Reisen in Georgien:Wie in Berlin

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Ia Tabagari ist eine treibende Kraft in Georgiens Tourismus. Zuerst hat sie Urlauber und Wein zusammengebracht, jetzt will sie Reiterinnen anlocken. (Foto: Hans Gasser)

In Georgien treibt die Pandemie kreative Städter wie die Unternehmerin Ia Tabagari aufs Land. Sie hat eine Öko-Pension mit Brauerei und Reitstall gegründet - auch wenn sie für ihre Ideen zunächst ausgelacht wurde.

Von Hans Gasser, Tiflis

Dieses Setting könnte auch irgendwo am Stadtrand von Berlin stehen: alte Steingebäude mit gläsernen, lichteinfangenden Zubauten, bunte Hängematten, Glühbirnen-Girlanden, Sommerküche, Liegestühle. Man sitzt auf einer Holzterrasse mit Blick über die Landschaft, die dann aber doch entschieden hügeliger ist als das Umland von Berlin. Auf der einen Seite ist ein kleines Tal mit Obstbäumen und einer steinernen Kirche zu sehen, auf der anderen geht der Blick über das breite Alazani-Tal auf die noch verschneiten Berge des Großen Kaukasus.

"Wir haben hier in ein verfallendes Gehöft wieder Leben gebracht und wollten so viel wie möglich von der alten Substanz erhalten", sagt Ia Tabagari und schenkt einen Rkatsiteli Rosé ein, natürlich ein Naturwein, dazu gibt es mit Walnusspaste gefüllte Auberginen, lokale Käsesorten und salzig-rauchige Schweinespießchen. "Für die Frauen aus dem Dorf, die hier kochen und putzen, ist es oft der erste Job außerhalb ihres Hauses, sie sind ziemlich happy." Zudem kaufe man auch Fleisch, Milch und Gemüse von den Bauern aus der Umgebung. "Ich habe sie ermutigt, sich als Kleinunternehmerinnen zu registrieren", so Tabagari, das geht in Georgien schnell und unkompliziert. All das habe seit der Eröffnung des Hotels 2019 sehr gut funktioniert, der Tourismus lief wie geschmiert - bis die Vollbremsung durch die Pandemie kam. Seit mehr als einem Jahr kommen so gut wie keine ausländischen Touristen mehr.

Hip und gemütlich: das Café auf dem Gelände des Lost Ridge Inn, das mal ein Bauernhof war. (Foto: Lost Ridge Inn)

Aber Ia Tabagari, eine energiegeladene Frau Mitte 50, lässt sich davon nicht entmutigen. Sie ist eine der bekanntesten Tourismus-Unternehmerinnen Georgiens, Vorsitzende des Verbandes der Reiseveranstalter, mit ihrem Verein "Women for future" unterstützt sie junge Unternehmerinnen. Vor etwa zehn Jahren hat sie damit begonnen, in Georgien den Weintourismus zu entwickeln, den es bis dahin in diesem ältesten Weinbauland der Erde nicht gegeben hatte. "Damals haben sie uns deshalb ausgelacht, heute gibt es an jeder Ecke Weinverkostungen und Übernachtungsmöglichkeiten", sagt Tabagari. "Und jetzt versuche ich eben, den Reittourismus zu entwickeln."

Das Lost Ridge Inn ist nämlich nicht nur eine Pension mit neun geschmackvoll eingerichteten Zimmern, einem Café und einem Restaurant mit Craft-Bier-Brauerei, sondern vor allem auch eine Ranch. Auf den Wiesen rund um das Hotel weiden Kabardiner und andere kaukasische Pferde, die elegant und besonders gebirgstauglich sind. Tabagari hat zwei Pferdeprofis eingestellt, die nun die bisher zwölfköpfige Herde entwickeln und für mehrtägige Touren im Kaukasus oder Tagesausflüge in nahen Naturschutzgebieten ausbilden.

Zum Reiten ist Georgien ein gutes Land, denn es gibt viel Natur, wie hier in Kachetien. (Foto: Lost Ridge Inn)

Und weil Ia Tabagari auch bisher ein untrügliches Gespür für die Entwicklungen im Tourismus hatte, könnte ihr Plan aufgehen, mit dem sie noch mehr als bisher auf naturnahen, ökologisch und sozial orientierten Tourismus setzt. "In Georgien ist der Tourismus in den letzten Jahren zu schnell gewachsen, darunter litt die Qualität", sagt Tabagari. Mit ihrem eigenen Veranstalter, der Wein- und Kulturreisen anbietet, hatte sie 2019 120 Touren angeboten, 2020 sollten es 200 sein. Doch dann kam Corona. "Nach der Pandemie wird sich der Tourismus verändern: kleinere Gruppen, mehr Individualtouristen, mehr Familien." Sie merke das jetzt schon, weil viele Familien aus Tiflis für lange Wochenenden hierher ins Lost Ridge Inn kämen, darunter viele Ausländer, die in der Hauptstadt leben. Für den kommenden Sommer hofft sie auf geimpfte Touristen aus Europa und Israel, die ohne Restriktionen einreisen dürfen.

Geschmackvoll eingerichtet: Zimmer im Lost Ridge Inn. (Foto: Hans Gasser)

Tabagaris Gästehaus liegt unweit des schmucken Ortes Sighnaghi, der sich in den vergangen Jahren zu einem der Zentren des georgischen Weintourismus entwickelt hat. Es gibt hier gepflasterte Straßen, viele Hotels und Restaurants, die zurzeit ziemlich leer stehen. Georgien kommt gerade langsam aus der dritten Welle, die hier später begann als in Europa. Weil es kaum staatliche Unterstützung gibt, müssen immer mehr Betriebe aufgeben. Tabagari ist seit Beginn der Pandemie mit einigen ihrer Angestellten vom Büro in Tiflis hierher gezogen. "Hier ist man freier als in der Stadt," sagt sie.

Dieser Überzeugung ist Shota Lagazidze schon länger. Der mehr als zwei Meter große Hüne trägt Hipster-Bart und Holzfällerhemd und braut im Lost Ridge Inn das Bier. Er ist schon vor fünf Jahren mit Frau und Kindern von Tiflis in den Weinort Telavi gezogen. "Ich habe gemerkt: Ich hasse die Stadt", sagt er in bestem Englisch. Für wenig Geld habe er 5000 Quadratmeter Weinberge gekauft und sich zusammen mit einem Freund das Weinkeltern selbst beigebracht. "Von den ersten 900 Flaschen Rkatsiteli haben wir 500 selber getrunken", sagt er und grinst. Heute seien es 3000 Flaschen Naturwein, die vor allem in den Export gehen. "Der Export hat uns im Pandemiejahr gerettet", sagt Lagazidze und zapft direkt aus dem Stahltank ein von ihm gebrautes Weißbier, das hopfig und leicht bitter schmeckt.

Er will den Georgiern das Craftbiertrinken beibringen: Shota Lagazidze, Bierbrauer und Weinbauer. (Foto: Hans Gasser)

Dass aus ihm jetzt auch noch ein guter Bierbrauer wurde, liegt auch an Ia Tabagari, die seine handwerklichen Fähigkeiten erkannt hat. Nach ein paar Brauerkursen in den USA habe er sich den Rest selber beigebracht: "Nach dem Prinzip Versuch und Irrtum. Viel Irrtum." Jetzt braut er wohlschmeckende IPAs, Belgian Blonde, Weizen- und sogar Trappistenbier. "Die Georgier sind das tschechische Industriebier gewohnt", sagt der 31-Jährige, "es dauert seine Zeit, bis sie geschmacklich umerzogen sind."

Die Kessel dampfen, es riecht nach Gerste und Hopfen, was sich mit dem Duft der Schweinespießchen mischt, die nebenan in der Sommerküche gegrillt werden. Shota hilft auch beim Grillen mit und erzählt nebenbei davon, dass er gerade auch noch daran arbeitet, in seinem Dorf eine Bäckerei zu eröffnen, Ökobrot mit wilden Hefen, ein Weizenfeld habe er schon angelegt. "Durch die Pandemie sind viele junge Georgier wieder aufs Land gezogen, um dort Wein zu machen oder Gemüse anzubauen. Aber es sind immer noch zu wenige." Georgien sei zwar für seine hervorragenden Agrarprodukte bekannt, der Großteil der Lebensmittel werde aber importiert, weil das billiger sei. Das ändere sich gerade, aber es liege immer noch viel Land brach, weil mehr als ein Drittel aller Einwohner in Tiflis lebe.

Die Georgier leiden stark unter der Pandemie, viele haben ihren Job verloren und müssen sich deshalb nach anderen Erwerbsmöglichkeiten umsehen. "Dadurch entwickelt sich das Land wieder stärker", ist Ia Tabagari überzeugt. Im Nachbardorf habe ein junger Mann damit angefangen, Käsesorten auf europäische Art zu machen, er komme mit der Produktion kaum hinterher; junge Frauen, die in Tiflis oder im Ausland studiert haben, keltern Wein in den Quevri-Tonamphoren, wie es schon ihre Vorfahren getan haben, so etwa Natia Gurjashvili aus dem Nachbardorf Tibani.

Hell erleuchtet: Sommernachtsparty im Garten des Lost Ridge Inn. (Foto: Nick Kachibaia/Lost Ridge Inn)

Und so sitzt man abends auf der schönen Terrasse mit Blick bis zu den Schneebergen Dagestans, trinkt Craft-Bier und Naturwein, isst dazu Walnüsse und den wirklich guten, mit Saperavi-Rotwein verfeinerten Käse. Ein lauer Abendwind weht über die Hügel, Pferde grasen, Schafe blöken. Bleibt nur zu hoffen, dass es diese Art von Tourismus ist, die sich nach der Pandemie durchsetzen wird.

Informationen:

Einreise: Georgien gilt als gewöhnliches Risikogebiet, für die Einreise braucht man einen maximal 72 Stunden alten PCR-Test oder einen Impfnachweis. Am dritten Tag im Land muss man noch einmal testen.

Anreise: ZB mit Lufthansa ab München nach Tiflis, Flugzeit vier Stunden, ca. 400 Euro, lufthansa.com

Unterkunft: Lost Ridge Inn, DZ mit FS für umgerechnet 48 Euro, lostridgeinn.com

Reisearrangement: Der Münchner Veranstalter Xenostours bietet Kulturreisen nach Georgien an, xenostours.de

Weinmacher und Bierbrauer Shota Logazidze: @LagaziWineCellar

Weitere Auskünfte: georgia.travel

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Von Hans Gasser (Text), Jessy Asmus, Ornella Giau, Irene Helmes und Julia Kandler

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