Psychologie:Haltung als Eigentor

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Beim Fußball ist die Regenbogenfahne noch ein eher seltener Anblick. (Foto: IMAGO/Matthias Koch/IMAGO/Matthias Koch)

Wenn sich Institutionen weltanschaulich und politisch positionieren, beschädigt dies das Vertrauen in sie - sogar bei Menschen, die diese Ansichten eigentlich teilen.

Von Sebastian Herrmann

Die Regenbogenfahne weht oder klebt mittlerweile an Orten, an denen dieses Symbol der LGBTQ-Bewegung vor nicht allzu langer Zeit vermutlich fehl am Platz gewirkt hätte. Bankkonzerne schmücken damit in Sticker-Form zum Beispiel die Räume, in denen sie ihre Geldautoamten und Kontoauszugsdrucker platziert haben. Die bunte Fahne weht vor den Zentralen internationaler Unternehmensberatungsfirmen, Autohersteller hissen sie, im Pharmawesen ist sie zu Hause und im Profisport zu finden sowie an vielen anderen Stellen, die bis vor Kurzen nicht als Heimat eher linker politischer Ansichten gegolten haben. Es wird Haltung demonstriert für die gute Sache, die Regenbogenfahne ist zu einem Allgegenwartsphänomen geworden. Was kann daran schon verkehrt sein?

Womöglich büßen Institutionen und Unternehmen Vertrauen ein, wenn sie sich politisch positionieren. Offenbar gilt das sogar selbst dann, wenn Menschen diese Positionen im Kern teilen und sich selbst eigentlich in das entsprechende weltanschauliche Lager einsortieren. Der Vertrauensverlust fällt dann zwar nicht ganz so stark aus, als wenn die entsprechenden Positionen abgelehnt werden, aber er ist dennoch messbar. Das zeigen gerade Psychologen um Corey Clark von der University of Pennsylvania in einer Studie mit knapp 3500 Teilnehmern, die bisher auf dem Pre-Print-Server PsyArXiv veröffentlicht worden ist. Die gemessenen Effekte legten nahe, so die Wissenschaftler, dass Institutionen nahezu universell an Vertrauen einbüßen, sobald sie als politisiert und weltanschaulich positioniert wahrgenommen werden.

In den USA ist das Vertrauen in viele Institutionen teils drastisch eingebrochen

Die Psychologen um Clark baten ihre Probanden unter anderem, Einschätzungen zu Einrichtungen abzugeben, denen in den USA weltanschauliche beziehungsweise politische Schlagseite nachgesagt wird. So werden Professoren, Wissenschaftler, Lehrer, Journalisten oder die Weltgesundheitsorganisation (WHO) als politisch links wahrgenommen. Der Supreme Court der USA, die Polizei oder die katholische Kirche gelten hingegen als Institutionen, die vom rechten Lager dominiert werden. Beide Seiten - Konservative wie Progressive - neigten in den Befragungen dazu, die weltanschauliche Schlagseite der Gegenseite als gravierender einzuschätzen.

Und naheliegend: Das Vertrauen in zum Beispiel die von Progressiven dominierten Wissenschaften fiel unter Konservativen geringer aus als unter links eingestellten Amerikanern. Doch der Effekt wirkte eben auch über politische Grenzen hinweg, und zwar umso stärker, je eher die Probanden glaubten, dass die politischen Werte der jeweiligen Institutionen auch direkten Einfluss auf deren Arbeit hatten. Offenbar also bevorzugten zumindest die Teilnehmer der Studie ideologisch neutrale Institutionen - unabhängig von ihrer eigenen politischen Heimat.

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Für Gesellschaften sei es enorm wichtig, so argumentieren die Psychologen, dass Menschen wesentlichen Organisationen und Institutionen Glauben schenken. In den USA ist das Vertrauen in viele Institutionen laut Studien teils drastisch eingebrochen. So halten viele Menschen die Medien, die Wissenschaft, Tech-Firmen, das Universitätssystem, die Polizei, öffentliche Schulen, die Kirchen und andere Einrichtungen nicht mehr für integer. Ob das in allen Fällen gerechtfertigt ist oder nicht, spielt an dieser Stelle erst einmal keine Rolle: Die Beobachtungen sprechen dafür, dass es schlicht so ist, dass das Vertrauen gelitten hat.

Die aktuelle Studie legt nahe, dass es nicht immer eine zielführende Idee ist, weltanschaulich oder politisch Stellung zu nehmen. Ein konkretes Beispiel hat kürzlich Floyd Jiuyun Zhang von der Stanford University im Fachjournal Nature Human Behaviour vorgelegt. Als das Wissenschaftsmagazin Nature, eines der wichtigsten Fachblätter weltweit, sich im US-Präsidentschaftswahlkampf 2020 öffentlich für Joe Biden aussprach, beschädigte dies offenbar das Vertrauen in das Fachjournal im Speziellen und die Wissenschaft im Allgemeinen. Die Einstellungen zu Biden und seinem Gegenkandidaten Donald Trump blieben hingegen weitgehend unberührt. Die defensive Lehre aus all diesen Befunden lautet also vermutlich: Es ist selten eine gute Idee, sich überall einzumischen, im Guten wie im Schlechten.

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