Streiks in der Autoindustrie:Umbau zu E-Autos rüttelt US-Arbeiter auf

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Die Gewerkschaftler der UAW fordern höhere Löhne - schließlich verdienten die Autokonzernchefs auch enorm viel mehr. (Foto: REBECCA COOK/REUTERS)

Die mächtige amerikanische Autogewerkschaft fordert satte 40 Prozent mehr Lohn. Sie kann einen Knaller gut gebrauchen. Denn wegen Elektroautos drohen Job- und Machtverluste.

Von Kathrin Werner

Wenn Jim Farley abends ins Bett geht, denkt er an seinen Großvater. Und was der ihm raten würde in diesen schwierigen Zeiten. Farley ist Vorstandschef von Ford. Sein Großvater war Fabrikarbeiter bei Ford, der 389. Mitarbeiter, den der Autohersteller Anfang des 20. Jahrhunderts eingestellt hatte. Sein Großvater hätte einen Rat für ihn, vermutete der Enkel in einem Fernsehinterview am Freitag: "Jim, kümmere dich darum, dass für alle Leute gut gesorgt ist. Aber kümmere dich auch darum, dass jeder eine Zukunft hat."

Ford und die anderen zwei großen US-amerikanischen Autobauer aus Detroit, General Motors und Stellantis, stecken fest in Verhandlungen mit der mächtigen Gewerkschaft UAW. Stellantis heißt das neue Konzerngebilde, früher Chrysler, zu dem unter anderem die Marke Jeep gehört. Der vorherige Rahmenvertrag zwischen den Konzernen und der UAW lief in den letzten Minuten des 14. September aus. Jetzt bestreikt die Gewerkschaft drei Werke in Ohio, Michigan und Missouri. Es dürften mehr Fabriken werden, noch viel mehr. Denn es geht um sehr viel Geld. Und um die Zukunft der Autokonzerne und ihrer Beschäftigten in der Ära der Elektromobilität.

Die Gewerkschaft fordert eine 40-prozentige Lohnerhöhung über einen Zeitraum von vier Jahren, doch die Arbeitgeber haben nur etwa die Hälfte angeboten. In etwa um 40 Prozent sind auch die Vergütungen der Vorstandschefs der Konzerne in dem Zeitraum gestiegen, argumentiert der streitbare neue UAW-Präsident Shawn Fain. "40 Prozent wird uns in die Pleite drängen", entgegnet Ford-Chef Farley. Er habe dann kein Geld mehr für Investitionen, erst recht keine für den teuren Umstieg in die Elektromobilität, mit dem Ford derzeit viel Geld verliert.

Dieses Mal ist die Lage besonders

Die jetzt laufenden Streiks sind ungewöhnlich, weil erstmals alle drei großen Autohersteller aus der US-Autofabrikmetropole Detroit gleichzeitig betroffen sind. Alle vier Jahre verhandelt die UAW im Namen von fast 150 000 Gewerkschaftsmitgliedern, die bei General Motors, Ford und Stellantis arbeiten, über einen neuen Rahmenvertrag. Früher verhandelte die UAW stets zuerst mit einem der drei Unternehmen, die anderen schlossen sich dann mit ähnlichen Tarifvertragskonstrukten an.

Dieses Mal ist die Lage aber besonders, vor allem aus der Sicht der UAW. Denn die vier Jahre vor den Verhandlungen waren von Rekordgewinnen bei GM und Stellantis und guten Gewinnen bei Ford geprägt - und gleichzeitig einer Phase großer Veränderungen in der gesamten Autobranche.

Hintergrund der Streiks sind nicht nur die Inflation und die Überzeugung der Gewerkschaftler, dass ihnen ein größerer Teil der Profite zusteht, sondern auch der Umbau auf die Produktion von Elektroautos. Da für deren Herstellung weniger Teile benötigt werden als für benzinbetriebene Fahrzeuge, braucht man auch weniger Menschen, die sie montieren. Es drohen Schließungen von Werken, die Motorenteile für Benziner herstellen. Das betrifft nicht nur die USA, Ford strich bereits 2300 Stellen in Köln und Aachen. Laut Branchenexperten drohen mit dem Ende des Verbrennermotors in Deutschland Zehntausende Stellen wegzufallen. Allerdings entstehen auch viele neue. Ob die Beschäftigtenzahlen in der Branche steigen oder fallen, hängt von den Erfolgen der Hersteller bei der Transformation ab.

Die Autohersteller stecken ihr Geld derzeit in teure Batteriefabriken. In den USA stehen die oft in den Südstaaten, in denen die Belegschaft meist nicht gewerkschaftlich organisiert ist. Ein profitabler Deal für die UAW wäre eine gute Werbung für die Mitarbeitenden in den neuen Fabriken, sich der Gewerkschaft anzuschließen.

Die drei Hersteller, Detroit Three genannt, verweisen darauf, dass die Lohnkosten mit 64 Dollar pro Stunde bei ihnen ohnehin schon viel höher seien als bei der Konkurrenz. Wenn man Löhne und Sozialleistungen zusammenrechnet, kommen die nicht gewerkschaftlich organisierten Fabriken von Herstellern wie Toyota auf 55 Dollar pro Stunde und Tesla auf 45 bis 50 Dollar, wie die Nachrichtenagentur Bloomberg erfuhr.

Streiks sind eine teure Sache. Als die UAW im Jahr 2019 40 Tage lang bei GM die Arbeit niederlegte, kostete das den Autohersteller laut Analystenschätzungen rund 3,6 Milliarden Dollar an Gewinn vor Zinsen und Steuern. Ein Streik aller UAW-Beschäftigten bei GM, Ford und Stellantis würde nach einer Studie der Beratungsfirma Anderson Economic bereits nach zehn Tagen einen Verlust von mehr als fünf Milliarden Dollar verursachen. Der Plan der UAW sieht vor, mehr und mehr Fabriken zu bestreiken, um mehr Einfluss am Verhandlungstisch zu bekommen.

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