Fern- und Regionalzüge:Sechs-Tage-Streik bei der Bahn läuft

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Von zwei Uhr am Mittwochmorgen an wird im Personenverkehr der Deutschen Bahn bundesweit gestreikt. (Foto: Julian Stratenschulte/dpa)

Bis kommenden Montag fahren kaum noch Züge - trotz eines neuen Schreibens der GDL. Verkehrsminister Wissing kritisiert die Gewerkschaft scharf und fordert eine Mediation oder ein Schlichtungsverfahren. Eine Übersicht, wo die Verbindungen eingeschränkt sind und wo vielleicht doch etwas fährt.

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"Alle Räder stehen still, wenn dein starker Arm es will", so lautet eine Zeile in einem bekannten Arbeiterlied. Auch wenn solche Lieder von Pathos und Folklore geprägt sind, Claus Weselsky, der ja die knapp 40 000 Arbeiterinnen und Arbeiter der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) anführt, kann die Liedzeilen für sich durchaus in Anspruch nehmen. Bei der Deutschen Bahn stehen tatsächlich fast alle Räder still, seit der Nacht auf Mittwoch läuft der längste Streik in ihrer Geschichte: Volle sechs Tage, also 144 Stunden, im Güterverkehr sowie fünf Tage und 16 Stunden im Personenverkehr sind geplant.

"Diese Dauerbelastung für die Gesellschaft ist inakzeptabel", sagte Bundesverkehrsminister Volker Wissing am Mittwochmorgen. "Wir brauchen dringend eine Mediation oder ein Schlichtungsverfahren." Die GDL lehnte eine Schlichtung bisher ab. Der FDP-Politiker kritisierte im Deutschlandfunk die Gewerkschaft scharf: Sie wiederhole nur die immer selben Forderungen, verweigere sich aber Gesprächen und Verhandlungen darüber. Das Streikrecht als Grundrecht sei wichtig, müsse aber "verantwortungsbewusst ausgeübt werden", sagte Wissing - das erwarte er nun von der GDL.

Der Streik sei "auf Dauer keine Antwort", sagte auch Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck am Rande eines Besuchs der Agrarmesse Grüne Woche. "Und deswegen wäre ich sehr froh, wenn bald wieder geredet wird und dieser Arbeitskampf nicht zu Lasten und auf Kosten von so vielen anderen Menschen ausgetragen wird."

Worüber streiten sich die Tarifpartner, gibt es noch Chancen auf eine kurzfristige Einigung?

555 Euro mehr Lohn, 2850 Euro Inflationsausgleich, 35 statt bisher 38 Stunden für Schichtarbeiter bei vollem Lohnausgleich und das Ganze in einem Tarifvertrag von zwölf Monaten Laufzeit, das sind die Forderungen der GDL. Die Deutsche Bahn ist in ihrem letzten Angebot zwar erstmals auf die Forderung der Arbeitszeitverkürzung eingegangen, trotzdem klaffen Angebot und Forderung weiterhin weit auseinander.

Nach SZ-Informationen hat die GDL am Nachmittag ein Schreiben an die Deutsche Bahn geschickt, in der die Gewerkschaft das bisherige Angebot der Bahn - zehn bis 13 Prozent mehr Lohn und den Einstieg in eine 37-Stunden-Woche - ablehnt. Darin unterbreitet die GDL der DB auch offiziell eine Art Einigungsvorschlag; darüber hatte zuerst der Bayerische Rundfunk berichtet. Der Vorschlag lautet, dass die Bahn der Gewerkschaft ein Angebot unterbreiten müsse, das sich auf dem Niveau der Abschlüsse bewegt, die die GDL mit anderen Schienenverkehrsunternehmen vereinbart hat.

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Aus dem neuen Tarifvertrag mit dem Bahn-Konkurrenten Netinera lässt sich herauslesen, was das konkret bedeutet: Die schrittweise Einführung einer 35-Stunden-Woche für alle Lokführerinnen und Lokführer und andere Schichtarbeiter bis zum Jahr 2028, dazu eine Gehaltserhöhung von 420 Euro und eine Inflationsausgleichsprämie von 3000 Euro.

Wenn die Bahn ein solches Angebot unterbreite, dann sei die GDL bereit, den sechstägigen Streik abzubrechen und die Tarifverhandlungen wieder aufzunehmen. So steht es in dem Schreiben. Ein Sprecher der Bahn sagt dazu der SZ: "Das ist kein Einigungsvorschlag, das ist die Wiederholung altbekannter Maximalforderungen, die so nicht umsetzbar sind. Die GDL kommt uns in keinem einzigen Punkt entgegen. Das zeigt die Notwendigkeit, endlich wieder an einen Tisch zu kommen und nach Lösungen und Kompromissen zu suchen. Wir sind zu jeder Zeit und an jedem Ort verhandlungsbereit." Es ist daher nicht zu erwarten, dass der anlaufende Streik noch abgebrochen wird.

Auch Äußerungen von GDL-Chef Weselsky im ZDF-"Morgenmagazin" lassen nicht auf eine schnelle Lösung des Tarifkonfliktes hoffen. Der Streik der GDL sei verhältnismäßig, rechtmäßig und zulässig. Die GDL werde erst an den Verhandlungstisch zurückkehren, wenn die "Deutsche Bahn von ihrem hohen Ross herunterkommt und keine Gegenforderungen stellt".

Wie viele Züge werden ausfallen?

Als die GDL im Dezember und Anfang Januar schon einmal streikte, fielen etwa 80 Prozent der Fern- und Regionalverbindungen aus. Auf vielen S-Bahnen in den Ballungsgebieten ließ sich allenfalls ein dürftiges Notprogramm realisieren. Fachleute rechnen damit, dass es der Deutschen Bahn schwerfallen dürfte, über die gesamte Streikdauer 20 Prozent der Züge fahren zu lassen.

Welche Züge fahren und welche nicht, sollte über die Verbindungsauskunft auf der Website der DB und über die App "DB Navigator" ersichtlich sein. "Wir sind gerade dabei, den Notfahrplan in alle unsere Auskunftssysteme einzupflegen", sagte eine Bahnsprecherin am Dienstagmorgen.

Wie sind die Einschränkungen in den einzelnen Regionen?

Bayern: Die gute Nachricht: Für fast alle Verkehrsanbieter, die nicht Deutsche Bahn heißen, gilt der Streikaufruf der GDL nicht. Die Bayerische Regiobahn, der Anbieter Go-Ahead, Agilis, Alex, Oberpfalzbahn und Waldbahn fahren weitgehend regulär. Probleme kann es dort geben, wo Fahrdienstleiter, die der GDL angehören, in den Ausstand treten. Die von der DB Regio angebotenen Verbindungen werden allerdings bestreikt; hier gilt ein sehr lückenhafter Notfahrplan. Viele Regionalzüge werden nur alle zwei, zum Teil sogar nur alle vier Stunden verkehren, zum Teil müssen sie ganz entfallen. Bei den S-Bahnen in München und Nürnberg wird versucht, einen annähernden Ein-Stunden-Takt aufrechtzuerhalten.

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Berlin/Brandenburg: In Berlin und Brandenburg ist der Betrieb bei der Deutschen Bahn nach Notfahrplänen wegen des GDL-Streiks am frühen Mittwochmorgen regulär angelaufen. Wie eine Sprecherin der Bahn sagte, gibt es bisher keine größeren Störungen. Die Berliner U-Bahn ist vom Streik ohnehin nicht betroffen, die allermeisten S-Bahnen in und rund um Berlin fahren allerdings nicht, so etwa die wichtige Ringbahn S41/S42. Auf einzelnen Linien, etwa jener zum Flughafen BER, soll per Notfahrplan ein 20-Minuten-Takt sichergestellt werden. Auf wichtigen Regionalverbindungen, etwa zwischen Berlin und Cottbus, sollen einzelne Züge verkehren. Andere Regionalverkehre werden durch einzelne Busse ersetzt oder müssen ganz eingestellt werden. Wie die Berliner Verkehrsbetriebe mitteilen, sind die Linien der BVG von der Arbeitsniederlegung der GDL nicht betroffen. Fahrgäste sollten sich jedoch auf längere Wartezeiten und volle Fahrzeuge einstellen.

Hamburg/Schleswig-Holstein: Die Regionalzüge der Deutschen Bahn werden größtenteils nicht fahren. Die Eisenbahnunternehmen AKN, Erixx und Metronom werden nicht bestreikt, Auswirkungen des Streiks, etwa durch fehlendes Personal in Stellwerken, können aber auch sie treffen. Während die Hamburger Hochbahn und die Busse in der Hansestadt regulär verkehren, wird es im S-Bahn-Verkehr zu massiven Einschränkungen kommen. Wie zuletzt vor rund zwei Wochen will die S-Bahn allerdings versuchen, auf den Linien S1, S2, S3 und S5 nach einem Notfahrplan Fahrten anzubieten.

Niedersachsen/Bremen: Betroffen sind auch hier nur jene Verbindungen, die von der Deutschen Bahn angeboten werden. Oft sind auf den DB-Strecken vereinzelte Züge vorgesehen, etwa zwischen Bremen und Hannover sowie zwischen Bremerhaven und Osnabrück. Zwischen Cuxhaven und Hamburg soll ein Drei-Stunden-Takt gefahren werden, auf anderen Regioverbindungen mitunter sogar ein Zwei-Stunden-Takt. Auf anderen, etwas weniger frequentierten Verbindungen, etwa zwischen Bremen und Uelzen sowie zwischen Hannover und Hamburg via Soltau, soll ein Ersatzverkehr mit Bussen eingerichtet werden.

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Mecklenburg-Vorpommern: Auf einigen Regionalverkehrslinien, zum Beispiel zwischen Hamburg und Rostock oder zwischen Berlin und Stralsund, verkehren einzelne Züge. Zum Teil werden Busse als Ersatz bereitgestellt. Einige Linien, wie zum Beispiel der Regionalexpress zwischen Lübeck und dem polnischen Stettin, müssen ersatzlos entfallen.

Nordrhein-Westfalen: Auf immerhin 40 Regionalexpress- und Regionalbahn-Verbindungen soll es laut der Website Zuginfo-NRW keine Einschränkungen geben, denn hier verkehren Konkurrenten der DB. Auf weiteren 30 RE- und RB-Linien, jenen, die von der Deutschen Bahn bedient werden, wird jedoch während des Streiks gar nicht oder nur sehr unregelmäßig gefahren ( hier eine Übersicht der DB). Ein Ersatz-Busverkehr wird nur vereinzelt angeboten. Bei der S-Bahn haben einige Linien ihre Taktung deutlich reduziert, andere fallen komplett aus.

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Hessen: Viele DB-Regionalexpress- und -Regionalbahn-Verbindungen werden eingestellt oder verkehren allenfalls im Zwei-Stunden-Takt. Die Verbindungen der DB-Konkurrenten Cantus, Hessische Landesbahn, Vias und Vlexx verkehren normal.

Thüringen/Sachsen/Sachsen-Anhalt: Die Deutsche Bahn will in diesen Bundesländern ein Mindestangebot aufrechterhalten. So soll der RE 50 zwischen Leipzig und Dresden zum Beispiel im Zwei- bis Drei-Stunden-Takt verkehren. Auch die RE- und RB-Verbindungen zwischen Glauchau und Göttingen, Erfurt und Nordhausen sowie Erfurt und Leinefelde sollen alle zwei Stunden bedient werden. Viele Regionalbahnen im Raum Dresden fallen aus, die dortigen S-Bahnen fahren allenfalls unregelmäßig. Die wichtige S3 zwischen Halle und Leipzig soll immerhin im Stundentakt bedient werden. In Sachsen-Anhalt wird auf zahlreichen Regionalstrecken nur ein Vier-Stunden-Takt angeboten, andernorts fahren Ersatzbusse, ebenfalls nur im Vier-Stunden-Takt. Nicht betroffen von dem Streik ist die Mitteldeutsche Regiobahn, die zum Beispiel den RE zwischen Leipzig und Chemnitz sowie zwischen Dresden und Hof anbietet.

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Baden-Württemberg: Nicht bestreikt werden die Regionalzüge der Anbieter Go-Ahead, SWEG und WEG. Auch städtischer Nahverkehr, der nicht von der DB angeboten wird, wie etwa die Stadtbahn in Stuttgart, fahren regulär. Erhebliche Probleme gibt es aber im Regionalverkehr der DB. Hier verkehren auf vielen Linien keine Züge oder es gibt nur ein äußerst ausgedünntes Angebot.

Rheinland-Pfalz/Saarland/Rhein-Neckar: Die S-Bahnen in der Großregion rund um Mannheim, Heidelberg und Ludwigshafen fallen entweder gänzlich aus oder werden nur alle zwei Stunden bedient. Der Notfallplan sieht darüber hinaus auf vielen Verbindungen Zwei-Stunden-Takte vor. Oft werden allerdings bestimmte Teilabschnitte nicht bedient. Einige RE- und RB-Verbindungen müssen auch komplett entfallen. Einzelne Strecken, etwa jene zwischen Trier und dem saarländischen Homburg, sollen aber weitgehend regulär einmal pro Stunde bedient werden.

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