Trend Städtereise und die Folgen:Ersticken Touristen die schönsten Städte?

Venedig und die Touristen

Wie können Venedig & Co. geschützt werden?

(Foto: Alper Özer)

Ausgerechnet an Sehnsuchtsorten wie Venedig oder Barcelona schlägt Urlaubern immer öfter Ablehnung entgegen. Was sich dort ändern muss.

Von Irene Helmes

Herden wilder Trampeltiere könnten in Städten kaum ärger wüten als Touristen, behaupten manche. So sei etwa Barcelonas Zentrum kein Ort zum Leben mehr, eher ein außer Kontrolle geratener Vergnügungspark - dieses Gefühl beschreiben Bewohner in Eduardo Chibas Dokumentation "Bye bye Barcelona". In Venedig sehen sich 56 000 Altstadtbewohner überwältigenden 30 Millionen Gästen pro Jahr gegenüber, und das in einer Umgebung, die fast völlig an den Tourismus angepasst worden ist. Schlagzeilen häufen sich international: "Warum manche Städte keine Touristen mögen", "Es ist möglich, als Stadt zu viele Touristen zu haben" oder gar "Die Schlacht von Barcelona: Stinksaure Einheimische vs. betrunkene, nackte Touristen".

Fakt ist: Städtetrips sind laut World Travel Trends Report der internationale Reisetrend schlechthin, allein die Europäer unternahmen zuletzt 60 Prozent mehr Citytrips als noch 2007. Nicht nur in den Klassikern wie Paris, London und Rom, sondern auch an Orten wie Dubrovnik, Riga oder Tallinn ist es besonders durch Billigflieger und Schiffe mit der Ruhe vorbei.

Alle wollen ihr Stück vom Kuchen - Reiseveranstalter, Kreuzfahrtunternehmen, Ladenbesitzer, Hoteliers, private Wohnungsvermieter und natürlich die Gäste selbst. Doch was ist mit den anderen, die das vermeintliche Glück haben, da zu leben, wo andere Urlaub machen? Gilt auch für sie: je mehr Besucher, desto mehr Geld, desto besser?

Die Rechnung ist komplizierter, sogar an Orten, die auch dank der Reisebranche aus Wirtschaftskrisen finden. Denn nicht alle Betroffenen profitieren gleich von den Urlaubern. Und Gast ist nicht gleich Gast: Gerade von Kreuzfahrttouristen auf Landgang heißt es, sie würden in einer Stadt eher Schäden und Müll hinterlassen als Geld, wenn sie auf durchgetakteten Routen zu zwei oder drei "Highlights" geschleust werden und danach wieder abdampfen.

Die Klagen der Bewohner ähneln sich an vielen Orten: Der Laden in der Nachbarschaft gibt auf. Nachfolger: ein Souvenirshop. Durch die Nächte hallt das Rattern von Rollkoffern. Ein Leben in der Altstadt wird zum alltäglichen Hindernislauf zwischen Selfiesticks, vor sich hin trödelnden Reisegruppen und johlenden Junggesellenabschieden. Zudem können Touristen Preise hochtreiben, wenn Lokale und Läden von allen verlangen, was nur Urlauber auszugeben bereit sind. Andererseits: Dieses Problem erledigt sich teils von selbst, wenn die Wohnkosten so steigen, dass ganze Straßenzüge sich von Nachbarschaften in Unterhaltungsviertel verwandeln.

Derlei Entwicklungen werden auch unter dem Schlagwort Touristifizierung diskutiert. Das erinnert nicht zufällig an Gentrifizierung - an den Prozess also, der das soziale Gefüge so umkrempelt, dass betroffene Gegenden kaum mehr wiederzuerkennen sind. Auch in diesem Kontext müssen Vorbehalte Einheimischer gegen den Tourismus verstanden werden. "Der Tourist", ohnehin ein Klischee oft am Rande der Lächerlichkeit, wird schlimmstenfalls zum Feindbild.

Die Konflikte führen immer wieder zu aufsehenerregenden Aktionen: In Barcelonas Viertel Gràcia besetzten Aktivisten 2015 drei Monate lang ein im Bau befindliches Hotel (Slogan: "Gràcia is not for sale"), oft gibt es Demonstrationen. Im Berliner Wedding übernahm eine Gruppe im Januar 2016 ganz legal eine private Ferienwohnung, um auf die wachsende Wohnungsnot hinzuweisen. In Lissabon, das ebenfalls einen Tourismusboom erlebt, haben sich in Ausgehvierteln Initiativen wie "Aqui mora gente" ("Hier wohnen Menschen") gegründet. Tagsüber lebe man in einer Wüste, nachts in einem Dschungel, schreibt ein erboster Hauptstädter im Netz - in Anspielung an den Partytourismus mit seinen völlig verschobenen Rhythmen.

Touristen sind aber doch immer die anderen? Auch diejenigen, die mit besten Absichten reisen, sollten sich Fragen stellen. Etwa ob sie, indem sie ihr Ziel von einer "echten" Wohnung in einem der angesagtesten Viertel aus entdecken, nicht im schlimmsten Fall genau den Menschen schaden, die diese zum Leben bräuchten. Gerade für junge Leute sei es immer schwieriger, eine Wohnung in Lissabon zu finden, sagt Isabel Sá da Bandeira von "Aqui mora gente", und fügt hinzu: "Das große Problem ist, dass Touristen hier bald nur noch andere Touristen sehen werden, wenn alle Einheimischen verdrängt worden sind."

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