Wahlkampf in den USA:Daten sammeln für den Wahlsieg? Das machen alle

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(Foto: dpa; Bearbeitung SZ)

Die umstrittene Daten-Firma Cambridge Analytica hat sich 2016 durch die Hintertür Zugang zu 50 Millionen Facebook-Nutzerdaten verschafft. Obamas Team hat vier Jahre zuvor etwas ganz Ähnliches gemacht.

Von Matthias Kolb

Knapp eine Woche nach den ersten Enthüllungen über die dubiosen Methoden der britischen Datenanalyse-Firma Cambridge Analytica (CA) und die damit offen gelegten Sicherheitsprobleme bei Facebook ist die Aufregung noch immer groß. Die Informationen von 50 Millionen Nutzern wurden abgesaugt, nun stellen sich Fragen wie: Wird Facebook-Chef Mark Zuckerberg vor dem US-Kongress aussagen? Wird der Milliarden-Konzern seine Richtlinien ändern? Welche Auswirkungen hätte dies für die Nutzer?

In der hitzigen und weltweit geführten Debatte wird dabei mitunter einiges durcheinander geworfen, wenn es um die Rolle von CA geht. Die global agierende Firma hat sich vor allem in Europa geschickt als jener Akteur inszeniert, der Donald Trump auf sensationelle Art ins Weiße Haus gebracht hat. Diese endlos wiederholte PR-Behauptung erschien schon Ende 2016 mehr als zweifelhaft ( Details hier) - und durch sie wird auch das Bild von Wahlkämpfen in den USA verzerrt.

Datenmissbrauch bei Facebook
:Die schmierigen Geschäfte von Cambridge Analytica

Die umstrittene Daten-Firma hat weltweit 200 Wahlkämpfe unterstützt. Sie brüstet sich mit Trumps Sieg, dem Brexit und der Wiederwahl von Kenias Präsidenten. Dabei ist unklar, ob ihre Methoden wirksam waren.

Von Matthias Kolb

Denn wegen des besonderen Wahlsystems, bei dem die Mehrheit im electoral college wichtiger ist als die Mehrheit aller Stimmen, versuchen die hoch bezahlten Strategen der Beraterfirmen seit Jahrzehnten, besonders gute Daten über jene wahlentscheidenden Bundesstaaten ( swing states) zu bekommen. Ging es früher darum, wo am effektivsten Fernseh-Werbung geschaltet und welche Wähler mit vom Postboten zugestellten Briefen bombardiert wurden, so werden seit langem große Datenbanken angelegt und versucht, diese in ein System zu überführen.

Egal ob US-Demokraten oder Republikaner oder unabhängige Bewerber: Alle versuchen, so viele Daten wie möglich zu sammeln. Manche Informationen davon sind etwa über das Wahlregister frei zugänglich, andere müssen für viele Millionen Dollar von Spezialfirmen erworben werden. Schon 2012 sagte der Chef des Anbieters Aristotle, dass über manche Bürger bis zu 500 verschiedene Informationspunkte bekannt seien.

Anhand von Informationen wie Bildungsabschluss, Zeitschriftenabos oder der Automarke lässt sich in Kombination mit dem Wohnort und diversen Algorithmen prognostizieren, ob jemand eher den Demokraten oder den Republikanern zuneigt - und ob sich eine Kontaktaufnahme überhaupt lohnt (die Diskussion mit politischen Gegnern gilt als Zeitverschwendung). Und schon 2012 waren auf www.barackobama.com 76 verschiedene Tracking Tools platziert, die Daten von den Besuchern der Seite sammelten.

Cambridge Analytica war nur Zulieferer für Trumps Kampagne

Die Rolle von CA im Trump-Wahlkampfteam 2016 war klar definiert und unstrittig: Sie wurde von Digital-Chef Brad Parscale als Hilfsarbeiter angeheuert. Von solchen Dienstleistern, die etwa das Tracking übernehmen oder Videos mit Attacken auf den politischen Gegner produzieren, gibt es Hunderte in den USA. Sie heißen auf der konservativen Seite "TargetPoint", "Push Digital" oder "Harris Media" ( diese Firma arbeitete 2017 für die AfD), während sich Demokraten auf "NGP Van", "Timshel" und "Blue State" verlassen. Dass Memes heute wichtig sind, Argumente zugespitzt und der Gegner permanent schlecht gemacht werden muss, das wissen in diesem Geschäft alle.

In einem Bloomberg-Artikel, der zwei Wochen vor der Wahl im November 2016 erschienen war, wurde die Bedeutung von Facebook betont und CA in der Rolle des Zulieferers beschrieben. Dort wurde betont, dass CA seit längerem Kontakte zu Trumps damaligen Wahlkampfchef Stephen Bannon hatte. Über ihn erhielten der Journalist Sasha Issenberg und Bannons späterer Biograph Joshua Green exklusiven Zugang. Issenberg ist sich sicher, dass die als "secret sauce" umschriebene Zaubermethode von CA bei Trumps Wahlkampagne nie angewendet wurde.

Wenige Tage vor den Enthüllungsberichten in Guardian, New York Times und Channel 4 über das illegale Datenabsaugen unter dem Vorwand einer wissenschaftlichen Studie zitierte die NYT in einem kritischen Text ein Dutzend konservative Wahlkampfberater und Ex-Trump-Mitarbeiter, die CA vorwerfen, sich aufzuspielen. Und wie reagierte der nun suspendierte CA-Chef Alexander Nix? Er lehnt es im Gespräch mit der NYT ab, auch nur eine Wahlkampagne zu identifizieren, bei der sein Ansatz "entscheidend zum Sieg" beigetragen habe.

Dass es bei jedem Rennen auch auf den Kandidaten, dessen Botschaft, den Gegner der anderen Partei, die globale Entwicklungen und nicht zuletzt auf Glück ankommt, ist eigentlich nicht erwähnenswert. Doch diese Skepsis geriet im Wunsch, CA zu dämonisieren und Trumps Sieg irgendwie zu rationalisieren, in den Hintergrund.

Was viele heute längst vergessen haben und was unter Experten unstrittig ist: Das Organisationsgremium der Republikaner (RNC) hatte mit Dutzenden Dollar-Millionen parallel zu Trumps Kampagne eine höchst professionelle Organisation aufgebaut, weil man 2012 Obamas Team so deutlich unterlegen war. Wenn nun der Guardian interne CA-Dokumente publiziert, in denen steht "Als wir im Juni bei Trump 2016 anfingen, gab es keine Daten-Infrastruktur", dann wird hier kein Geheimnis gelüftet oder etwas enttarnt: Die RNC-Struktur sollte stets dem gekürten Kandidaten zuarbeiten.

Was die Obama-Leute 2012 alles an Daten absaugte

Die wachsende Bedeutung von Big Data und Social Media für US-Wahlkämpfe ist hinreichend bekannt: Alle vier Jahre versuchen Präsidentschaftskandidaten, die jeweils neueste Technik für sich zu nutzen. 2004 setzte der Demokrat Howard Dean auf Meetup-Gruppen, während 2008 Barack Obama sehr erfolgreich Facebook in seine Kampagne integrierte. 2012 gilt allgemein als "Twitter-Wahl", weil hier erstmals atemlos rund um die Uhr berichtet wurde und die Kandidaten oft nur wenige Minuten Reaktionszeit hatten.

Für Obamas Wiederwahl 2012 holte sich dessen Wahlkampf-Chef Jim Messina viele Tipps vom damaligen Google-Chef Eric Schmidt. Die "Obama 2012"-Kampagne nutzte das exakt gleiche Werkzeug namens "social graph API", das Cambridge Analytica verwendete, um Daten von Facebook abzusaugen. Carol Davidsen trug damals den Titel "Director of data integration and media analytics" und sie berichtete 2015 in einem Vortrag, dass die Obama-Leute damals "das gesamte soziale Netzwerk" in ihre Datenbank überführen konnten.

Die ehemaligen Obama-Mitarbeiter betonen laut AP aber: Sie hätten die Informationen in ihrer eigenen App verwendet und die Million Obama-Fans, die ihnen Zugang zu den Daten ihrer Freunde gaben, hätten dem vorher ausdrücklich zugestimmt. CA hingegen erhielt die Daten über eine App des Wissenschaftlers Aleksandr Kogan, der diese für Studienzwecke nutzen wollte ( er wirft CA vor, ihn zu Unrecht zum Sündenbock zu machen).

Diesen Unterschied hebt auch der deutsche Politikberater Julius van de Laar, der 2008 und 2012 für Obamas Team arbeitete, im Gespräch mit der FAZ hervor: "Wir haben unsere Freunde aktiv aufgefordert, Freunde aus ihrem Netzwerk anzusprechen, um für Obama zu werben oder sie zum Wählen aufzufordern." Bisher spricht nichts dafür, dass die Obama-Mitarbeiter (viele arbeiteten 2016 auch für Hillary Clinton) etwas Illegales getan haben. Die Download-Möglichkeit ist von Facebook mittlerweile deaktiviert worden, aber die Demokraten verfügen weiterhin über diese Daten. Und trotz dieses Vorteils ist Hillary Clinton nicht Präsidentin geworden.

Am Sonntag schrieb Carol Davidsen, die ehemalige Daten-Expertin von "Obama 2012", in einem Tweet, dass Facebooks Mitarbeiter überrascht gewesen seien, wie viele Daten ihre Leute abgesaugt hätten: "Sie haben uns nicht gestoppt. Nach der Wahl kamen sie in unser Büro und sagten ganz offen, dass sie uns Dinge erlaubt hatten, die sie anderen verboten hätten, weil sie auf unserer Seite stünden." Höchste Priorität schienen Datenschutz und der Sicherung der Privatsphäre ihrer Nutzer bei Facebook damals nicht gehabt zu haben.

Die Vorteile einer ambitionierten, auf möglichst vielen Daten basierte Wahlkampf-Strategie sind vielfältig. So lassen sich nicht nur Spenden sammeln, sondern auch Botschaften entwickeln und mit A/B-Tests präzisieren: Welche E-Mail mit welcher Botschaft wird am häufigsten geöffnet und sorgt Michelle Obama für mehr Interesse als etwa ihr Ehemann? Der Reiz von Social Media erschließt sich ebenfalls schnell: Gerade als Präsidentschaftskandidat will man viele Schichten erreichen - und seine Botschaften für jüngere Frauen, die vor allem Instagram und Pinterest, anders aufbereiten als die Snapchat- Aktivitäten, die Erstwähler ansprechen sollen.

Das - anders als in Deutschland - in den USA immer noch beliebte Twitter und Facebook spielen weiter eine besondere Rolle. Hier versuchen die Wahlkämpfer, die ihnen bekannten Sympathisanten dazu zu bringen, Botschaften ihres Kandidaten selbstständig zu posten und so Freunde aufmerksam zu machen. Denn Forscher wie Donald Green, die die Effektivität von Wahlkampf-Strategien erforschen, stellen seit Jahrzehnten fest, dass Botschaften von einem Verwandten oder Kollegen anders wahrgenommen werden als Werbepostings. Auch deswegen verbringen Kandidaten so viel Zeit damit, für Selfies zu posieren - diese Authentizität ist viel wert und bringt kostenlose Werbung.

Am erfolgreichsten sind Wahlkämpfe immer dann, wenn sich die Online- und Offline-Strategien gut ergänzen und Kandidat oder Kandidatin die eigenen Anhänger und neue freiwillige Helfer motivieren. 2016 setzte sich der Trend zur Gamification fort: Fans sollten sich Apps herunterladen und bekamen wie in einem Spiel Punkte, wenn sie Geld spenden oder in sozialen Netzwerken Beiträge des Kandidaten teilten. Eine Rangliste hielt fest, wer sich am engagiertesten war.

Eine große Datenbank hilft aber vor allem, das weiterhin wichtige "An-die-Tür-Klopfen" zu organisieren. Die Helfer erhalten über eine App angezeigt, wo sie klingeln sollen und halten fest, was die Bürger den Wahlkämpfern dort mitteilten und ob diese schon vorab per Briefwahl abgestimmt haben. Politik-Professor Green ist überzeugt: "Es gibt tatsächlich kaum etwas Effektiveres, als wenn Nachbarn oder Bekannte vor deiner Tür stehen und für ihren Kandidaten werben." Ähnliches hat die CDU übrigens 2017 mit ihrer "connect17"-App auf digitale Art zu organisieren versucht - natürlich unter Wahrung des deutschen Datenschutzes.

Trumps Wahlkampf wird 2020 von einem Digital-Experten organisiert

Ob Facebook in den kommenden Monaten und Jahren seine Richtlinien freiwillig oder durch politischen Druck verschärfen wird, ist heute völlig offen. Jegliche Änderung hätte sicherlich Auswirkungen auf die Wahlkampf-Strategien jener Bewerber, die 2020 für das Weiße Haus kandidieren werden. Allerdings scheint die Prognose erlaubt, dass die Digital-Experten Mittel und Wege finden werden (sie mögen teurer sein und mehr Mitarbeiter erfordern), um den potenziellen Wählern und Wählerinnen weiterhin möglichst passgenaue Botschaften zu liefern.

Die weiterhin wachsende Bedeutung von Big Data, Social Media und gut integrierten Datenbanken hat niemand anders als Donald Trump vor einigen Wochen deutlich gemacht. Er kürte mit Brad Parscale jenen Mann zum Leiter seiner Wiederwahlkampagne, der 2016 für alles Digitale verantwortlich gewesen war. Dass in diesem Kontext von Cambridge Analytica nie die Rede war, dürfte seine Gründe gehabt haben.

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