sagt Stefan Juraschek. Er leitet die Entwicklung Elektroantriebe bei BMW und schwört auf prismatische Zellen in der Größe eines Autoradios. Nicht nur, weil sie am meisten Sicherheit böten, sondern auch weil sie sich gut schnellladen (kühlen) lassen. Ein schlagendes Argument für größere E-Mobile: Audi, BMW, Mercedes und andere haben eine Kooperation zum Super-Schnellladen mit bis zu 400 kW gegründet. Da glüht zwar der Stecker (wenn er nicht gekühlt wird), aber eine Kaffeepause reicht tatsächlich, um 80 Prozent der Batteriekapazität nachzuladen. Spät, aber nicht zu spät soll Tesla doch noch überholt werden.