Formel 1 in Bahrain:Auferstanden aus Ruinen

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Große Erleichterung: Charles Leclec beendet beim ersten Rennen der neuen Saison die lange Durststrecke von Ferrari. (Foto: Lars Baron/Getty Images)

Charles Leclerc gelingt beim Saisonauftakt der erste Sieg für Ferrari seit September 2019. Sein Teamkollege Carlos Sainz wird Zweiter und profitiert von einem Doppel-Ausfall bei Red Bull. Die alten Machtverhältnisse sind erschüttert.

Von Philipp Schneider, Manama/München

Funken flogen von den Rädern des blauen Rennwagens, hoch hinaus in den Nachthimmel von Bahrain. Zwei Fahrer, beide 24 Jahre alt, rasten mit ihren Autos um die Kurven. Zwei Piloten derselben Generation, deren Zweikampf schon vor drei Jahren verheißen worden war, als sie sich an einem heißen Sommertag in Spielberg eine denkwürdige Hatz geliefert hatten, sie duellierten sich nun in der Steinwüste von Sakhir. Ganze drei Runden lang jagten Charles Leclerc und Max Verstappen um den Kurs, rieben sich aneinander. Und sie zeigten immer wieder dieselben Manöver und tauschten die Plätze. Der Niederländer zog am Ende einer langen Gerade vorbei, bremste so spät, dass man sich wundern durfte, dass er noch die Kurve bekam. Funken flogen wie Sternenstaub. Dann saugte sich Leclerc in seinen Windschatten und setzte den Konter. Bis Verstappen in der nächsten Runde den nächsten Versuch startete und Leclerc sich wieder nicht abschütteln ließ.

Man darf es ja durchaus lieben, wenn ein Plan funktioniert. Und die schillernde Idee hinter dem rundum neuen Aerodynamik-Konzept, mit dem die Formel 1 seit dieser Saison unterwegs ist, war es ja, dass die Überholmanöver vereinfacht werden sollten. Nachdem nun die erste Aufführung über die Bühne gegangen ist, und Leclerc tatsächlich unter allerlei verdientem Feuerwerk vor seinem Teamkollegen Carlos Sainz nicht nur den den ersten Sieg der Scuderia Ferrari seit September 2019 nach Hause gefahren hat, sondern zugleich den ersten Doppelsieg seit damals, darf objektiv betrachtet gratuliert werden: Die Formel 1 hat einen mächtigen Reset durchgeführt. Die alten Machtverhältnisse sind erschüttert worden.

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Die neuen Regeln bestehen den ersten Härtetest: In der Qualifikation zum Großen Preis von Bahrain meldet sich Ferrari eindrucksvoll zurück, während für Mercedes Platz fünf von Lewis Hamilton das Maximum ist.

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Und das wären sie auch, wäre das Team Red Bull nicht kurz vor Schluss von zwei ominösen Defekten ausgebremst worden: Verstappen wurde immer langsamer, klagte über fehlende Ladung seiner Batterie, und kletterte aus dem Auto. Sergio Perez, der wohl hinter ihm Dritter geworden wäre, drehte sich und sah ebenfalls nicht die Ziellinie. Beide Fahrer schieden nach Auskunft ihres Sportdirektors Helmut Marko aus, weil sie "kein Benzin mehr vom Tank zum Motor bekommen", haben. Und so hatte Mercedes sehr viel Glück. Der Seriensieger der vergangenen acht Jahre hätte seine Silberpfeile ohne das Pech der Konkurrenz auf Plätzen ins Ziel geschleppt, die er in der jüngeren Vergangenheit im Internet recherchieren musste, um sich von deren Existenz zu vergewissern: Lewis Hamilton wäre Fünfter geworden, George Russell Sechster. Nun waren sie plötzlich Dritter und Vierter.

Ferrari scheint sich dafür zu belohnen, die vergangene Saison frühzeitig abgeschenkt zu haben

"Genau so startet man in eine neue Saison", jubilierte Leclerc auf seiner Ehrenrunde: "Plätze eins und zwei, Baby, eins und zwei! Mamma mia!" Mercedes-Teamchef Toto Wolff gratulierte ihm beim TV-Sender Sky: "Charles war eine Macht heute. Er hat das Rennen nach Belieben dominiert." Und zu den Platzierungen seiner Piloten sagte er: "So schnell ändert sich die Erwartungshaltung. Letztes Jahr wären wir tief betrübt gewesen mit Platz drei und vier." Wolff wirkte tatsächlich einigermaßen zufrieden.

Das neue technische Reglement, an dem seit 2017 gearbeitet worden war, hatte schon in der Qualifikation erahnen lassen, dass es eine Revolution lostreten könnte. Auf die Pole Position hatte sich beim Saisonstart tatsächlich ein roter Rennwagen geschoben, gefolgt von einem blauen, gefolgt von einem roten, gefolgt von einem blauen. Der erste silberne Flitzer? Platz fünf! An Bord Hamilton, der siebenmalige Weltmeister. Und der war angesichts dieser für ihn sehr ungewohnten Parkbucht nicht etwa enttäuscht, sondern zufrieden.

Auftakt nach Maß: Charles Leclerc (rechts) und Carlos Sainz. (Foto: Hamad I Mohammed/Reuters)

Die neue Aerodynamik der Autos, die sich verstärkt über den Luftstrom am Unterboden am Asphalt festkrallen, hat zur Folge, dass viele Wagen dem Phänomen des sogenannten "Porpoising" unterliegen. Mit zunehmender Geschwindigkeit wird das Fahrzeug immer stärker an die Strecke gesaugt, bis die Strömung wieder abreißt - und wieder zurückkehrt. Niemand hoppelt so stark wie die Piloten in den Silberpfeilen. "Wir brauchen ein paar Rennen um uns auszusortieren, dann sind wir wieder da", hat Wolff angekündigt.

Nicht nur wieder da, sondern auferstanden aus Ruinen ist dafür die Scuderia Ferrari. Nach den völlig verkorksten vergangenen zwei Jahren schob Leclerc gleich zum Auftakt seinen Rennwagen auf die zehnte Pole Position seiner Karriere; Teamkollege Sainz reihte sich hinter Verstappen ein auf Platz drei. Sie scheinen sich in Maranello nun selbst dafür zu belohnen, dass sie die vergangene Saison frühzeitig abgeschenkt und stattdessen auf die Entwicklung des rundum neuen Autos gesetzt hatten.

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Denn auch hinter der Spitze sorgte der wiedererstarkte Ferrari-Motor für Verwirbelungen in der bisherigen Rangordnung: Valtteri Bottas stellte den Alfa Romeo beim ersten Auftritt mit dem Schweizer Team gleich auf Rang sechs, Kevin Magnussen schob bei seiner Rückkehr in den Haas-Rennstall das Ferrari-Kundenauto auf Platz sieben - fünf Plätze weiter vorne als Mick Schumacher, der am Sonntag die Ziellinie als Elfter passierte. Letzter wurde Niko Hülkenberg, der als Ersatz für den an Corona erkrankten Sebastian Vettel in dessen Aston Martin geklettert war.

In Bahrain bieten sich reihenweise Anblicke, die mit den alten Sehgewohnheiten nicht zu vereinbaren sind

Die Ampeln gingen aus in Bahrain, und Leclerc ließ Verstappen nicht den Hauch einer Lücke. In unveränderter Reihenfolge bogen die führenden Drei um die ersten Kurven; dahinter folgten Hamilton und Magnussen, die es beide vorbeischafften an Perez. Weiter hinten touchierte der Alpine von Esteban Ocon den Haas von Schumacher. Der Franzose erhielt eine Fünf-Sekunden-Strafe, Schumacher drehte sich, fiel zurück und pendelte sich auf Position 13 wieder ein.

In Bahrain boten sich dem Zuschauer reihenweise Anblicke, die mit den alten Sehgewohnheiten nicht zu vereinbaren waren. An der Spitze rollte ein Ferrari, dessen Tempo nur gehalten werden konnte von Weltmeister Verstappen. Und nach zehn Runden schoss Perez an Hamilton vorbei, der dem Mexikaner so fair Platz ließ, dass offensichtlich war, wie wenig Vertrauen er in die Geschwindigkeit seines Autos hat.

Überraschendes Hindernis: Lewis Hamilton (vorne) kommt an Sergio Perez vorbei, dessen Red Bull sich dreht und ihn zur Aufgabe zwingt. (Foto: Clive Mason/Getty Images)

Hamilton suchte sein Glück in einer alternativen Strategie, als erster Pilot fuhr er an die Box. Als er wieder auf die Strecke bog, schlitterte er durch die Kurven, als reite er einen Schlitten im Schnee. "Leute, ich habe keinen Grip", funkte er an sein Team. Drei Runden später folgte Verstappen. Er ließ sich abermals weiche Reifen anschrauben, womit er nun versuchte, Leclerc unter Druck zu setzen. Doch haarscharf verteidigte der Monegasse seine Führung, als er seinerseits eine Runde später nach einem Reifentausch wieder auf die Strecke bog. Drei Runden lang boten sich Leclerc und Verstappen nun jenes fulminante Duell, das die Reifen und garantiert auch die Nerven des Niederländers strapazierte.

Nach 28 Runden eröffnete Hamilton die zweite Runde der Werkzeugbesuche, an deren Ende die alte Reihenfolge bestehen blieb. Verstappen beschwerte sich bei seinem Team darüber, er sei zweimal dazu aufgefordert worden, die Runde langsam anzugehen, die er jeweils fuhr, als Leclerc vor ihm an der Box verweilte. "Das mach ich nie wieder", schimpfte er. Folgerichtig steuerte er die Versorgungsgasse bei seinem dritten Halt vor Leclerc an, der es ihm erst nachmachte, als wegen des in Flammen stehenden Wagens von Pierre Gasly das Safety Car auf die Strecke rollte und das Feld wieder zusammenführte. Es gab noch mal einen rollenden Wiederstart - doch auch diesmal ließ Leclerc Verstappen keine Chance.

Warum beiden Red Bull das Benzin ausging, das wird noch zu prüfen sein. Doch Ferrari ist zurück mit voller Wucht, das ist jetzt schon klar. Nicht nur für die viel zu lang traurige Truppe aus Maranello ist das eine gute Nachricht - sondern für die ganze Formel 1. "Das Team hat so lang so viel Zeit reingesteckt, um ein gutes Auto zu bekommen", sagte Teamchef Mattia Binotto. " Zu lang."

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