Weg zur Wiederwahl des US-Präsidenten:Obamas Rezept

U.S. President Barack Obama during a news conference in the East Room of the White House in Washington

Zweiter Amtseid steht bevor: US-Präsident Barack Obama.

(Foto: Reuters)

Am Sonntag wird Barack Obama zum zweiten Mal als US-Präsident vereidigt - dank einer perfekten Organisation und vieler Freiwilliger. Der Politik-Professor Don Green erklärt im Interview, warum der Präsident eine zweite Amtszeit gewann und was deutsche Wahlkämpfer von ihm lernen können.

Von Matthias Kolb, New York

Am 20. Januar legt Barack Obama seinen Amtseid ab (die öffentliche Inauguration Ceremony findet abweichend am Montag, den 21. Januar statt, da der 20. diesmal auf einen Sonntag gefallen ist), zweieinhalb Monate nach seinem Sieg über den Republikaner Mitt Romney. Ein Jahr lang hat Süddeutsche.de den amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf begleitet, in dem beide Kandidaten mehr als eine Milliarde Dollar ausgaben - mit Reportagen, Kommentaren, Interviews und einem US-Wahlblog. Darin haben die Autoren versucht, die abseitigen, kuriosen und besonderen Momente zu schildern und Hintergründe zu Wahlkampfstrategien zu beleuchten.

Vor der zweiten Inauguration Obamas ziehen wir mit Donald Green, Politik-Professor an der Columbia University, Bilanz. Zusammen mit seinem Universitätskollegen Alan Gerber hat Green die Forschung über Wahlkämpfe revolutioniert: Die beiden Wissenschaftler ermitteln mit Experimenten, welche Methoden bei Kampagnen wirken und wie viele Dollar ein Politiker investieren muss, um eine Stimme zu erhalten.

SZ.de: Professor Green, die Präsidentschaftswahl 2012 ist vorbei, doch in Washington reden viele noch immer über die Strategien von Obama und seinem Gegner Romney - und wer welche Fehler gemacht hat. Was sind die drei wichtigsten Lehren aus dem letzten Wahlkampf?

Donald Green: Die erste Erkenntnis ist, dass Fernsehwerbung an Grenzen stößt. In den letzten Wochen hatten gerade die Republikaner alle verfügbaren Plätze gekauft und trotzdem verloren. Wer dachte, dass man mit einem Bombardement von TV-Spots gewinnen kann, hat sich getäuscht. Ich vermute, dass in den Kampagnen mehr als 1000 Dollar pro Wählerstimme investiert wurden. Zum Zweiten hat Obama sein Budget schlauer eingesetzt. Seine Leute haben die Freiwilligen sehr gut organisiert, die dafür sorgen, dass Bürger wirklich wählen gehen. Es scheint, als hätten die Demokraten in den swing states die entscheidenden Stimmen in den letzten Tagen gesammelt.

Romneys Team klagte hingegen in den letzten Tagen vor der Wahl über Probleme mit dem Computersystem.

Diese Fehler haben mich auch verwundert, denn Geld war genug vorhanden. Die dritte Erkenntnis: Trotz all der Planung und der umfassenden Organisation moderner Wahlkämpfe können einzelne Ereignisse das Meinungsbild der Wähler zumindest kurzzeitig verändern. Das war eindeutig nach der ersten TV-Debatte so, bei der Obama sehr schlecht aussah und Romney aufholen konnte. Doch diese Stimmungsänderung hielt nicht bis zum Wahltag am 6. November an. Aber es wird sicher Monate dauern, bis alle Daten ausgewertet sind und wir Wissenschaftler uns ein umfassendes Bild machen können.

War Barack Obama als Amtsinhaber nicht von Beginn an im Vorteil in diesem Rennen?

Natürlich hilft es, dass sich der Präsident nicht in einer Vorwahl behaupten muss. Die Obama-Leute waren jedoch besessen davon, Daten zu nutzen und Erkenntnisse aus der Forschung anzuwenden. Anders als die Konservativen hat die Linke in Amerika eigene Institutionen, um ihre Leute auszubilden. Aus Umfragedaten wissen wir, dass nur 20 bis 30 Prozent der Wähler in den wahlentscheidenden Staaten von Romney-Helfern kontaktiert wurden - ein ziemlich schlechter Wert. Die Wahl 2012 ähnelte der von 2004: Es herrschte eine polarisierte Stimmung und die Kandidaten versuchten stärker, ihre Anhänger zu mobilisieren, als die Allgemeinheit von sich zu überzeugen. Künftige Studien werden zeigen, ob Obamas bessere Organisation den Ausschlag gab - oder die Tatsache, dass die Basis der Republikaner sich erst nach der Debatte in Denver für Romney begeistern konnte. Das war sicherlich zu spät.

Gewünschte Zielgruppe zum niedrigsten Preis

Sie haben vor 15 Jahren mit Alan Gerber an der Yale-Universität begonnen, die Wirksamkeit von Wahlkampfstrategien zu untersuchen. Es hat mich sehr überrascht, dass es in diesem Multi-Millionen-Geschäft zuvor auf Bauchgefühl und Intuition ankam.

Wir hatten uns beide seit Jahren mit dem Thema beschäftigt und wollten mit Kampagnen zusammenarbeiten, um besser zu verstehen, wie Wahlkämpfe funktionieren. Alan Gerber ist Ökonom, der wissen will, welche Dinge wirken - und welche nicht. Es hat uns frustriert, als wir feststellten, dass die einzige Art, die Effektivität einer Methode zu messen, der Rückgriff auf Umfragedaten war. Das hat aber kaum Aussagekraft. Also haben wir 1998 unser erstes Experiment in New Haven gestartet und Gruppen auf unterschiedliche Art kontaktiert. Seither haben viele Studenten und Kollegen unseren Ansatz aufgenommen, so dass wir recht gut wissen, was funktioniert und was nicht.

Don Green

Was sich aus den US-Wahlen lernen lässt: Donald Green, Politik-Professor an der Columbia University, hat die Wahlforschung revolutioniert.

(Foto: privat)

In Ihrem 2004 erschienenen Buch "Get out the Vote", der Bibel für Wahlkämpfer, schreiben Sie, dass das klassische "An-die-Tür-Klopfen" am wirksamsten ist. War Obama so erfolgreich, weil er via Facebook und Twitter die Online-Welt mit der Offline-Welt verknüpft hat?

Ich bin vorsichtig mit einer abschließenden Bewertung, aber wir wissen, dass man online äußerst effektiv Spenden einwerben kann, denn hier können ständig neue Botschaften getestet werden. Hingegen sind E-Mails kaum wirksam, um Leute zur Stimmabgabe zu bewegen - und das könnte auch für andere Wege der Hightech-Kommunikation gelten. Es gibt tatsächlich kaum etwas Effektiveres, als wenn Nachbarn oder Bekannte vor deiner Tür stehen und für ihren Kandidaten werben.

Wie haben eigentlich die Meinungsforscher und Strategen von Demokraten und Republikanern reagiert, als Sie mit Ihren Experimenten begannen?

Die waren entsetzt, weil sie ihr lukratives Geschäft verteidigen wollten. Sie hatten null Interesse, die Effektivität ihrer Arbeit kontrollieren zu lassen. Ihre Verteidigungsstrategie für den Fall, dass ihr Mann die Wahl verlor, lautete: "Unsere Anzeigen waren großartig und sehr effektiv. Leider war die Gegenseite noch besser, so dass wir keine Chance hatten." Wenn wir diese Leute nach der Grundlage ihrer Entscheidungen fragten, dann erzählten diese schnell Anekdoten und verkündeten: "So haben wir das immer gemacht." Manches klang, als würde Großvater vom Krieg erzählen.

Dabei bieten die verfügbaren Daten viele Chancen. Das Obama-Lager hatte ein Programm namens "The Optimizer", das berechnet hat, auf welchem Kanal die gewünschte Zielgruppe mit dem niedrigsten Preis zu erreichen ist.

Sehr richtig. Die spannende Frage für den nächsten Wahlkampf wird sein, ob es 2016 noch so viel TV-Werbung auf allen Kanälen geben wird. Vielleicht können die Leute in Ohio oder Florida aufatmen, weil weniger Spots geschaltet werden - diese aber zu Zeiten und auf Sendern, wo sie besser wirken. Wäre ich ein Millionär, der die Republikaner mit Spenden unterstützt hat, würde ich mich sehr über die bisherige Geldverschwendung ärgern.

Manche Republikaner sagen, sie wären froh, wenn sie 2016 wieder auf Augenhöhe wären.

Das sehe ich ähnlich. Ich erwarte, dass die Konservativen viel Geld investieren werden, um sich zu verbessern. Oft kommt die Innovation von der Verliererseite: Die Demokraten haben 2004 nach dem Sieg von George W. Bush nach innovativen Ansätzen gesucht und profitieren bis heute davon.

Behördenbriefe statt Hochglanzbroschüren

Sie haben 2006 eng mit dem Wahlkampfteam des texanischen Gouverneurs Rick Perry zusammengearbeitet. Ist es für Forscher schwer, solchen Zugang zu bekommen?

Das ist unterschiedlich: Viele wollen nichts mit uns zu tun haben, während andere Wahlkampfmanager es als Chance sehen, sich zu verbessern und die vielen Mitarbeiter und Dienstleister besser zu kontrollieren. Die Perry-Kampagne war sehr professionell , so dass wir viel lernen konnten, doch zugleich war es für viele Skeptiker der Beweis, dass wir integre Forscher sind. Wir arbeiten mit jedem zusammen, egal ob Demokrat oder Republikaner, unser Herz gehört der Wissenschaft. Wir kümmern uns um Fragen, die auch jenseits des Wahlkampfs interessant sind: Was überzeugt Menschen oder inwieweit beeinflusst das Verhalten einer Person eine andere?

Das US-System ist sehr speziell, aber einige Erkenntnisse wären auch auf den Bundestagswahlkampf übertragbar: Ihren Experimenten zufolge sind glänzende Wahlbroschüren weniger erfolgreich als Anschreiben, die an Behördenbriefe erinnern und am besten mit Schreibmaschinenschrift verfasst sind. Haben Wahlkampfmanager aus anderen Ländern Sie um Rat gebeten?

Wir stehen im Kontakt mit Parteien aus Frankreich und Großbritannien. Wie gesagt: Unsere Türen sind stets offen und an unserer Uni gibt es deutsche Wissenschaftler, die ihr Wissen gerne teilen.

Wieso ist die Wahlbeteiligung in den USA eigentlich selten höher als 60 Prozent?

Im 19. Jahrhundert lag die Quote bei 80 Prozent, aber da gab es keine geheimen Abstimmungen. Das ganze Dorf hat also gesehen, wer seine Bürgerpflicht erfüllt. Dieser Faktor wirkt noch immer. In einem Experiment wurden Postkarten mit der Information verschickt, dass die Namen der Nichtwähler in der Lokalzeitung abgedruckt würden. Die Beteiligung stieg sprunghaft. Für die heutige Quote gibt es mehrere Faktoren: In keinem Land finden mehr Wahlen statt als in den USA - der Kongress wird alle zwei Jahre bestimmt, dazu kommen viele lokale Wahlen. Dass in vielen Bundesstaaten von vornherein feststeht, welche Partei gewinnen wird, ist natürlich nicht sehr motivierend.

Sasha Issenberg, der ein Buch über den Einsatz von Technik im Wahlkampf geschrieben hat, argumentiert, dass viele Journalisten nicht mehr kompetent berichten können, weil ihnen der Zugang zu den Daten fehlt und sie nicht qualifiziert sind, diese zu interpretieren.

Dieser These stimme ich zu. Der politische Journalismus muss sich ändern. Wenn Journalisten nicht nur über einzelne, letztlich beliebige Ereignisse und willkürlich ausgewählte Menschen berichten wollen, sondern das Ziel haben, wirkliche Veränderungen in der Gesellschaft und die Wirkung von Wahlkampfversprechen zu beschreiben, dann müssen sie ihre Ressourcen bündeln. Sie müssen eine repräsentative Zahl an Bürgern auswählen und diese immer wieder befragen und beobachten. Es war doch erstaunlich: Tausende Journalisten haben 16 Monate lang über den Wahlkampf berichtet und die Kandidaten begleitet und konnten am Ende dennoch nicht sicher sein, wer nun gewinnen wird.

Linktipps: Der Essay über die Herausforderung für Journalisten, über moderne Wahlkämpfe zu berichten, erschien in der New York Times. Mehr über "Amerikas gläserne Wähler" ist in diesem Blog-Beitrag von Süddeutsche.de nachzulesen. Die alle vier Jahre stattfindende Konferenz an der Harvard University, bei der Top-Strategen beider Parteien ihre Sicht des Wahlkampfs schildern, ist in diesem Artikel auf Slate.com gut bilanziert.

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