Die Tangente vom Motorsport zur Disziplin Ski Alpin ist nicht so leicht zu ziehen, einem Mann namens Thomas Dreßen ist dies unlängst dennoch geglückt. Er sehe sich, im inzwischen reiferen Alter von 30 Jahren, weniger als "Oldtimer", mehr "wie ein Formel-1-Auto", sagte Dreßen. "Die brauchen viel Pflege, es muss sich viel drum gekümmert werden. Und wenn da eine Schraube nicht richtig steht, dann läuft das ganze Trumm nicht." Die gute Nachricht aus sportlicher Sicht: Beim einst schnellsten Abfahrer des Deutschen Skiverbands (DSV) sind in diesen Tagen offenbar keinerlei Schrauben locker.
Es ist die Erwähnung wert, weil an diesem Donnerstag nun tatsächlich erstmals in dieser Saison nach inzwischen vier vergeblichen Anläufen in Zermatt (Schweiz) und zuletzt in Beaver Creek (USA) ein sogenanntes Speedrennen der Alpin-Männer ausgetragen werden soll. Ort des Geschehens ist die Piste im italienischen Gröden. Das erste Training am Dienstag konnte bei guten Verhältnissen ausgetragen werden, das zweite - am Mittwoch - fiel wegen starker Schneefälle aus. Und so liegt eine gewisse Spannung über dem Val Gardena in Südtirol. Wird das Formel-1-Auto Dreßen am Donnerstag tatsächlich an den Start eines Skirennens gehen?
Ski Alpin:Der wohl unglücklichste Skifahrer der Welt
Stefan Luitz war "auf einem sehr guten Weg" zurück in den Ski-Weltcup. Nach einem Knöchelbruch kurz vor dem ersten Rennen ist die Saison womöglich für ihn gelaufen. Schon wieder. Chronik einer Pechsträhne.
Falls erst am Freitag oder Samstag oder eben wieder nicht - es wird den gebürtigen Garmischer wohl kaum aus der Bahn werfen, dafür hat er schon zu viel ertragen und überstanden. Dreieinhalb Jahre nach seinem ersten Totalschaden im Knie stand seine Sportlerkarriere "Spitz auf Knopf", es folgte nach einem Mini-Comeback bei der WM 2021 noch ein schwerer Eingriff am Knie, dazu kamen leichte depressive Phasen in einer sich ewig windenden Auszeit.
Dann, im November 2022, war er wieder da, und lag schon wieder vor allen Teamkollegen des DSV und viel internationaler Schnellfahrerprominenz. Tagessieger Aleksander Aamodt Kilde war in der Abfahrt von Lake Louise nur eine Sekunde entfernt, Dreßen landete auf Platz acht - wofür ihn Teamkollege Romed Baumann, der WM-Zweite im Super-G von 2021, alsbald mit einem Maximal-Lob adelte. "Der ist scho a Hund. Der fehlt fast zwei Jahre, steht zwei Tage auf Skiern und fährt schon wieder locker-lässig mit. Aber er hat einfach seine Qualitäten."
Der DSV-Chef sieht in Dreßen den "besten Abfahrer, den Deutschland jemals gehabt hat"
Eine besondere Befähigung ist dem Mann vom SC Mittenwald nicht abzusprechen, er hat fünf Siege im Weltcup erstanden, dazu das Attribut als "bester Abfahrer, den Deutschland jemals gehabt hat", so sieht das zumindest DSV-Sportvorstand Wolfgang Maier.
Holte man zuletzt weitere Expertise ein, drängten sich wenige Zweifel auf, dass Dreßen dieser Anrede bald wieder gerecht werden sollte - wenn das Knie hält, was offenbar der Fall ist: "Körperlich gibt es keine neuen Baustellen, das ist bei mir ja auch immer wichtig zu sagen, das war in der Vergangenheit auch anders", erklärte Dreßen unlängst bei einem Treffen: "Konditionell stehe ich super da, ich bin topfit." Skitechnisch seien die nötigen Schritte gemacht worden, "dass gewisse Leichtsinnsfehler und technische Fehler mir heuer hoffentlich nicht mehr passieren sollten". Und, auch nicht ganz irrelevant, in der Formel 1 wie auf der Skipiste: "Der Grundspeed ist da."
Es hat sich ohnehin viel getan im Leben dieses Skifahrers, den sie im eigenen Team offenkundig sehr schätzen, weil er als einer gilt, der die anderen mitzieht, wenn er alle seine Pferdestärken aufbringt. Und davon habe er nun noch einmal einige mehr, inzwischen als "glücklicher Papa" habe er in der Disziplin "Multitasking" hinzugelernt. Windeln wechseln beispielsweise gehöre nun zu seinem Alltag, und regelmäßige Besuche während seiner beruflichen Tätigkeit: "Meine Frau schaut mit der Kleinen beim Training vorbei", erzählt Dreßen. "Das gibt mir einen Motivationsschub, besonders wenn das Training zäh ist."
Und so wird es spannend zu sehen sein, wie sich der DSV-Rennstall mit Zugpferd Dreßen (falls endlich mal wieder gefahren wird) in Gröden präsentiert. Das Material, bei der Schneiderfahrt nach Beaver Creek während des Rückflugs verloren gegangen, ist inzwischen wieder aufgetaucht. Josef Ferstl hatte berichtet, dass bei einigen von ihnen sämtliche Ausrüstungsstücke samt Stöcken und Skiern gefehlt haben. Ferstl, immerhin Inhaber von zwei Weltcuperfolgen, hatte zuletzt auch gestaunt, wie geduldig Dreßen nach der zweiten schweren Knieoperation zurück in den Betrieb gefunden habe, anstatt etwas zu hastig auf die Piste zurückzudrängen, wie er es selbst im Januar 2022 nach seinem Sturz in Kitzbühel getan hatte.
Dreßen hatte sich auch nicht davon irritieren lassen, dass sein Sponsor, ein Energiegetränkehersteller, ihm die Unterstützung aufgekündigt hatte: Er mischte das seinerzeit mit einem Scherz ab: "Wie man sieht, trinke ich wieder Wasser." Das alles wirke auch tief in das DSV-Team hinein, hat DSV-Abfahrtstrainer Andreas Evers beobachtet. Dreßen mache nicht nur sich selbst stärker, sondern auch andere, allein durch die Art, wie er sich auf Rennen vorbereite, am Hang auf den Punkt bereit sei, sich danach sofort aufs Ergometer setze. Eben jemand, der nicht nur weltklasse fährt, sondern Weltklasse vorlebt.
DSV-Vorstand Wolfgang Maier hat es einmal so ausgedrückt: "Wenn du vorne eine Galionsfigur hast, wächst das Selbstvertrauen des ganzen Teams." Der Gemeinte würde das so eventuell nicht unterschreiben. Er sieht sich ja weniger als geschnitzte Holzstatue, sondern mehr als Formel-1-Auto, bei dem sich zeigen wird, wie hoch die Geschwindigkeit und wie stabil das Material sein wird.