Svenja Huth im DFB-Team:Lücken stopfen, bevor sie entstehen

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Alte Rolle, neu interpretiert: Svenja Huth, links, im WM-Auftaktspiel gegen Marokko. (Foto: Jones/Beautiful Sports/Imago)

Vor der WM war die rechte Abwehrseite der neuralgische Punkt im deutschen Team. Bis die Bundestrainerin Svenja Huth für die verletzte Giulia Gwinn dorthin versetzte. Über ein Provisorium, das im besten Fall noch Wochen halten soll.

Von Anna Dreher, Melbourne

In manchen Szenen dieses ersten Weltmeisterschaftsspiels des deutschen Nationalteams gegen Marokko wirkte es, als habe sich nichts verändert. Als sei diese neue Svenja Huth dieselbe Svenja Huth der vergangenen Jahre. Eine Fußballerin, die scheinbar nicht müde zu bekommen ist, egal, wie oft sie auf der Außenbahn des Platzes auf und ab rennt, die ihre Mitspielerinnen mitzieht und Gegnerinnen unter Druck setzt. Diese Svenja Huth ist ja auch nicht verschwunden. Sie muss sich in nächster Zeit nur etwas zurücknehmen. Etwa wenn sie, wie in der ersten Halbzeit, weit nach vorne aufrückt und so Lücken reißt - allerdings in ihrem eigenen Rücken - und dadurch Gegnerinnen zu Kontern einlädt. Die Flügelstürmerin Huth soll in Australien schließlich die Außenverteidigerin Huth sein.

Am Ende dieses Abends stand die 32-Jährige zufrieden in Badeschlappen vor dem Rectangular Stadion von Melbourne. Und sie konnte kaum verbergen, wie erleichtert sie über diesen Start ins Turnier war, ein wohltuendes 6:0. Schelmisch grinsend versuchte sie, sich zunächst hinter Jule Brand und Merle Frohms an den Mikrofonen der Journalisten vorbei zu schleichen - um dann doch auf Fragen zu antworten. "Wir haben ja im Vorfeld schon gesagt, wie wichtig so ein Auftaktspiel sein kann, um so richtig in den Spielflow zu kommen", sagte Huth. "Das genießen wir für heute Abend." Der Genuss zeigte sich dann in einem Mannschaftsbus voller singender Nationalspielerinnen, befreit vom ersten Erwartungsdruck.

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Als Martina Voss-Tecklenburg in der Pressekonferenz zur Leistung von Huth auf dieser Position und möglichen Abstimmungsschwierigkeiten insgesamt gefragt worden war, hatte sie nicht direkt darauf geantwortet. Sondern gesagt, es werde immer wieder vorkommen, dass Ideen sich in bestimmten Momenten unterscheiden, dass nicht alle Laufwege passen. Die Bundestrainerin musste nicht extra erwähnen, wie toll Huth ihre Sache gemacht hatte oder dass sie sich voll auf sie verlasse. Daran, dass Huth auch als Rechtsverteidigerin überzeugen würde, hatte es grundsätzlich keine Zweifel gegeben. Und dass es kleine Wackler geben würde, war ihr vorher klar gewesen.

Die Defensive besteht im Moment aus einem soliden Wolfsburger Block

Wäre das Spiel nicht 6:0 ausgegangen, dann wäre Huths Leistung sicher mehr im Fokus gestanden. Die Abwehr war es ja, die durch Verletzungen vor dem Turnier zur neuralgischen Stelle geworden war. Insbesondere durch den Ausfall von Giulia Gwinn auf Huths neuer Position.

Konkret wurde die Umstellung beim Start in die WM-Vorbereitung in Herzogenaurach Mitte Juni besprochen, angedacht war sie schon früher. Und solange sie fundiert darauf vorbereitet werden würde, sah die mannschaftsdienliche Huth kein Problem darin. Sie sei eine flexible Spielerin, meinte sie: "Ich spiele immer da, wo mich die Trainerinnen brauchen und sehen. Ich gebe auf jeder Position Vollgas."

Während ihrer Zeit beim 1. FFC Frankfurt (2007 bis 2015) hatte Huth schon einmal diese Position besetzt, bevor sie weiter nach vorne auf die Flügel rückte. Ihr grundsätzliches taktisches Verhalten musste die Spielerin des VfL Wolfsburg also nicht groß verändern, es ging vor allem darum, Sicherheit zu gewinnen, Timing sowie Stellungsspiel anzupassen und sich daran zu gewöhnen, dass in ihrem Rücken niemand mehr zur Absicherung steht. Zumal sie die Rolle offensiv interpretieren darf, wenn es die Situation erlaubt. Im Aufbau spiele man in der Abwehr einen "dynamischen Dreieraufbau", sie komme dadurch zu "offensiven Aktionen und kann den Gegner so vor Probleme stellen", sagte Huth.

Danke für die Hilfestellung: WM-Debütantin Jule Brand, 20, hat ein gutes Gefühl, wenn Svenja Huth hinter ihr absichert. (Foto: Cathrin Müller/Pressefoto Baumann/Imago)

Dass in ihr nun eine Fußballerin rechts hinten spielt, die eine Position weiter vorne seit Jahren Profi ist, stabilisiert wiederum die gesamte Seite - und bringt jener Spielerin Sicherheit, die am Montag im Alter von 20 Jahren ihr WM-Debüt gab: Jule Brand. "Sie macht es sehr gut hinten, auch wenn sie es schon lange nicht gespielt hat", sagte Brand in Melbourne. "Ich habe ein sehr sicheres Gefühl, wenn sie hinter mir spielt. Sie gibt mir auch Kommandos, wann ich nach außen gehen soll oder in die Mitte." Das ist ja der nächste Vorteil an dieser Besetzung: Huth coacht aktiv. Sie spricht viel auf dem Platz, erkennt Situationen früh - und weiß genau, was Brand hilft.

Und natürlich erleichtert es das Zusammenspiel, dass nicht nur Brand eine Klubkollegin von Huth ist, sondern auch Torhüterin Merle Frohms, Linksverteidigerin Felicitas Rauch, Innenverteidigerin Kathrin Hendrich und, sobald sie wieder einsatzfähig sind, Abwehrchefin Marina Hegering sowie Mittelfeldspielerin Lena Oberdorf. Gegen Marokko wurde Hegering von Sara Doorsoun vertreten, die bis vergangenen Sommer ebenfalls beim VfL unter Vertrag stand. Die Defensive besteht gerade also aus einem eingespielten Rudel Wölfinnen, unter denen Huth zu den Anführerinnen zählt.

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Huth hat sich längst zu den Leistungsträgerinnen im Nationalteam entwickelt, nachdem sie sich geduldig in den Fokus gespielt hat. Erst mit dem Trainerwechsel zu Voss-Tecklenburg veränderte sich ihr Stellenwert so richtig. Bei der WM 2019, Voss-Tecklenburgs Turnierpremiere als Bundestrainerin, war Huth Vize-Kapitänin und versuchte nicht zuletzt, gerade den Ersatzspielerinnen mit vielen Gesprächen ein gutes Gefühl zu geben. Auch jetzt interpretiert sie ihre Aufgabe so. "Die Basis bleibt, miteinander zu sprechen und aufeinander zu schauen", sagt Huth. "Das ist unabhängig vom Verein. Das hat mit Verantwortung zu tun." Was sie gibt, fordert sie auch ein.

Der Sieg gegen Marokko gab nun zwar Selbstvertrauen zum Start, der WM-Debütant aber stellte die Defensive nicht vor Herausforderungen, wie es andere Nationen können. Und Duelle auf hohem Niveau soll es in den nächsten Wochen ja möglichst viele geben. Huth ist während ihrer 81 Länderspiele schon Europameisterin und Olympiasiegerin geworden, Weltmeisterin noch nicht. Viel früher vor dem Finale darf sie auch gar nicht nach Hause zurückkommen, da hat sie eine klare Ansage von ihrer schwangeren Partnerin bekommen: "Meine Frau hat zu mir gesagt: Bis in sechs Wochen!"

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