Psychologie:Was ihr so denkt? Egal!

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Die Positionen Andersdenkender zutreffend zu beschreiben, schaffen nur die, die nicht allein auf Streit aus sind. (Foto: Fabian Sommer/dpa)

Die Positionen politischer Gegner korrekt zusammenzufassen, fordert die meisten Menschen enorm heraus. Dabei gilt: Je abschätziger der Blick auf die Gegenseite, desto abenteuerlicher fallen die Behauptungen über deren vermeintliche Meinungen aus.

Von Sebastian Herrmann

Wer wichtige Dinge grundsätzlich anders sieht, der kann kein guter Mensch sein. So nackt aufgeschrieben wirkt dieser Satz arg zugespitzt. Und doch beschreibt er die gegenwärtigen Schlammschlachten und Giftspritzereien ganz gut, die oft als "Debatte um" verniedlicht werden. Frustrierend häufig bewerfen Anhänger gegensätzlicher politischer Lager - von Aktivisten bis Publizisten - einander mit Beleidigungen, statt Argumente auszutauschen. Die mit den anderen Meinungen? Moralisch verderbt, dumm, böse, intolerant oder irgendwas mit dem Suffix -phob!

Kurze Zwischenfrage: Wissen die Brüllaffen überhaupt, welche Positionen sie tatsächlich bekämpfen oder handelt es sich mehr um Schattenboxen mit imaginierten Geistern?

Wirkliche, also konstruktive Debatten seien nur möglich, wenn die Beteiligten die Position der jeweiligen Gegenseite tatsächlich kennen, argumentieren Psychologen um Charlotte Olivia Brand von der Universität Sheffield in einer aktuellen Publikation. Darin zeigen die Forscher allerdings auch, dass genau dies vielen Menschen schwerfällt. Dabei gilt die Faustregel: Je geringer die Meinung über das jeweils opponierende weltanschauliche Lager, desto verzerrter und wilder die Behauptungen über dessen Positionen.

Zu verstehen, wie die anderen ticken, ist selten das Ziel

Die Psychologen um Brand bezeichnen ihre Versuche als "Ideologischen Turing-Test". Damit beziehen sie sich auf den berühmten Turing-Test, der auf einer Idee des britischen Mathematikers Alan Turing aus dem Jahr 1950 basiert. Die Frage war: Wie ließe sich erkennen, wenn ein Computer ein dem Menschen ebenbürtiges Denkvermögen erreicht hat? Dann, wenn Testpersonen in einer Unterhaltung nicht mehr sagen können, ob sie gerade mit einem Menschen oder einem Rechner kommunizieren. Eine vergleichbare Idee steckt nun hinter dem Versuchsaufbau der Psychologen: Eine konträre Position gilt dann als wirklich verstanden, wenn jemand sie so formuliert, dass die Gegenseite nicht sagen kann, ob jemand aus dem eigenen Lager sie formuliert hat oder nicht.

Dazu baten die Wissenschaftler 600 Probanden, Positionen zu umstrittenen Themen zu formulieren - zur Corona-Impfung, dem Brexit und Veganismus. Die Teilnehmer mussten jeweils Pro- und Kontra-Argumente ausführen, die dann 1200 anderen Probanden zur Bewertung vorgelegt wurden. Die Probanden waren so ausgewählt, dass alle Positionen tatsächlich gleichmäßig vertreten waren: Brexit-Gegner und -Befürworter, Veganer und Nichtveganer, Corona-Impfgegner und -befürworter. Beim Thema Corona-Impfungen gelang es 54 Prozent der Teilnehmer Positionen der Gegenseite so zu formulieren, dass diese von deren Anhängern als korrekt und von einem der ihren formuliert akzeptiert wurden. Beim Brexit lag die Trefferquote bei 64 Prozent, beim Veganismus bei 71 Prozent.

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Die Zahlen klingen zunächst gar nicht so schlecht. Vermutlich aber speisen sie sich aus den Antworten von Menschen, die an den lauten und galligen Zankereien über solche Themen nicht teilnehmen. Wer nämlich in der Lage war, Gegenpositionen überzeugend zu formulieren, hatte auch ein weniger negatives Bild der anderen weltanschaulichen Seite. Die Probanden gaben mit höherer Wahrscheinlichkeit an, dass die Gegner durchaus gute Gründe für ihre Haltung hätten, auch wenn man diese nicht teile. Sie neigten weniger dazu, Andersdenkende als ignorant, dumm oder unmoralisch zu bezeichnen und waren generell weniger wertend. Kurz: Es handelte sich um Personen, die vermutlich keine verstärkte Neigung verspüren, den nächsten Shitstorm anzuzetteln. Sie zeichneten sich, so die Psychologen, durch im Vergleich größere Offenheit im Denken aus.

Die Ergebnisse fielen weder in die eine noch in die andere Richtung lagerspezifisch aus. Zu welchem Lager die Probanden gehörten, hatte keine Vorhersagekraft dafür, ob sie Gegenpositionen korrekt formulieren und durchdringen konnten oder nicht. Überraschend war, dass die Beschäftigung mit den Themen nicht in Zusammenhang mit einem erhöhten Verständnis für Gegenpositionen einherging: Wer im Vergleich mehr über die Themen las oder debattierte, konnte Gegenpositionen keinesfalls besser formulieren. Vermutlich sind das also eher jene Menschen, die sich in lauten Streitereien abkämpfen und auf ihrer Leserecherche nach Munitionen für ihre Argumente suchen. Zu verstehen, wie die anderen ticken, ist offensichtlich nicht ihr Ziel. Es ist eben ein süßes Gift, sich auf der richtigen Seite zu wähnen und im Namen des vermeintlich Guten andere niederzumachen - selbst wenn man eine verzerrte Vorstellung davon hat, woran die anderen genau glauben. Auch das gilt: für alle Seiten.

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