Formel 1 in Australien:Die perfekte Bewerbung von Carlos Sainz

Lesezeit: 3 min

Strahlende Gesichter bei Ferrari: Carlos Sainz Jr. (li.) und Charles Leclerc sorgen für den ersten Doppelerfolg der Scuderia seit Bahrain 2022. (Foto: Mark Peterson/Reuters)

Die Saison drohte durch die Überlegenheit von Red Bull bereits erdrückt zu werden. Der Doppelerfolg von Ferrari macht die WM wieder spannend - und hilft vor allem Sieger Sainz, der noch ein Cockpit für nächstes Jahr sucht.

Von Elmar Brümmer, Melbourne

Irgendwann war es da, dieses merkwürdige Gefühl in der Magengrube. "Es hat sich angefühlt, als ob sich meine Organe stärker bewegen als sonst", befand der Hobby-Internist Carlos Sainz junior beim Großen Preis von Australien. Kein Wunder, denn da war ja mehr Spielraum, schließlich war dem Spanier erst vor 16 Tagen in Saudi-Arabien der Blinddarm entfernt worden. Nachdem er beim dritten WM-Lauf dieser Saison den dritten Sieg seiner Formel-1-Karriere erobern konnte, vor allem aber die Erfolgsserie von Max Verstappen beendet hat, empfahl el doctor seinen Kollegen, sich am besten prophylaktisch doch auch den Appendix entfernen zu lassen.

Es war ein Lachanfall, der da aus dem Cockpit des roten Autos mit der Nummer 55 via Boxenfunk übertragen wurde - aus Erleichterung. Fast schon unvermeidlich folgte eine etwas krächzende Interpretation des Sade-Klassikers vom "Smooth Operator". Daran erinnern sich die meisten Formel-1-Fans tatsächlich noch, denn im Vorjahr war dieser Gesang beim einzigen Rennen zu hören, das Red Bull Racing nicht gewinnen konnte. Wie in Singapur so gelang es Sainz auch jetzt in Melbourne, die Gunst der Stunde zu nutzen. Am Ende wollte er, nachdem über den gesamten dritten WM-Lauf ein Nichtangriffspakt zwischen ihm und dem Teamkollegen Charles Leclerc galt, sogar ein Fotofinish inszenieren. Das erinnerte an die Zeiten von Michael Schumacher und Rubens Barrichello, die vor 20 Jahren im Albert Park ebenfalls einen Doppelerfolg feiern konnten.

Formel 1 in Australien
:Carlos Sainz fährt vom Krankenbett zum Sieg

Max Verstappen fällt in Melbourne früh mit einem Bremsschaden aus, erstmals seit zwei Jahren. Das nutzen Carlos Sainz und Charles Leclerc für einen Ferrari-Doppelerfolg. Dabei wurde Sainz erst kürzlich operiert.

Von Anna Dreher

Aber Demut ist besser als Übermut. Tatsächlich ist die Scuderia näher dran an Red Bull Racing, aber der Farb- und Hymnenwechsel im Albert Park kam vor allem deshalb zustande, da Max Verstappen schon nach drei Runden draußen war. Passend zur Gesamtsituation des Champion-Rennstalls, hatte die rechte Hinterradbremse zunächst nur ihren Dienst versagt, dann begann es zu rauchen, und als der Niederländer vor der Boxengarage ausrollte, loderte es lichterloh.

Sieger Sainz wollte natürlich nicht die Kristallkugel dazu befragen, wie das Rennen ausgegangen wäre, hätte der WM-Spitzenreiter nicht den ersten Ausfall seit zwei Jahren zu beklagen gehabt (damals auch in Australien). Aber es wäre sicher nicht jene Spazierfahrt geworden, wie sie sich dann über 55 Runden für die Nummer 55 darstellte.

Ein Machtwechsel ist das noch nicht, bei Red Bull geben sie sich entspannt

Streiche Blau, setze Rot. Abwechslung tut not in dieser Mammutsaison, die vom Gefühl her bereits durch die Überlegenheit von Red Bull erdrückt zu werden drohte. Nun, die Gesamtwertung zeigt etwas anderes: Max Verstappen führt zwar weiterhin mit 51 Zählern, aber nur vier Punkte dahinter liegt Leclerc, der am Sonntag die schnellste Runde gutgeschrieben bekommen hatte. Auf 46 Zähler bringt es Verstappen-Kollege Sergio Perez, Sainz ist Vierter mit 40 Punkten. Auch die McLaren-Piloten Lando Norris und Oscar Piastri liegen - zumindest in der Theorie - nur einen Sieg entfernt von der Tabellenspitze. Es war auch schon mal deutlich langweiliger. "Vielleicht können wir sie jetzt häufiger unter Druck setzen", hofft Sainz.

Ferrari-Teamchef Frederic Vasseur (li.) fand es wohl angemessen, den Sieger Carlos Sainz mit einer sehr persönlichen Sektdusche zu feiern. (Foto: Jaimi Joy/Reuters)

Ein Machtwechsel ist das natürlich noch nicht, bei Red Bull geben sie sich immer noch entspannt, hoffen jetzt auf den Highspeed-Kurs in zwei Wochen in Suzuka und auf Bedingungen, die Verstappen mehr entgegenkommen als die ihm verhassten Straßenstrecken. Aber der sportliche Rückschlag kommt zu einem wenig guten Zeitpunkt, von echter Harmonie ist die Meistertruppe weit entfernt.

Ferrari-Teamchef Fred Vasseur kann hingegen lobpreisen, dass er seine Scuderia langsam aber sicher auf ein Miteinander eingeschworen bekommt. Gezielt setzt der Franzose die Nadelstiche gegen die Konkurrenz, beschwört nach außen aber immer die Demut. Das Motto hatte er auch für den australischen Grand Prix ausgegeben: "Geduldig sein, Reifen nicht quälen." Vor allem auf seinen Schützling Leclerc dürfte das gemünzt gewesen sein. Der Monegasse hatte auch in der Qualifikation von Melbourne wieder Nerven gezeigt, war wie so oft mit dem Auto nicht klargekommen, als es darauf ankam.

Welcher Teamchef sucht nicht nach einem offenbar schnellen, disziplinierten und widerstandsfähigen Piloten?

Sainz aber beginnt sich zu emanzipieren, ähnlich wie es einst Nico Rosberg gegen Lewis Hamilton gelungen war. Der Spanier kümmert sich ums Detail, arbeitet an Konzentration und Kondition, hat jegliche Überheblichkeit abgelegt und gilt mittlerweile als mannschaftsdienlich und harter Arbeiter. Anders hätte der Rekonvaleszent die wilde Jagd durch Melbournes größten Stadtpark auch nicht durchstehen können. Er wusste, erzählte Sainz, dass er die erste Rennhälfte schaffen könnte - alles andere sei ungewiss gewesen.

Überhaupt hat er mit der Ungewissheit zu leben gelernt. "Mein ganzes Jahr ist eine Achterbahnfahrt gewesen", sagte der 29-Jährige: "Erst wird mein Vertrag nicht verlängert, dann werde ich Dritter beim Saisonstart, und dann meldet sich der Blinddarm. Sieben Tage habe ich danach im Bett gelegen, und jetzt stehe ich hier ganz oben." Ein perfektes Bewerbungsschreiben. Welcher Teamchef sucht nicht nach einem offenbar schnellen, disziplinierten und widerstandsfähigen Piloten für die kommende Saison? Selbst als Kandidat für Red Bull kommt er in Betracht, vor allem aber für das künftige Audi-Werksteam. Und nicht wenige bei Ferrari werden hinterfragen, ob die Wahl Vasseurs, künftig auf Leclerc und Lewis Hamilton zu vertrauen, tatsächlich so optimal war.

Carlos Sainz hat sich all dem ideal angepasst. Die Situation auf dem Transfermarkt entspricht in etwa dem Rennverlauf am Sonntag: "Es war nicht ganz einfach, aber ich war glücklich, dass ich mehr oder weniger auf mich allein gestellt war." Einzelkämpfer sind schließlich immer dann am besten, wenn der Widerstand am größten ist.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusRed-Bull-Teamchef Christian Horner
:War Papa brav?

Gegen Christian Horner werden ernste Vorwürfe erhoben, hinter dem Fall steckt auch ein spannender Industrie-Krimi. Über den dienstältesten Teamchef der Formel 1, der immer schon ein Überlebenskünstler war.

Von Elmar Brümmer und Philipp Schneider

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: