Verteidigung:Ungarn verzögert Ja zu schwedischem Nato-Beitritt

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Viktor Orbán hat seinen schwedischen Amtskollegen am Dienstag zu "Verhandlungen" über Schwedens Nato-Beitritt eingeladen. (Foto: Sean Gallup/Getty)

Die Opposition will die Aufnahme Schwedens in das Verteidigungsbündnis ratifizieren - aber die Stühle der Regierung im Parlament in Budapest bleiben leer. Was hat es auf sich mit Viktor Orbáns erneuter Hinhaltetaktik?

Von Cathrin Kahlweit, Wien

Die außerordentliche Sitzung des ungarischen Parlaments am Montag dauerte gerade mal 48 Minuten. Dann wurde die Versammlung beendet - wegen mangelnder Beschlussfähigkeit. Denn die gesamte Fraktion der Regierungspartei Fidesz und ihres kleinen Partners KDNP war nicht erschienen. Per Brief wurden die knapp vier Dutzend erschienenen Oppositionsabgeordneten informiert, dass man nicht teilnehmen werde; eine Begründung wurde nicht mitgeliefert.

Die ungarische Opposition kennt das schon: Wenn sie eine außerordentliche Sitzung einberuft, was seit dem Wahlsieg von Viktor Orbán 2010 mittlerweile 17 Mal der Fall war, dann sitzen ihre Parlamentarier allein da. Orbán lässt sich die Agenda nicht von der verachteten und entmachteten Opposition diktieren.

Das türkische und das ungarische Veto hatten den Beitritt blockiert

Die Fraktionschefs der anwesenden Parteien nutzten die Gelegenheit, um ein paar kurze Reden zu halten: Der Vertreter der kleinen, grünen LMP sprach über den umstrittenen Bau einer Batteriefabrik im ostungarischen Debrecen. Weil die Proteste dagegen überhandzunehmen drohten, finden Bürgeranhörungen, mit Verweis auf den "Kriegsnotstand", mittlerweile ohne die physische Beteiligung von Bürgern statt. Sie dürfen nur noch telefonisch und online ihre Beschwerden vorbringen.

Der Fraktionschef der linksliberalen Párbeszéd warnte vor der Klimakatastrophe, die Sozialisten thematisierten die Probleme der Rentner, der Sprecher der rechtsextremen Mi Hazánk beschimpfte die linken Kollegen, der Vertreter der rechtsnationalen Jobbik verwies auf das Rechtsstaatsverfahren gegen Ungarn und die Korruption.

Nur über das Thema, um das es eigentlich gehen sollte, wurde kaum gesprochen: um die Ratifizierung des schwedischen Aufnahmeantrags für die Nato. Sowohl Schweden als auch Finnland hatten kurz nach Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine, im Mai 2022, einen Aufnahmeantrag gestellt. Ein Jahr später wurde Finnland endgültig aufgenommen, Schweden aber aufgrund eines türkischen sowie eines ungarischen Vetos vertröstet.

Die ungarische Oppositionspartei Momentum hatte daher die Parlamentssitzung initiiert, nachdem der Regierungschef angedeutet hatte, Ungarn wolle nicht das letzte Land sein, das den Beitritt des skandinavischen Landes akzeptiert. Zuvor hatte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan, Stunden vor Beginn des Nato-Gipfels am 11. Juli in Vilnius, eine Kehrtwende vollzogen und seinen Widerstand, zumindest offiziell, aufgegeben.

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Auch die Aufnahme Finnlands winkte Ungarn erst nach längerer Verzögerung durch

Orbán kündigte nach der türkischen Volte prompt an, man wolle den Schweden nicht im Weg stehen. Zuvor geäußerte "Sicherheitsbedenken" waren bereits durch die "Fact Finding Mission" einer Fidesz-Delegation ausgeräumt worden. Der Ärger darüber, dass Schweden die Ungarn für Demokratieabbau und Korruption kritisiert, spielte öffentlich plötzlich auch keine Rolle mehr. Der Beitritt Finnlands war vom ungarischen Parlament nach einigem Taktieren und längerer Verzögerung durch die Regierung im März durchgewinkt worden.

Ungarns Ratifizierung des schwedischen Antrags hänge nun, so Orbán vor zwei Wochen, auch vom Parlament ab. Absurd genug in Wahrheit, weil das Fidesz-Lager das Abgeordnetenhaus seit 13 Jahren mit seiner Zweidrittelmehrheit komplett dominiert - und die Fidesz-Fraktion wiederum nichts tun würde, was ihr Parteichef nicht guthieße. Der Antrag liegt ohnehin seit Monaten im Parlament.

Eine Zustimmung wäre also eine Selbstverständlichkeit, theoretisch, und wurde von Orbáns Adlaten auch umgehend begrüßt. Außenminister Péter Szijjártó nannte die Ratifizierung nurmehr eine "technische" Frage, Staatspräsidentin Katalin Novák verlangte, nun sei "alles zu tun, was möglich ist, damit auch das ungarische Parlament baldmöglichst seinen Beitrag zur Erweiterung der Verteidigungsallianz leisten kann".

Aber laut Fidesz sollte dies erst auf einer der nächsten regulären Sitzungen nach der Sommerpause, also im September, geschehen. Es bestehe "keine Dringlichkeit", dafür extra zusammenzukommen. Die Idee der Oppositionsparteien, sich mitten im Sommer für das Thema starkzumachen, musste also scheitern - auch wenn man hier, was sonst praktisch nie vorkommt, einmal inhaltlich übereingestimmt hätte.

Orbán schielt nach Ankara und Moskau

Ungarn selbst ist der Nato schon seit 1994 durch seinen Beitritt zum Programm "Partnerschaft für den Frieden" verbunden und engagierte sich bereits vor dem Beitritt 1999 im Rahmen der Nato-Osterweiterung bei regionalen Einsätzen, etwa in Bosnien-Herzegowina, Afghanistan oder Kosovo. Im vergangenen Jahr gab Ungarn 1,5 Prozent seines Budgets für Verteidigung aus.

Orbáns Verzögerungstaktik, was nach Finnland nun Schweden angeht, dürfte daher nichts mit Kritik an der Nato als solcher zu tun haben. Und auch nur wenig mit der Drangsalierung seiner Gegner. Letztlich dominieren andere, politische Motive. Orbán wartet ab, was Erdoğan tun wird. Und er schielt Richtung Moskau.

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Laut der Zeitschrift HVG brachte ein Sprecher der Oppositionspartei DK (Demokratische Koalition) in der Parlamentssitzung vom Montag auf den Punkt, um was es eigentlich gehe: Viktor Orbán fühle sich in puncto Nato-Erweiterung "nicht den Ungarn verpflichtet, sondern Wladimir Putin, einem Diktator, der wie er denkt". Die DK habe die Ratifizierung des schwedischen Beitrittswunsches mehrfach vorgeschlagen, doch Fidesz habe dies jedes Mal abgelehnt. "So wurde es zu Orbáns Verbrechen, dass ihn nicht nur die Nato, sondern auch die EU nicht mehr als Partner betrachtet."

Eingedenk Ungarns Abstimmungsverhaltens in der EU, der wiederholten Blockade von Russland-Sanktionen, der Abhängigkeit vom Energielieferanten Russland und Orbáns politischer Nähe zu Putin sekundierte ein Sprecher von Momentum: Die Regierung gehe vor Putin und Erdoğan "in die Knie". Aber jenseits des Parlaments hörte das kaum jemand. Debatten der Opposition dringen, aufgrund der medialen Dominanz der Regierungsmedien, nicht nach außen, hinaus in Orbáns Welt.

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