Energiepolitik:Atomkraft? Ja, bitte

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Das deutsche Kernkraftwerk Grohnde - stillgelegt an Silvester - vor Windrädern: Dass die EU Atommeiler für nachhaltig erklärt, erzürnt viele Bundesbürger. (Foto: Julian Stratenschulte/dpa)

Brüssel will Investitionen in Atom- und Gasmeiler für nachhaltig erklären. Viele Deutsche sind empört, übersehen aber, dass die verkorkste Energiepolitik ihres Landes kein Vorbild sein kann.

Von Björn Finke

Die Aufregung ist groß, vor allem in Deutschland: Die EU-Kommission will in einem Gesetz festschreiben, dass Investitionen in Atom- und Gasmeiler als nachhaltig gelten können. Dann dürfte auch Geld aus Ökofonds dorthin fließen. Umweltverbände fordern, die Bundesregierung möge sich einer Klage gegen den Rechtsakt anschließen und in Brüssel gegen die Vorlage stimmen - ein Votum, das wegen der Mehrheitsverhältnisse nichts ändern würde. Doch es gibt gute Gründe dafür, dass sich Berlin besser nicht zu weit aus dem Fenster lehnt, bei aller berechtigten Kritik.

Das Gesetz ist Teil der sogenannten Taxonomie. Mit diesem Klassifizierungssystem bestimmt die Kommission, welche wirtschaftlichen Aktivitäten klima- und umweltfreundlich sind. Das soll verhindern, dass sich Ökofonds und Konzerne als grüner verkaufen, als sie es sind. Eine sinnvolle Idee, aber die Einbeziehung von Atom- und Gaskraftwerken gefährdet die Akzeptanz bei Anlegern. Fonds müssen zwar klar darüber informieren, ob sie nur Aktien klassisch grüner Firmen halten oder auch Papiere von Gas- und Atomkonzernen. Vermutlich wird das Interesse an Fonds mit Kernkraft-Aktien gering sein - die konkreten Folgen dürften sich in Grenzen halten. Trotzdem rückt der Gesetzentwurf die grüne Taxonomie in ein schlechtes Licht.

Viel cleverer wäre es gewesen, hätte die Kommission neben dem grünen ein zweites, völlig getrenntes Taxonomie-System aufgesetzt, das sich ausschließlich Brückentechnologien wie Gas- und Atomkraftwerken widmet: also Aktivitäten, die nicht nachhaltig, aber trotzdem unverzichtbar sind auf dem Weg, in Europa eine Energieversorgung ohne Treibhausgas-Ausstoß aufzubauen. Manche Investoren wünschen sich vielleicht auch klare Kriterien für solche Technologien. Zugleich hätte Brüssel so dem Wunsch vieler EU-Regierungen entsprochen, die wichtige Rolle von Kern- und Gaskraftwerken anzuerkennen - ohne dabei die echte grüne Taxonomie zu besudeln.

Die Aussage, Kernkraft-Investitionen seien wichtig für den Klimaschutz, führt bei vielen Deutschen fast reflexartig zu einem Aufschrei. Doch der Strombedarf wird rasant steigen, wenn Elektroautos Verbrenner verdrängen oder Stahlwerke künftig Wasserstoff verfeuern, der ja mit Strom hergestellt wird. Gleichzeitig müssen Kohlekraftwerke - üble Klimakiller - rasch vom Netz. Ohne Gas- oder Atommeiler werden die EU-Staaten diesen Spagat nicht schaffen. Berlin hat daher ausdauernd für die Einbeziehung von Gas in die grüne Taxonomie gekämpft, viele andere Regierungen warben für Atomenergie, manche für beides.

Deutschland sollte Atommeiler länger am Netz lassen

Die Erfahrung der vergangenen Jahre zeigt allerdings, dass Neubauten von Kernkraftwerken in Europa notorisch verspätet und absurd teuer sind. Sinnvoller erscheint es da, in Laufzeitverlängerungen bestehender Reaktoren zu investieren. In Deutschland ist aber eine Verlängerung, und sei es nur um fünf Jahre, politisch nicht durchsetzbar, was ein großer Jammer ist. Stattdessen schaltet die Bundesregierung bald die letzten Reaktoren ab. Logische Folge: Deutschland muss weiter dreckige Kohle verbrennen und wird abhängiger von russischem Gas und - ironischerweise - Atomstromimporten aus Frankreich oder Tschechien.

Deutschland mag diesen Weg beschreiten, sollte jedoch voller Demut anerkennen, dass dies in dieser Form kein Vorbild für Europa sein kann. Daher sollte Berlin in Brüssel zwar kritisieren, dass die grüne Taxonomie verwässert wird, am Ende aber keinen großen Kampf anzetteln. Atom-Investitionen in Frankreich oder Tschechien helfen schließlich der EU dabei, ihre ehrgeizigen Klimaziele zu erreichen. Und sie helfen dabei, dass in Deutschland nicht die Lichter ausgehen.

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