Ein einfaches Lächeln von Lewis Hamilton hätte doch schon gereicht auf die Fragestellung, die alle Gespräche im improvisierten Formel-1-Fahrerlager des Hardrock Stadium beeinflusst, mehr noch als die Prognosen für den Großen Preis von Miami am Sonntag: Wird der als genial geltende Red-Bull-Designer Adrian Newey im kommenden Frühjahr bei Ferrari andocken? Doch Hamilton, der unmittelbar vor Saisonbeginn mit der Bekanntgabe seines Wechsels nach Maranello das erste Beben auf dem Transfermarkt der Königsklasse ausgelöst hat, lächelt nicht bloß.
Der Brite schmunzelt erst, dann grinst er, wie es breiter kaum geht. Natürlich hat er antizipiert, was in der Talkrunde vor dem sechsten WM-Lauf das große Thema sein würde. Diese Mimik, die man seit seinem bislang letzten Grand-Prix-Sieg nicht mehr gesehen hat - und der ist immerhin 50 Rennen her -, deutet darauf hin, dass der Brite viel mehr weiß, als er zu sagen bereit ist. Wie sehr er sich wünschen würde, dass er künftig bei Ferrari mit Adrian Newey zusammenarbeiten könnte? "Sehr."
Formel 1:Das Genie aus der zweiten Reihe plant den Absprung
Adrian Newey hat es zum erfolgreichsten Menschen in der Königsklasse des Motorsports gebracht. Sollte der Brite Red Bull Racing verlassen, wäre ein personeller Dominoeffekt in der Formel 1 kaum aufzuhalten.
Ein Wechsel des erfolgreichsten Rennwagenkonstrukteurs der Grand-Prix-Geschichte zu den Italienern wäre nach Hamiltons Einschätzung "eine großartige Ergänzung" für Ferrari. Für ihn selbst wäre es "ein Privileg, mit Adrian zu arbeiten". Wie lange sich die Beteiligten noch im Konjunktiv winden, hängt vom Ausgang eines Abendessens ab, das Ferrari-Teamchef Fred Vasseur und der bei Red Bull Racing vom Formel-1-Projekt bereits weitgehend freigestellte Newey gehabt haben. Aber alles spricht für die Roten.
Geht sein Wunsch in Erfüllung? Hamilton sagt nichts, grinst aber im Breitformat
Ob der Name Newey schon im Februar Teil der Vertragsverhandlungen zwischen Hamilton und dem Ferrari-Machthaber John Elkann war, der persönlich den spektakulärsten Wechsel der jüngeren Formel-1-Geschichte eingeleitet hatte, wollte der siebenmalige Weltmeister nicht verraten. So etwas sei Geheimsache. Aber wenn er eine Wunschliste hätte abgeben dürfen, "dann hätte Adrian ganz oben darauf gestanden". Auf die Nachfrage, wie sehr er glaube, dass der Wunsch in Erfüllung gehen könne, wieder dieses Grinsen im Breitformat: "Warten wir's ab."
Wie es auch ausgeht, natürlich weiß Hamilton Bescheid. Er steht regelmäßig in Kontakt mit seinem neuen Boss Vasseur. Ein neues Dream Team bei der Scuderia, das endlich an das Jahrtausend-Trio aus Jean Todt, Ross Brawn und Michael Schumacher heranreichen soll, das ist nicht eine dieser üblichen Fahrerlager-Fantasien. Das Szenario ergibt so viel Sinn, dass es einfach wahr werden müsste.
Eine Neuorientierung des 65-jährigen Ingenieurs hin zum italienischen Nationalheiligtum würde für Hamilton die Chancen erhöhen, im hohen Rennfahreralter doch noch den achten Titel und damit den alleinigen Rekord einzufahren. Bislang hat Hamilton Newey immer nur zum Gegner gehabt, bei seinem Karrierebeginn mit McLaren durfte er immerhin ein Auto fahren, das auf Neweys Konzept basierte. Schon das habe ihn stolz gemacht. Daher weiß er auch, wie sehr ein Newey-Transfer das Wettbewerbsgefüge in der Formel 1 verändern würde. Nicht nur, dass sich der ohnehin im Aufschwung befindliche Ferrari-Rennstall deutlich verbessern könnte, zugleich würde Red Bull entscheidend geschwächt.
Max Verstappen, der amtierende Champion, sieht es anders als sein Gegenspieler Hamilton. "Natürlich war Adrian unglaublich wichtig für den Erfolg von Red Bull, aber mit der Zeit hat sich seine Rolle etwas verändert", sagte der Niederländer ganz auf der Ideallinie der Konzernsprachregelung. Immerhin gab er in Miami Gardens zu: "Natürlich wäre es mir lieber gewesen, er wäre geblieben, denn auf seine Erfahrung kann man sich immer verlassen. Aber ich vertraue auf die Stärke des gesamten technischen Teams." Verstappen schickt noch einen moralischen Booster hinterher: "Von außen sieht es sehr dramatisch aus, aber wenn man weiß, was im Team passiert, ist es nicht so dramatisch, wie es scheint." Es hat für ihn auch keinen Sinn gehabt, Newey zum Bleiben zu überreden - und er missgönne ihm eine neue Herausforderung ganz und gar nicht.
"Ich finde die aktuelle Lage spannend, und ich finde die Zukunft spannend", sagt Hamilton
Immer dann, wenn Lewis Hamilton mal nicht grinst, geht es nicht um Fantasieszenarien, sondern um die schnöde Gegenwart. Die ist nicht strahlend rot gefärbt, sondern im dunklen Rennwagen-Grau von Mercedes. Das Auto macht immer noch, was es will. Immerhin sollen in Miami ein paar neue Teile Linderung bringen. Hamilton würde tatsächlich lieber übers Wetter sprechen.
Denn da ist ja noch sein Spurwechsel. Die Situation macht Hamilton zur gespaltenen Persönlichkeit, was er als eine ziemlich einmalige Situation empfindet. Er will sich die Diskrepanz nicht schönreden, wenn er sagt: "Ich finde die aktuelle Lage spannend, und ich finde die Zukunft spannend." Das klingt nach einem Rundum-sorglos-Projekt für seine Psyche, aber ganz so ist es nicht. Um die Einschätzung der Situation bei Mercedes gebeten, wählt er seine Worte wohl: "Ich hoffe, es wird zum Jahresende hin besser. Denn ich möchte jetzt nicht sagen, dass es schlechter auch kaum geht." Seine Motivation sei immer die, an Wachstum und bessere Tage zu glauben. Die Blöße, jenes Team fallen zu lassen, dem er so ziemlich alles zu verdanken hat, gibt sich der 39-Jährige nicht.
Er will sich nichts nachsagen lassen. Trotzdem braucht er nach einem siebten Platz als bislang bestem Saisonergebnis dringend wieder Erfolgserlebnisse, so wie sie gerade Carlos Sainz jr. hat, den er bei Ferrari verdrängen wird. Umgekehrt hat der 103-fache Grand-Prix-Sieger keine Zweifel an seiner Entscheidung: "Es gab keinen Moment, in dem ich sie infrage gestellt hätte. Ich glaube, ich weiß selbst, was für mich richtig ist, und ich habe auch nicht das Gefühl, dass ich meine Entscheidung rechtfertigen muss."
Mercedes-Teamchef Toto Wolff setzt auf die Fortsetzung der Bromance bis zum Saisonschluss Mitte Dezember: "Lewis ist ein Profi und hat sich bis jetzt auch so verhalten. Er versucht, die Moral der ganzen Mannschaft aufrechtzuerhalten, auch wenn die Ergebnisse nicht kommen. Ich habe keinen Zweifel, dass das so bleiben wird." Immerhin waren Wolff und Hamilton zu Beginn der Woche einmal wieder Spitze, als sie gemeinsam den berühmten Lichtschalter des Empire State Building in New York umlegen durften - und der Wolkenkratzer in den Teamfarben von Mercedes erstrahlte.