Mitten in ... Bonito Bei Bonito in der brasilianischen Feuchtsavanne. Auf zur Schnorcheltour im kristallklaren Rio Peixe. "Attacke!", sagt der rüstige alte Herr aus Paraguay. Er stamme ursprünglich aus dem Hunsrück, erklärt er den beiden Deutschen, die das eigentlich gar nicht wissen möchten. "Das sind Landsleute", erklärt der Alte seiner Frau. Der brasilianische Oberschnorchler deutet auf einen Wasserfall, den man sich später noch ansehen werde. "Aha! Den erledigen wir auf dem Rückzug!", übersetzt Paraguay. Im Wasser sagt Paraguay dann, seine Enkelin stehe auf Roque Santa Cruz, den Ex-Bayern-Profi: "Memme!" Die Deutschen müssen einräumen, auch viele Münchner Frauen seien solcher Art verirrt. Beim Abtrocknen, der Bus wartet, findet Paraguay: "Schön war das." Nur eines habe ihn gestört: "Der Führer sollte Deutsch sprechen." (Roman Deininger, SZ vom 27./28.2.2010) Foto: oh
Mitten in ... München München-Haidhausen, im Restaurant. Am Nebentisch sitzen zwei Männer und eine Frau um die 30 und lästern über die Kollegen von ihrer Castingshow. Blackberrys und iPhones liegen griffbereit neben den Tellern, man muss ja erreichbar sein, wenn die Babycalamares serviert werden. Die Kellnerin nähert sich mit der zweiten Flasche Wein. Der Anführer des Trios, vom Rang mindestens ein Fernsehproduzent, nippt am Glas und verzieht das Gesicht. "Kork. Eindeutig", sagt er sehr laut. Sein Kompagnon bestätigt, dass der Wein schon irgendwie anders schmeckt als die erste Flasche. Die Kellnerin wird einbestellt, inzwischen weiß das halbe Lokal von der angeblichen Kork-Affäre. Nächste Flasche, neuer Versuch. "Mmh, wusste ich's doch - der is' okay", sagt der Anführer. Und die Fernsehfrau, leiser: "Echt jetzt? Hätt' ich gar nicht gemerkt." (Christian Mayer, SZ vom 27./28.2.2010) Foto: oh
Mitten in ... New York In "Green Eggs and Ham", dem amerikanischen Kinderbuchklassiker von Dr.Seuss, drängt eine penetrante Katze namens Sam dem Helden grüne Eier mit Schinken auf, obwohl der immer wieder beteuert, sie nicht zu mögen. 50 Jahre später sind grüne Eier das ganz große Ding in New York. Auf dem Markt am Union Square reißen sich die Leute um die blassgrünen Araucana-Eier. Beim Bio-Giganten Whole Foods liegen riesige dunkelgrüne Emu-Eier im Stroh. Auch sonst gilt: Wenn Eier heute noch weiß oder braun sind, sind sie nicht mehr zeitgemäß. Was bei diesem Trend zuerst da war, die Henne oder das Ei, ist unklar. Stecken die Köche der Kochsendung "Iron Chef" dahinter? Oder war es Martha Stewart, die Exotenhühner als eierlegende Pudel propagiert? Diese Mode hat jedenfalls längst die Dekadenzphase erreicht. (Jörg Häntzschel, SZ vom 27./28.2.2010) Foto: dpa
Mitten in ... Kabul Der Winter verschwindet aus Kabul. Die Kinder machen sich ein Vergnügen daraus, die Schneereste auf die Straßen zu werfen. Sie kreischen vergnügt, wenn Autos den Matsch zerdrücken. Hassib steht vor dem Shahr-e Naw Park. Er friert nun nicht mehr, wenn er seine CDs und DVDs anbietet. Das Geschäft läuft ganz gut, etwa 25 Silberscheiben bringt er jeden Tag für umgerechnet einen Euro an den Mann. Im Angebot: Die besten Szenen aus dem Leben des Kriegsfürsten Dostum, Tom und Jerry, Bollywood-Streifen. Ein Cover verspricht 100 afghanische "Top Hits", die in Wirklichkeit 16 iranische Volkslieder sind. Besonders beliebt sind Filme mit leicht bekleideten Bauchtänzerinnen. "Davon können meine Kunden nicht genug bekommen", sagt er. Eine Frau geht an seinem Stand vorbei. Sie trägt eine Burka, ihr ganzer Körper ist bedeckt. (Tobias Matern, SZ vom 27./28.2.2010) Foto: dpa
Mitten in ... Kapstadt Ein tropischer Garten, eine Oase der Ruhe. Es ist ein kleines Paradies, welches sich Ralf mit seinem Bed & Breakfast in Kapstadt geschaffen hat. Einer seiner Gäste war dieser Tage eine Dame vom deutschen Privatfernsehen, die, wenn man sie als Luxusweib bezeichnet, dieses als Auszeichnung empfinden würde. Angereist ist die Blondine mit einem Koffer, der fast die Ausmaße einer deutschen Eichenschrankwand einnimmt. Es ist heiß, gut 30 Grad, man könnte dreimal am Tag die Wäsche wechseln. Sie macht das auch - ihr steht ja genug zur Verfügung. Nach vier Tagen will sie die Rechnung begleichen und fragt Hotelier Ralf, wann denn eigentlich ihre Kleider zurückkomme, die sie jeden Tag in den hübschen Wäschekorb getan habe. Der schickt ein ungläubiges Lächeln zurück: "Wir haben doch gar keinen Wäscheservice. Das war der Abfalleimer." (Lars Langenau, SZ vom 20./21.2.2010) Foto: Schauhuber
Mitten in ... Paris Keine Ahnung, wann es angefangen hat, plötzlich waren sie da. Im Gittergeländer der Brücke hängen Dutzende kleine Vorhängeschlösser. Und täglich werden es mehr. Da schaut ein junges Paar in die Wellen der Seine, man küsst sich. Was man einander zu sagen hat, soll keiner hören, es ist ein selbstvergessener Augenblick. Er zieht ein Schloss aus der Tasche, nicht zu klein, ein Herz und zwei Namen passen drauf, mit Nagellack gemalt. Selbst ältere Paare und "heimlich stille Liebe, von der niemand nichts weiß", wie es im Volkslied heißt, darf sich hier offenbaren. Die Fußgängerbrücke, die vom Institut de France zum Louvre führt - Pont des Arts - wird von Liebenden besonders geschätzt. Mit Taschenmessern in Baumrinden zu ritzen, das war im vorigen Jahrhundert. Nun können sie sagen, sie hätten ein Schloss an der Seine. Der Schlüssel wird ins Wasser geworfen. (Gerd Kröncke, SZ vom 20./21.2.2010) Foto: Kröncke
Mitten in ... Frankfurt Das riesige Kaufhaus auf der Zeil ist relativ leer. Nur eine Gruppe chinesischer Touristen strömt durch die Gänge. Sie haben sich aufgeteilt. Die ersten staunen im Erdgeschoss, tiefgebeugt über die teuren Uhren. Andere im vierten Stock, bei den Haushaltswaren. Kichernd umkreisen sie einen Mülleimer, der sich per Fußtritt öffnen lässt. Offenbar eine Errungenschaft der westlichen Welt, die den chinesischen Markt noch nicht überschwemmt hat. Die einen wirken orientierungslos, die anderen sind angetan von all den guten Erfindungen. An der Kasse trifft man sich wieder. Zwei junge Touristen haben etwas erstanden, das sie mitnehmen werden in die Heimat. Ein kleines Stück Deutschland. Zwei Spiegelei-Formen. Bald wird es also auch in China Spiegeleier geben, die aussehen wie Wolken. Erst in China, und dann auf der ganzen Welt. (Marc Widmann, SZ vom 20./21.2.2010) Foto: Buschmann
Mitten in ... Washington Olympia, betrachtet durch die Filter des US-Fernsehens, ist eine rein amerikanische Sache. NBC, der Monopolist für bewegte Bilder aus Vancouver, räumt zwei 15.- und 16.-platzierten US-Rodlerinnen zehnmal mehr Sendezeit ein als der ganzen Sportart Biathlon, wohl, weil sie als unamerikanisch gilt. No Neuner in DC. Übertroffen wird der Chauvinismus nur vom Kommerz: Den Abfahrtslauf der Damen sendete NBC nicht live, sondern abends zur Prime Time - als Konserve mit BWM- und Audi-Werbung. Vergeblich versucht der Deutsche, sich über das Internet die Spiele in Echtzeit anzusehen. Zwar fand sich für Einsätze von St.Pauli stets irgendein salvadorianischer Privatsender, der übertrug. Bei Olympia aber haben die NBC-Gewaltigen die US-Bürger eingemauert wie einst nur die SED das Volk der DDR: Ausländische Livestreams bleiben tot. (Christian Wernicke, SZ vom 20./21.2.2010) Foto: ddp
Mitten in ... Kentucky Die Countdown-Anzeigen in den Schaufenstern blinken seit Wochen. Noch 21, noch 14, nur noch ein Tag! Get your last minute gift for Valentine's Day! Im Herzen der USA, in Kentucky, hat der 14. Februar neben der Umsatzförderung noch eine andere Bedeutung. Sie hat auch mit Liebe zu tun, allerdings mit körperlicher. Im US-Staat der millionenschweren Rennpferde wird bei der Zucht nämlich nichts dem Zufall überlassen. Da die Fohlen zwischen Januar und April zur Welt kommen sollen, beginnt jedes Jahr um den Valentinstag die Paarungszeit. Dreimal am Tag müssen die männlichen Gewinner großer Derbys dann ran, drei Monate lang. Penibel wird jeder Akt mit Video und Samenprobe dokumentiert. Ein sehr weicher Boden und einige Helfer schützen den Hengst in der Liebeskammer vor Verletzungen - und bissigen Stuten. (Ann-Kathrin Eckardt, SZ vom 13./14.2.2010) Foto: Reuters
Mitten in ... Buenos Aires Argentiniens Rindfleisch ist teuer geworden, das und die sagenhafte Sommerhitze machen Buenos Aires zu schaffen. Immerhin warb die Präsidentin Cristina Fernandez de Kirchner an einem besonders heißen Tag kürzlich für Schweinefleisch: "Schweinefleisch verbessert die sexuelle Aktivität", gab die Staatschefin bekannt. Spanferkel sei besser als Viagra. Das Publikum schwitzte und staunte. Sie wolle keine Reklame machen, fuhr die Expertin fort, aber: "Ich habe das danach gemerkt." Danach? Sie lachte. Kirchner, ihr Vorgänger und Mann, werde sie umbringen, wenn sie noch mehr erzähle. Wenige Tage später musste Herr Kirchner dann an der verstopften Halsschlagader notoperiert werden. Cholesterin? Zu lange Nächte? Ging alles gut aus, er ist wieder entlassen. Schwein gehabt, sicher wird am Wochenende wieder gegrillt. (Peter Burghardt, SZ vom 13./14.2.2010) Foto: Reuters
Mitten in ... Tokio In Japan muss man den Müll sehr kompliziert sortieren, getrennt wird "brennbar" von "nicht-brennbar"; PET-, Glasflaschen, Dosen werden je separat eingesammelt. Zeitschriften gehören nicht zu den Zeitungen, für Pappkarton und Sperrmüll gibt es je eine eigene Abfuhr. "Brennbar" ist, was biologisch abbaubar ist oder ungiftig verbrennt. Alte Laufschuhe sind "nicht brennbar". Stellt man Sperrmüll an "Nicht-brennbar"-Tagen hinaus, bleibt er mit einem belehrenden Etikett versehen zurück. Holt man ihn nicht wieder rein, ruft eine Nachbarn an. Steckte "Nicht-Brennbares" in der "Brennbar"-Tüte, meldet sich auch die Müllabfuhr. Irgendwann gewöhnt man sich an das strikte Regime. Dann kommt ein Brief: Der Stadtteil habe einen neuen Ofen, künftig seien auch Gummi und Plastik "brennbar", Laufschuhe zum Beispiel. (Christoph Neidhart, SZ vom 13./14.2.2010) Foto: Reuters
Mitten in ... München Auf dem eiskalten Bahnsteig am Ostbahnhof spielt sich ein Drama ab. Ein Inder, der vor einer Stunde mit der Maschine aus Mumbai gelandet ist, erklärt dem Mann in der warmen Aufsichtsstube auf englisch, dass er seinen Koffer in der Flughafen-S-Bahn vergessen hat. Der Aufsichtsmann raunzt den Inder in breitestem Bayerisch an. Der Inder versteht kein Wort. Zwei Jugendliche schalten sich ein, aber auch ihr Deutsch ist schlecht. Sie kommen aus Nepal und sind erst seit kurzem in Deutschland. Sie verstehen nicht, warum der Aufsichtsmann so unfreundlich ist. Was haben wir denn getan, fragen sie. Der Bahnsteig ist voll, alle hören die Gespräche, weil der Aufsichtsmann inzwischen brüllt. Ich schalte mich ein und übersetze. In den Augen des Inders aus Mumbai stecken Jetlag und Verzweiflung. Dann kommen ihm die Tränen. (Thorsten Schmitz, SZ vom 13./14.2.2010) Foto: dpa
Mitten in ... Truinas Monsieur Fernand verbringt die meisten Tage auf einem weißen Plastikstuhl. Der steht im südfranzösischen Truinas vor seinem Bauernhaus, das direkt an die kleine Straße grenzt. Fährt man den Hügel hinunter, steuert man direkt auf den alten Herrn zu. Der bleibt unbeweglich sitzen, ein Hupen zum Gruß bringt gar nichts. Monsieur Fernand hört nichts mehr. Erst wenn man einen Fußbreit vor seinem Stuhl zum Stehen gekommen ist, kneift er die Augen zusammen und schiebt schwerfällig den Kopf nach vorne, als würde er plötzlich in der Ferne etwas entdecken. Er braucht noch einen Moment. Dann ist er sich sicher, dass vor ihm jemand steht und er grüßt. Kürzlich traf man ihn erstmals außerhalb seines Plastikstuhls. Grün gekleidet stand er am Waldrand von Saoû. Über seiner Schulter hing ein Gewehr. In Südfrankreich ist Jagdsaison. (Inga Rahmsdorf, SZ vom 6./7.2.2010) Foto: iStock
Mitten in ... Moskau Nichts geht ohne Visum und Visitenkarte - Ausländer in Moskau sollten sich ausweisen können, vor den Beamten und natürlich auch in der Gesellschaft. Neulich bei einer Party ein überraschendes Bekenntnis: "Nur die Handynummer stimmt", sagte der Mann etwas verlegen, als er mir seine Visitenkarte gab. Der Firmenname, der Beruf, die Adresse, die Website - galant weitergereicht, doch alles frei erfunden. Der Mann zieht seit Jahren dank seiner berufstätigen Frau durch die Welt, hütet zu Hause die Kinder und hat offensichtlich ein kleines Rollenproblem. Kein Beruf, keine Karte, kein Mann - und das in Russland! "Ich erfinde mich immer wieder neu", sagt er, "diesmal bin ich Inspektor." Oder wie auf der Karte zu lesen ist: "Quality Inspector". Ein Beruf, den man in Moskau eigentlich sehr gut gebrauchen könnte. (Frank Nienhuysen, SZ vom 6./7.2.2010) Foto: iStock
Mitten in ... New York Kürzlich zeigte eine Ausstellung, wie New York ausgesehen haben muss, als Henry Hudson hier vor 400 Jahren die Nordostpassage nach Indien suchte. Bäche und Wälder, wohin das Auge blickte. Nun kommt die Stadt diesem bukolischen Zustand ein Stück näher. Es begann mit den Stinktieren, die sich in einem Wohnblock in der Bronx eingerichtet hatten. Vor einigen Tagen griff die Polizei dann auf einem Friedhof einen Kojoten auf. Die Beamten haben Übung: Im Central Park fingen sie allein im Januar acht Waschbären. Es ist nicht schwer, sie zu entdecken. Sie klettern durch die Bäume, tappen um den See und starren Spaziergängern ins Gesicht. Viele von ihnen haben Tollwut. Doch das größte Rätsel geben der Stadt die unterernährten Gockel auf. In einem kleinen Park in Greenwich Village wurden seit Herbst fünf gefunden. (Jörg Häntzschel, SZ vom 6./7.2.2010) Foto: dpa Eine kostenlose Leseprobe der Süddeutschen Zeitung - hier klicken.
Mitten in ... Berlin An einem der Briefkästen im Kreuzberger Mietblock habe eines Abends ein Zettel gehangen, berichtet die Freundin. Kugelschreiber, hüpfende Buchstaben: "Lieber Zeitungsdieb, herzlichen Glückwunsch, Sie haben Geschmack! Auch ich schätze diese Zeitung, darum habe ich sie ja abonniert. Wenn Sie also so freundlich wären, in Zukunft nicht mehr... Danke. Verbindliche Grüße!" Am nächsten Morgen, erzählt sie weiter, hatte sich unter der ersten Botschaft eine zweite eingefunden. Kugelschreiber, Blockbuchstaben: "Schon kapiert. Sorry." Siehste, ruft man froh, ist doch viel raffinierter! "Dachte ich auch", sagt sie trocken, "bis ich gemerkt habe, dass meine eigene Zeitung weg ist." Nach zwei weiteren Diebstählen hängte sie einen Zettel auf. Rotstift, Versalien: "FINGER WEG ARSCHLOCH SONST ANZEIGE !!!" Traurig, aber das half. (Tanja Rest, SZ vom 30./31.1.2010) Foto: ddp
Mitten in ... Barcelona Wer deutsche Kliniken nicht mag, war noch nie in einer spanischen. Morgens aufzuwachen und auf einem Ohr nichts mehr zu hören, kann einem eine Stadt wie Barcelona schon verderben. Rechts dringen das Mopedgeknatter und das Gekeife der Nachbarin ans Trommelfell. Von links - nichts. Ich renne ins Hospital de Sant Pau, das hat eine tolle Jugendstilfassade, aber leider keine Instrumente, um ein Ohr zu putzen, heißt es nach vier Stunden Warten. Ich lerne das längste spanische Wort: Otorinolaringologo, Hals-Nasen-Ohrenarzt, und finde trotz Halbtaubheit sogar einen. Der setzt eine armlange Metallspritze an, die das Problem mit einem scharfen Wasserstrahl beseitigt. "Das ist wie bei Jesus", sagt der Doktor und streichelt sein antikes Instrument. "Der hat auch die Tauben hörend gemacht." Nur hat Jesus keine 100 Euro dafür kassiert. (Sebastian Schoepp, SZ vom 30./31.1.2010) Foto: AFP
Mitten in ... München Genervt stöhnt die Zeitungsverkäuferin im engen Münchner Bahnhofskiosk ins Telefon: "Gestern war hier wieder so wenig los, dass ich den ganzen Tag lesen musste." Sie lehnt sich auf die Kassentheke. "Etwas über Geduld zum Beispiel", schiebt sie lautstark hinterher. "'Ungeduld erschwert einem immer den Weg', stand da. Die macht einen nur unglücklich. In schlimmen Fällen soll man bis zehn zählen, in ganz schlimmen sogar bis 20." In der Zwischenzeit hat sich eine kleine Schlange vor ihrer Kasse gebildet. Die Verkäuferin unterhält sich weiter hingebungsvoll am Telefon. Die Zeit verstreicht. Eins. Zwei. Drei. Bei 13 klemmt die Dame schließlich ihren Hörer unter das Ohr und zieht die Zeitungen des ersten Kunden über den Scanner. Bei 16 nimmt sie das Geld entgegen. Bei 19 gibt sie das Wechselgeld heraus. Die Methode funktioniert. (Jonas Reese, SZ vom 30./31.1.2010) Foto: ddp
Mitten in ... Paris Franzosen küssen später - als Italiener. Das ist uns aufgefallen, als wir von Rom nach Paris zogen. Während wir am Tiber schon nach flüchtiger Bekanntschaft abgebusselt wurden, als seien wir alte Schulfreunde, wurden wir an der Seine meist freundlich, aber kussfrei begrüßt. Nun kam meine Frau ins Haus und rief: "Unser Nachbar Benoît ist gerade auf dem Hof auf mich zugeeilt und hat mich geküsst." Nachdem ich nicht mit der gebotenen Begeisterung reagierte, meinte sie: "Ist das nicht ein schönes Zeichen, wie gut wir schon integriert sind?" Kurz darauf waren wir bei französischen Bekannten eingeladen und wurden an der Tür mit "bises" - Küsschen - empfangen, sogar von den Kindern. Das beruhigte mich in Sachen Benoît. Es geht tatsächlich nur um Integration! Wenn ich das nächste Mal Benoîts Frau auf der Straße sehe, werde ich sie auch küssen. (Stefan Ulrich, SZ vom 30./31.1.2010) Foto: Reuters
Mitten in ... New York Erst sah man die beiden am Times Square, dann auch an der Third Avenue. Wenig später wurden sie sogar in San Francisco und Atlanta gesichtet: ein schwer verliebtes Paar auf haushohen Plakaten. "Charles & YaVaughnie - Your are my soulmate forever! - cep" stand darunter. Wer waren die beiden? Nicht schwer, das herauszufinden: "cep" ist Charles E. Phillips, Co-Präsident des Softwarekonzerns Oracle, Aufsichtsratmitglied bei Morgan Stanley. Und wer wollte, konnte auf einer Website noch Hunderte weitere Bilder finden, die ihn und YaVaughnie bei Bootsausflügen und Geburtstagsfeiern zeigten. Offensichtlich hat YaVaughnie Wilkins die Werbekampagne für ihre Beziehung in Auftrag gegeben. Denn Phillips, der seine Frau Karen acht Jahre lang mit ihr betrogen hatte, hat sich nun auch von YaVaughnie getrennt. (Jörg Häntzschel, SZ vom 23./24.1.2010) Foto: AFP
Mitten in ... Shanghai Weniger als 100 Tage sind es noch bis zur Weltausstellung in Shanghai. Höchste Zeit, ein wenig die Hotelpreise zu manipulieren. Billige Hotels sind für Ausländer plötzlich ausgebucht. Wenn Chinesen zur Rezeption gehen, sind Zimmer frei. "Ich war bei acht Hotels", schimpft ein Geschäftsreisender. "Beim neunten habe ich meinen Taxifahrer reingeschickt. Er hat ein Zimmer bekommen." Ausländer seien nicht willkommen, sei ihm gesagt worden. Und tatsächlich: "Wegen der Expo dürfen nur noch Hotels mit besonderer Erlaubnis Ausländer aufnehmen", sagt die Empfangsdame des Hotels Nanyuan Yijia. Diese Regelung war schon viele Jahre nicht mehr durchgesetzt worden. In teuren "Ausländerhotels" sind internationale Reisende auch weiterhin willkommen. Zu erhöhten Preisen natürlich. Es ist ja bald Weltausstellung. (Henrik Bork, SZ vom 23./24.1.2010) Foto: Reuters
Mitten in ... Isfahan "Hi. Wir würden gerne reden." Zwei Augenpaare starren uns an. Aus irgendeiner Ecke des Imam Squares sind die iranischen Studentinnen aufgetaucht. Ihre Körper sind bis auf das Gesicht verhüllt. Ihr Lächeln wirkt offen. Wir setzen uns mitten auf dem Platz in den Rasen, wo sich abends Großfamilien zum Picknick treffen, wenn nicht gerade gegen das Regime demonstriert wird. "Was haltet ihr von Nuklearenergie?", fragt eine in gebrochenem Englisch. Im Unterton schwingt Überzeugung mit. Sie stößt auf unsere Skepsis, will ihre Meinung begründen, aber ein bestimmtes Wort scheint ihr zur Verständigung zu fehlen. Aufgeregt kramt sie in der Tasche und holt ihr Heft aus dem Englischgrundkurs hervor. Wie hieß noch einmal das neue Wort, das sie im Zusammenhang mit Nuklearenergie gelernt hat? Sie strahlt und zeigt es uns: "Peaceful!" (Marion Bacher, SZ vom 23./24.1.2010) Foto: ddp
Mitten in ... Tel Aviv Vor vier Monaten ist mir, quasi zur Begrüßung am neuen Wohnort Tel Aviv, mein Fahrrad gestohlen worden. Weil es zufällig das schönste Fahrrad in der ganzen Stadt war (schwarzer Rahmen, brauner Ledersattel), ist es mir gleich aufgefallen, als ich es jetzt bei einem Spaziergang wiedersah - festgekettet an einen Laternenpfahl. I ch habe unauffällig Posten bezogen und auf den Dieb gewartet. Gleichzeitig habe ich die Polizei angerufen, die schon nach einer knappen Stunde mit Blaulicht kam. Weil ich den Beamten schlüssig darlegen konnte, dass dies mein geklautes Fahrrad ist, fuhren sie los, mit Blaulicht natürlich, um auf der Wache Werkzeug zum Knacken des Kettenschlosses zu holen. Doch das hat ihnen dann leider ihr Chef verboten. "Kein Problem", sagten sie, "dann musst du es eben selber machen, und wir schauen einfach weg." (Peter Münch, SZ vom 16./17.1.2010) Foto: ddp
Mitten in ... Mostar Vom Kugelhagel des Jugoslawien-Kriegs durchlöcherte Ruinen neben grell gestrichenen Neubauten, eine uralte Moschee nahe hässlichen Hochhaussiedlungen - Mostar fasziniert und bestürzt von der ersten Minute an, man will die Stadt richtig kennenlernen. "Welcome to Mostar", sagt die Frau vom Tourismusamt lustlos, "die Brücke ist gleich da unten." Äh, ja, klar muss man die berühmte Alte Brücke sehen, die nach dem Krieg wieder aufgebaut wurde, aber die Stadt hat doch so viel zu bieten? "Na, die Brücke eben", entgegnet die Frau und zuckt die Schultern. Gibt es einen Stadtführer, der einem mehr als das Viertel um die Brücke zeigen kann? "Sonst wollen alle nur das sehen", sagt sie. Es gebe einen Stadtführer, das Büro sei neben der Brücke. Vielleicht hätte er mehr erzählen können als die Geschichte der Brücke. Doch das Büro ist geschlossen. (Karin Prummer, SZ vom 16./17.1.2010) Foto: dpa
Mitten in ... Chodschand Chodschand gilt als liberale Oase Tadschikistans, aber drumrum ist jede Menge Glauben. Da liegt das Fergana-Tal, Wiege der Frommen und der Fundamentalisten, Hochburg eines jahrhundertealten Islam. Das Hotel in Chodschand ist schummerig, über den Frühstückstisch laufen Kakerlaken, dafür hat das Zimmer Satellitenfernsehen. Auf dem ersten Kanal läuft ein amerikanischer Bibelsender. Ein Mann berichtet weinend von seiner Erweckung. Auf dem zweiten Kanal erhitzt sich ein US-Fernsehpfarrer. Im dritten Kanal wirbt eine christliche Organisation. Der vierte, der fünfte, der sechste - Beten, Erwecken, Schluchzen. Da, endlich, eine Kochsendung, neutrales Gelände! Eine Frau verrührt Joghurt und Blaubeeren, garniert alles mit Minze und hält das Glas in die Kamera. Dann sagt sie: "Denn der Herr will, dass wir uns gut ernähren." (Sonja Zekri, SZ vom 16./17.1.2010) Foto: ddp
Mitten in ... Rom Nicht, dass man es nicht wüsste. In Rom muss auf seine Tasche aufpassen. In der neuen Nachbarschaft aber haben alle versichert, Signora, seien Sie unbesorgt. Unsere Gegend ist sicher, nur anständige Leute hier. Wie schön, denkt man und macht sich mit der Tasche in der Hand auf den 50-Meter-Weg zum Lebensmittelladen. Dann knattert ein Moped heran, und eine Sekunde später steht man da - ohne Geld, Schlüssel, Telefon. In der Bar nebenan waren alle echt nett und hilfsbereit nach diesem Schreck. Und dann haben sie ausgepackt. Ja, Signora, das geht seit Monaten so. Sie sind die Fünfte oder Sechste. Gegenüber haben sie einem die Wohnung ausgeräumt, als er hier saß. Der kleine Supermarkt wurde zuletzt im Sommer überfallen, die Räuber hatten Pistolen. Wie schön, denkt man, wäre es, hätten die Leute das mal früher erzählt. (Andrea Bachstein, SZ vom 16./17.1.2010) Foto: dpa
Mitten in ... Paris Die Schlange am Fischstand ist wie üblich lange. Hier, im gediegenen Westen von Paris, ist die Nachfrage nach Austern, Garnelen und Lachs groß. Doch der korpulente Verkäufer mit dem wattierten Arbeitsanzug lässt sich mit dem Bedienen Zeit. Die Schlange wächst. Pariser sind es gewohnt, zu warten, im Stau, in der Metro, an Ladenkassen. Aber nun kommt Murren auf. Eine elegante Dame dreht sich zu mir um und sagt: "Dieser Verkäufer ist ein ganz unverschämter Mensch. Wissen Sie, was er neulich zu mir gesagt hat?" Ich verneine. "Ta gueule!", hat er gesagt. "Halt's Maul!" Sie habe sich sofort bei der Geschäftsführung beschwert. Aber nun bediene der Kerl immer noch. "Nur damit Sie wissen, mit wem Sie es da zu tun haben", klärt mich die Dame auf. Dann wünscht Sie mir noch eine angenehme Zeit in Frankreich. (Stefan Ulrich, SZ vom 9./10.1.2010) Foto: Reuters
Mitten in ... Buenos Aires Kürzlich saßen wir in meinem Lieblingscafé in Buenos Aires und sahen einem argentinischen Parkmanöver zu. Erst manövrierte eine Frau ihren neuen Kleinwagen aus der Lücke. Sie stieß hinten an, vorne, hinten, wieder vorne. Als man sie nach minutenlangem Gequietsche und Gewackel durch den Abgasnebel fragen wollte, ob man helfen könnte, da brauste sie davon. Sogleich kam ein Mann in einem älteren und größeren Automobil des Weges, der Parkplatz war nach menschlichem Ermessen zu klein für ihn. Er schlug ein, nahm rückwärts Maß und rammte das hintere Fahrzeug, das einen jammernden Hüpfer tat. Dann schob er wie ein Autoscooter das vordere zurecht, wieder das hintere, Stoßstangen und Nummernschilder ächzten. Der Fahrer stieg aus und verkündete triumphierend: "Ich wusste, dass ich da reinpasse." (Peter Burghardt, SZ vom 9./10.1.2010) Foto: iStock
Mitten in ... Kampala Moses war unser Nachtwächter. Die Kinder mochten ihn, weil er so schön mit ihnen herumalbern konnte. Nun aber ist der baumlange Kerl fort, einen Tag vor Weihnachten verschwand er. "Wo ist Moses?", fragen wir die Sicherheitsfirma. Die weiß es auch nicht. Vielleicht ist ihm etwas Schlimmes zugestoßen? An Neujahr lüftet ein Kollege das Rätsel: "Moses ist im Irak", flüstert er. Alles geheim, weil er hier nicht gekündigt hat. Er arbeitet jetzt für die Amerikaner in Bagdad. Die zahlen 1000 Dollar im Monat für einen ugandischen Wächter, mehr als er hier in einem Jahr verdient. Bagdad? Uns läuft es kalt den Rücken hinunter. Aber sein Kollege strahlt: "Moses hat das große Los gezogen. Wenn er zurückkommt, ist er wirklich richtig reich." Ja wenn, denken wir. Die Kinder vermissen ihn schon. Keinen konnten sie so gut leiden wie Moses. (Arne Perras, SZ vom 9./10.1.2010) Foto: iStock