WM-Quartier der Frauen-Nationalelf:Mit dem Teamgeist von Campo Wyong

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Fähnchen statt Handtuch: Das deutsche Nationalteam hat sich für die WM das Mercure Kooindah Waters reserviert - und sein Revier markiert. (Foto: Michelle Ostwald/dpa)

Die deutschen Fußballerinnen wollen in ihrem Rückzugsort in Australien einen starken Zusammenhalt wie bei der EM aufbauen. Doch die Form macht Sorgen - und dann ist da noch die Angst vor ungebetenen Gästen.

Von Anna Dreher, Wyong

Nach dem Mittagessen kam Melanie Leupolz zwischen zwei großen Schiebetüren herausgelaufen, auf deren Glas ein goldenes Emblem des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) klebte. Kurz wurde das Logo zweigeteilt, dann wieder vereint. Vor sich schob die Nationalspielerin im Kinderwagen ihren Sohn, den sie während der Weltmeisterschaft in Australien und Neuseeland bei sich haben wird und der nun neugierig die Umgebung betrachtete. Die Tür des Mercure Kooindah Waters ging noch öfter auf und zu, Mitspielerinnen von Leupolz liefen über einen kleinen roten Teppich mit der Grußbotschaft "WILLKOMMEN #IMTEAM" die Einfahrt herunter, über ihnen auf dem Vordach die Aufschrift "WIR BLEIBEN #HUNGRIGER". Möglichst zu Hause fühlen sollen sie sich hier, und das möglichst lange.

Niemand wartete, um ein Selfie oder ein Autogramm zu ergattern. Die einzigen Menschen, die sich ohne DFB-Trainingsanzug auf dem Gelände im knapp 100 Kilometer nördlich von Sydney gelegenen Wyong bewegten, waren ein paar Golfer. An das Vier-Sterne-Hotel des deutschen Teams grenzt der Kooindah Waters Golf Club. Ein öffentlicher und, wie es in mancher Rezension heißt, mit seinen Wasserhindernissen und Sandbunkern äußerst herausfordernder Platz. Der Fokus der Golfer lag also auf der Schlägerwahl und darauf, die Taschen sicher auf ihren Wagen zu verstauen, weniger auf dem prominenten Besuch.

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Von Anna Dreher

Bei der Fußball-WM der Frauen in diesem Sommer, der in Australien ein Winter mit kühlen und dunklen Abendstunden ist, soll sich ein ähnlicher Teamgeist entwickeln wie vergangenes Jahr bei der EM in England. Auch damals hatten die Deutschen eine feste Unterkunft als Rückzugsort gewählt - und das Finale erreicht. Wieso also etwas am Base-Camp-Prinzip ändern, wenn so gute Erfahrungen damit gemacht wurden? Zumal sich der Kader kaum verändert hat.

Die Ruhe aber bedeutet in diesem Fall auch: Abgeschiedenheit. "Wir sind hier schon ein bisschen weg vom Schuss", sagte Lina Magull. "Hier ist alles ein bisschen älter. Also, es ist jetzt nicht das modernste Hotel, aber es passt trotzdem alles." In Sachen Zurückgezogenheit erinnert die Quartierwahl an jene der DFB-Männer in al-Ruwais bei der WM 2022 in Katar. Den Frauen wäre es aber recht, wenn es nur bei dieser einen Ähnlichkeit bliebe. Beziehungsweise wenn das Kooindah Waters, analog zum Campo Bahia, der Keimzelle des WM-Sieges der Männer 2014 in Brasilien, nun zu einer Art Campo Wyong würde.

Die Fußballerinnen sollen wieder eine starke Verbindung aufbauen, die sie beflügelt

Lena Oberdorf nannte schon ein Indiz dafür. Sie habe sich bei der Ankunft "ein bisschen wie im Dschungel" gefühlt, sagte die 21-Jährige. So tropisch bewaldet ist die Umgebung des Hotels zwar nicht, exotisches Vogelgezwitscher, jede Menge Mangroven- und Eukalyptusbäume gibt es aber schon. All das Grün verstärkte bei manch einer Spielerin die Befürchtung unerwünschter Gäste. "Ich musste auf dem Zimmer erst mal in die Ecken schauen, habe die Gardinen zur Seite geschoben, auch die Bettdecke, und unter dem Bett alles abgecheckt", sagte Torhüterin Merle Frohms. Vor dem Abflug hatte Kapitänin Alexandra Popp - ausgebildete Tierpflegerin - einen kleinen Vortrag über die australische Tierwelt gehalten und dabei nicht nur über süße Koalas gesprochen. Was nicht gerade zur Beruhigung jener Spielerinnen beitrug, die ohnehin schon ihre Angst vor Spinnen oder Schlangen thematisiert hatten.

Seite an Seite: Martina Voss-Tecklenburg mit ihrer wichtigsten Spielerin, Alexandra Popp. (Foto: Dean Lewins/dpa)

Idyllisch liegt das Hotel im 4500-Einwohner-Ort jedenfalls allemal: Es geht an einer Pferderennbahn und kleinen Farmen vorbei, dann durch ein Wohngebiet. Bis der Kooindah Boulevard (Seitenstraße Championship Drive!) - wie bei einem Burggraben über Wasser - in eine große Einfahrt mündet. Pools, Tennisplätze, Sauna, ein Fitnessstudio und ein Grillplatz stehen der Mannschaft von Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg zur Verfügung. Exklusiv. Bei der EM war nur ein Bereich des damaligen Hotels im Londoner Westen für das Nationalteam reserviert gewesen. Nun ist der gesamte Komplex für den 70 Personen umfassenden DFB-Tross geblockt worden. Die Spielerinnen teilen sich zweistöckige Apartments mit Küche, Ess- sowie Wohnbereich. Jede schläft in einem Einzelzimmer mit einem Poster von sich an der Tür, an den Balkonen wehen schwarz-rot-goldene Fahnen.

Am Freizeitkonzept von 2022 wurde festgehalten, wie in England hat das Team eine Teqball- und eine Tischtennisplatte eingepackt und sich eine "Players Lounge" sowie ein Fitnesszelt eingerichtet. "Wir sind bestens versorgt, von daher konnten wir uns sehr schnell einleben", sagte Frohms. Bei dem langen Vorlauf zwischen der Ankunft am 13. Juli und dem Turnierstart gegen Marokko am 24. Juli soll kein Lagerkoller aufkommen. Felicitas Rauch erkannte "wieder diesen Base-Camp-Charakter", alles sei "viel integrativer gestaltet" als bei Hotels sonst üblich. Es werde "einem einfach gemacht, in den Austausch zu kommen. Ich glaube, das ist auch wichtig, dass man auch neben dem Platz sehr viel Zeit miteinander verbringt".

Klar ist: Die Fußballerinnen sollen wieder eine starke Verbindung aufbauen - eine, die sie beflügelt. Aufwärmen am Strand, ein freier Tag für einen Ausflug nach Sydney: Voss-Tecklenburg und ihr Trainerteam versuchen, die Balance zu finden zwischen Lockerheit und der - vor allem angesichts der holprigen Auftritte in diesem Jahr - sicherlich notwendigen Härte im Training. Momentan wirkt das ausgegebene Ziel Titelgewinn jedenfalls noch ambitionierter als ohnehin schon. Die Konkurrenz ist schließlich stark.

Wo die Deutschen trainieren, ist offensichtlich: Nur hier ist das Gras grün

Nachdem Deutschland bei der obligatorischen Fifa-Zeremonie im November in Auckland in Gruppe H (mit Marokko, Kolumbien und Südkorea) gelost worden war, reiste Voss-Tecklenburg nicht direkt von Neuseeland zurück, sondern legte einen Zwischenstopp in Australien ein. Hier wird ihre Mannschaft alle WM-Spiele bestreiten: Egal, wie weit sie kommt, nach Neuseeland muss sie nie. Voss-Tecklenburg wollte sich selbst ein Bild von möglichen Quartieren machen - Chefinnensache. Von den offiziellen Turnierhotels mussten die Deutschen dem Weltverband bis Ende November drei Wünsche nennen; schlussendlich bekamen sie den Zuschlag für ihren Favoriten.

Einen Nachteil hat die Entscheidung für ein festes Quartier in der Isolation: mehr Busfahrten, Flüge, Ortswechsel. Am Tag vor jeder Partie sehen die Fifa-Regularien Übernachtungen in einem Hotel am Spielort vor, im Fall der Deutschen in Melbourne, Sydney und Brisbane in der Gruppenphase, danach womöglich auch noch in Adelaide. Und zwischendurch immer wieder zurück nach Wyong. Aber die Priorität lag klar auf geringem Zeitverlust im Alltag. "Wir haben die Spielerinnen gefragt, was ihnen wichtig ist. Als erste Antwort kommt immer: ein kurzer Weg zum Trainingsplatz", sagte Voss-Tecklenburg.

Das Trainingsgelände auf dem "Central Coast Regional Sporting & Recreation Complex" liegt nur sieben Kilometer vom Hotel entfernt. Am Sonntag, Tag vier seit ihrer Ankunft, legten die DFB-Frauen eine öffentliche Einheit ein und wurden mit Didgeridoo-Klängen begrüßt, der Rauch verbrannter Eukalyptuszweige sollte ihren Geist reinigen. Lange bevor die Spielerinnen ankamen, warteten Mädchen lokaler Fußballklubs mit ihren Eltern. Auf welchem der neun Plätze die Deutschen trainieren, war nicht schwer auszumachen, man sieht das schon von Weitem. Ihr Bereich ist gleich doppelt geschützt: an den Seitenlinien, als wäre es ihr Garten, von einem weißen Zaun. Und drumherum von einem schwarzen Sichtschutz und Sicherheitsleuten. Und nur hier ist das Gras wirklich grün.

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