Europäische Union:Orbán spielt wieder den Störenfried

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Nur nicht mit den anderen stimmen: Ungarn hat unter Premier Viktor Orbán das Veto offenbar schon zum Prinzip erhoben. (Foto: Francois Lenoir/REUTERS)

Ungarn trägt die EU-Position zum Nahostkonflikt nicht mit. Die Bande zwischen Premier Orbán und seinem Kollegen Netanjahu in Israel sind besonders eng. Doch hinter dem Veto steckt eine Strategie.

Von Cathrin Kahlweit, Wien, und Matthias Kolb, Brüssel, Brüssel/Wien

Es ist eine Frage, mit der der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell gerechnet hatte: Wer denn das einzige Mitglied gewesen sei, das nach den Beratungen der Außenminister zur Eskalation in Nahost die Zusammenfassung der EU-Position samt Aufruf zu einer sofortigen Waffenruhe nicht akzeptiert habe, wollte ein Reporter am Dienstagabend wissen. "Es war Ungarn, wie Sie wahrscheinlich schon vermutet haben", sagte der Spanier mit einer für Diplomaten unüblichen Offenheit. Borrell gab sich wenig Mühe, seinen Frust zu verbergen: "Um ehrlich zu sein: Mir fällt es schwer zu verstehen, wieso man diese Bilanz nicht mittragen sollte."

Auch wenn Borrell zu Recht betonte, dass es nach Videokonferenzen nie offizielle Erklärungen gibt, offenbart die Episode mehr als die bekannte Uneinigkeit der EU in Bezug auf den Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern und die Zuschauerrolle der EU im Nahen Osten. Es wird immer klarer, dass sich die nationalkonservative Regierung von Premier Viktor Orbán in der Rolle des Störenfrieds gefällt - und dies nicht nur Borrell ziemlich ärgert. Denn ohne Geschlossenheit wird die EU global nicht ernst genommen.

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Es ist keine zehn Tage her, dass Ungarn eine EU-Erklärung zu Chinas Sicherheitsgesetz für Hongkong blockierte. Dies war für Außenminister Heiko Maas (SPD) so "absolut nicht nachvollziehbar", dass er öffentlich klagte: "Es ist nicht das erste Mal, dass Ungarn aus dieser Einigkeit ausbricht, wenn es um China geht." Budapest begründet sein Veto damit, dass die EU nicht auf jede Entwicklung in China reagieren müsse und "jetzt nicht der richtige Zeitpunkt" sei.

Ende März hatte Ungarn die Anwendung des EU-Menschenrechtssanktionsregimes gegen vier Chinesen wegen der Unterdrückung der muslimischen Uiguren in Xinjiang zwar mitgetragen, aber Außenminister Péter Szijjártó nannte die Strafen öffentlich "sinnlos und schädlich". Schon früher hat Ungarn Peking vor Kritik geschützt - 2016 blockierte es etwa tagelang eine EU-Erklärung zum Seerechtsstreit zwischen China und den Philippinen.

Orbán und Netanjahu haben enge Beziehungen aufgebaut

Nach der Videokonferenz sagte Szijjártó, er habe grundsätzliche Probleme mit europäischen Erklärungen zu Israel. Sein Premier Orbán hat enge Beziehungen zu Premier Benjamin Netanjahu aufgebaut, sodass Ungarn als größter Unterstützer Israels in der EU gilt. Die Erklärungen seien "sehr einseitig", sagte Szijjártó, und würden gerade in einer angespannten Lage wie der jetzigen wenig bewirken. Der Ungar störte sich in Borrells Zusammenfassung am Hinweis, dass Israel trotz seines Rechts auf Selbstverteidigung humanitäres Völkerrecht zu achten habe und die Räumungen in Ostjerusalem beendet werden müssten.

Da in der EU-Außenpolitik einstimmig entschieden werden muss, nutzen Mitglieder immer wieder ihr legitimes Recht zum Veto. Auch dass Themen verknüpft werden - etwa als Zypern Sanktionen gegen Belarus blockierte, um mehr Härte gegenüber der Türkei einzufordern - ist nicht selten. Der Fall Ungarn ist aber besonders. Einerseits droht Orbán gern mit seinem Veto, etwa bei den Verhandlungen zum EU-Haushalt - und andererseits zeigt kein Mitglied so provokativ seine Opposition.

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Dieses fehlende Bemühen kritisierte Borrell offen: Es sei "keine Laune", nach einer gemeinsamen Position zu suchen. Artikel 24 des EU-Vertrags verpflichtet die Mitglieder, die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik "aktiv und vor­behaltlos im Geiste der Loyalität und der gegenseitigen Solidarität" zu unterstützen. Diese Haltung lässt Ungarn laut Diplomaten jedoch oft vermissen - und setzt im Verbund mit Polen eigene Prioritäten durch. Seit Monaten bestehen beide Regierungen darauf, den Begriff "Geschlechtergleichheit" aus EU-Dokumenten zu streichen - zuletzt aus der Erklärung zum Sozialgipfel in Porto. So hätten sich Rechte über LGBTQ-Personen ableiten lassen, die "das Gefüge ihrer christlichen Gesellschaften" gefährden könnten, hatten Diplomaten aus Budapest und Warschau argumentiert.

Eine Erklärung dafür, dass sich Budapest vor Peking und auch Moskau stellt, könnte in der wachsenden ökonomischen Verquickung liegen. Ungarn hat Kredite für große Infrastrukturprojekte bei den östlichen Partnern aufgenommen - darunter in Russland für die Erweiterung des Atomkraftwerks Paks, dem eine österreichische Studie gerade erst mangelnde Erdbebensicherheit attestierte. Mithilfe von China will man ein großes Eisenbahnprojekt von Budapest nach Belgrad bauen; aktuell besonders umstritten ist außerdem die Ansiedlung der Fudan-Universität, deren Baukosten in Höhe von mehr als einer Milliarde Euro Budapest mit Chinas Hilfe zahlen will. Die entsprechenden Verträge mit den östlichen Partnern sind, wie unter Orbán üblich, streng geheim.

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