Tuchels Zeit beim FC Bayern:Schockverliebt in die Holding Six

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Nach nicht einmal eineinhalb Jahren wird Thomas Tuchel den FC Bayern wieder verlassen. Was mit einer spontanen Liebeserklärung begann, führte über Transferdebatten zum Kontrollverlust in Leverkusen, Rom und Bochum. Eine Chronologie.

Die Vorstellung

(Foto: Christof Stache/AFP)

Am 25. März 2023 wurde Thomas Tuchel als neuer Trainer in München vorgestellt, aber eigentlich ging es in der Pressekonferenz noch sehr viel um seinen Vorgänger. Julian Nagelsmann fuhr erst in den Skiurlaub und dann nicht mehr zurück ins Trainerbüro - und so erklärten die damals verantwortlichen Herren Oliver Kahn (weiland noch Vorstandschef) und Hasan Salihamidzic (Sportvorstand) noch bei Tuchels Vorstellung, warum "die Konstellation" mit Nagelsmann nicht gepasst hätte. Jenseits der Pressekonferenz erklärten die Spieler Joshua Kimmich und Leon Goretzka, dass Nagelsmann ihrer Meinung nach mitnichten die Kabine verloren hätte. Der Bayern-Kader sei "einer der besten und talentiertesten in Europa", sagte Tuchel bei seiner Vorstellung, mit diesem Kader könne man "um jeden Titel spielen".

Das erste Spiel

(Foto: Alexander Hassenstein/Getty Images)

Tuchels erstes Spiel war ein Heimspiel - ausgerechnet - gegen Borussia Dortmund. Eine Woche zuvor hatte Nagelsmann übrigens sein letztes Spiel als Bayern-Trainer gegen Xabi Alonsos Bayer Leverkusen verloren. Aber das nur nebenbei. Tuchels Auftakt (im Bild mit Sadio Mané) wurde ein voller Erfolg. Nach 23 Minuten stand es 3:0, zwei Tore erzielte Thomas Müller. Allzu euphorisch wollte der Neue nicht sein. Die Partie sei "ein bisschen schwierig zu analysieren", gab Tuchel zu. Seine Mannschaft hätte einerseits Tore geschenkt bekommen, andererseits klare Chancen nicht genutzt.

Der erste Rückschlag

(Foto: Angelika Warmuth/Reuters)

Murphy's law, das Gesetz, wonach alles schiefgeht, was schiefgehen kann, zitierte Tuchel nach der Niederlage im Februar 2024 gegen Bochum. Aber schon bei seinem ersten Pokalspiel - nur drei Tage nach dem Sieg gegen den BVB - im Winter 2023 verzweifelte der Trainer an den Unvorhersehbarkeiten des Fußballs. Erst glich Freiburgs Nicolas Höfler mit einem Sonntagsschuss aus, dann bekam der Sportclub in der fünften Minuten der Nachspielzeit wegen eines unglücklichen Musiala-Handspiels (Foto) einen Elfmeter und zack - war Tuchel aus dem ersten Wettbewerb ausgeschieden.

Schockverliebt

(Foto: Jon Super/dpa)

Thomas Tuchel gegen Pep Guardiola - ein großes Trainerduell. Gegen den Katalanen feierte Tuchel seinen größten Erfolg, als er im Champions-League-Finale 2021 mit Chelsea gegen Guardiolas Manchester City die vernünftigere Taktik wählte und damit richtig lag. Im Champions-League-Viertelfinal-Hinspiel lieferten sich beide Mannschaften ein Duell auf hohem Niveau - mit dem besseren Ende für Guardiola. Ein Zauberschuss des Spaniers Rodri ("mit dem falschen Fuß", Tuchel) leitete das 0:3 ein. Trotz des klaren Ergebnisses sei er angesichts des Auftritts "schockverliebt" in seine Mannschaft gewesen, sagte Tuchel.

Die Meisterschaft

(Foto: Anke Waelischmiller/Imago)

Dem Aus in der Champions League folgten zähe Wochen in der Bundesliga. Vor allem bei der Auswärtsniederlage in Mainz verzweifelte Tuchel erstmals auch öffentlich an seinem Team, bemerkte, dass man im Spiel nur eine "Tonlage" beherrsche. Intern schrieben die Münchner die Meisterschaft fast schon ab. Aber: Der BVB nahm die Schale auf dem Silbertablett einfach nicht an, durch ein Musiala-Tor in Köln holte Tuchel doch noch einen Titel. Kahn und Salihamidzic mussten danach gehen.

Die Holding Six

(Foto: Alex Pantling/Getty Images)

Nach dem Aus von Salihamidzic und Kahn übernahm ein vielköpfiger Transferausschuss die Geschäfte beim FC Bayern. Ziel Nummer eins: ein echter Stürmer. Sadio Mané ging, Harry Kane kam. Haken dran. Aber auf der Asienreise prägte Tuchel erstmals einen Begriff, der ihn während seiner ganzen Bayern-Zeit verfolgen sollte: die "Holding Six". Seiner Analyse nach benötigte der Bayern-Kader einen defensiv denkenden Sechser, das vorhandene Personal - darunter die Führungsspieler Joshua Kimmich und Leon Goretzka - würden zu offensiv denken. Am letzten Tag des Transferfensters sollte der Portugiese Palhinha Tuchels Wunsch erfüllen, doch der Wechsel scheiterte Minuten vor Transferschluss. Was da noch ein wenig unterging: Auch die beiden Rechtsverteidiger Benjamin Pavard und Josip Stanisic verließen ohne Ersatz den Verein.

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Der Bayern-Trainer macht deutlich, dass er zu viele baugleiche Mittelfeldspieler in seinem Kader hat - aber keinen "positionshaltenden Sechser". Leon Goretzka spielt in seinen Planungen eine zunehmend nachrangige Rolle.

Von Philipp Schneider

Die neue Saison

(Foto: Christian Kaspar-Bartke/Getty Images)

Harry Kane war da - und der erste Titel weg. Im Supercup führten die Leipziger die Münchner zu Hause vor. Tuchel reagierte nach dem Spiel unwirsch. "Die Diskrepanz ist einfach viel zu groß - riesengroß." Er bemängelte "große Defizite im individuellen Defensivverhalten, durchs ganze Spiel". Es fühle sich für ihn an "wie die komplette Fortsetzung der vorherigen Saison". Er könne sich das nicht erklären. Aber: Die Bundesliga-Runde startete gut, Kane lieferte die Tore, die man sich für fast 100 Millionen Euro eingekauft hatte. Wären da nur nicht diese Leverkusener, die plötzlich auch einfach alle ihre Spiele gewannen ...

Saarbrücken und Frankfurt

(Foto: Jean-Christophe Verhaegen/AFP)

Die Punkteausbeute in der Liga konnte sich sehen lassen, doch die Verletztenliste wurde länger. Vor allem in der Defensive musste Tuchel immer wieder improvisieren, in der ersten Pokalrunde spielte Leon Goretzka Innenverteidiger, als sich in Saarbrücken Matthijs de Ligt in der ersten Halbzeit verletzte, nahm Joshua Kimmich den Platz in der Abwehr ein. Die Bayern schieden - wie so oft in jüngster Vergangenheit - in der zweiten Pokalrunde aus, diesmal bei einem Drittligisten. Kurz darauf setzte es die erste Liga-Niederlage - und zwar direkt ein 1:5 in Frankfurt.

Das Leverkusen-Spiel

(Foto: Federico Gambarini/dpa)

Die Holding Six, sie kam auch im Wintertransferfenster nicht. Dafür holten die Münchner Eric Dier (Tottenham) und Sacha Boey (Galatasaray) als Soforthilfen für die Abwehr. Und Tuchel setzte sie auch sofort ein - in einer experimentellen Aufstellung im Spitzenspiel gegen Leverkusen. Dier, der bei Tottenham in der Hinserie fast nur auf der Bank saß, rückte ins Zentrum einer Dreierkette. Boey, eigentlich Rechtsverteidiger, sollte gegen Leverkusen als Linksverteidiger den schnellen Frimpong aufhalten. Aber Frimpong spielte gar nicht, das Spiel ging 0:3 verloren - und die Kritik angesichts der ungewöhnlichen Taktik auch mit Tuchel nach Hause.

Der Kontrollverlust

(Foto: IMAGO/RHR-FOTO/IMAGO/RHR-Foto)

So ein 0:3 in einem Spitzenspiel ist beim FC Bayern schon schwer verzeihlich, zwei weitere Niederlagen dann nach der Logik der Münchner schon gar nicht. Weder das 0:1 im Champions-League-Hinspiel bei Lazio Rom noch das 2:3 in Bochum waren für sich genommen eine Katastrophe - in der Summe aber waren sie zu viel. Drei Tage nachdem Vorstandschef Jan-Christian Dreesen Thomas Tuchel eine Job-Garantie für das Spiel gegen Leipzig ausgesprochen hatte, verkündeten Klub und Trainer, dass sie sich im Sommer trennen werden. Von nun stellen sich zwei Fragen: Schaffen es beide bis zum Ende der Saison? Und wer kommt als Nachfolger?

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