Swetlana Tichanowskaja hat eine Botschaft an die EU. Die 38-Jährige war im August in Belarus bei der Präsidentschaftswahl angetreten und floh danach nach Litauen. Nun wirbt sie in Brüssel für die belarussische Demokratiebewegung. Ihr Tag beginnt mit einem Arbeitsfrühstück mit dem EU-Außenbeauftragten Josep Borrell und 26 Außenministern, anschließend sagt sie in der litauischen EU-Vertretung zu Journalisten: "Wir haben viel getan, um mit der Situation allein klarzukommen, nur mit der Stärke des belarussischen Volkes. Aber nun begreife ich, dass wir Hilfe von außen brauchen."
An die EU richtet sie drei Wünsche: Machthaber Alexander Lukaschenko soll nicht länger anerkannt werden, er habe jede Legitimität verloren. Jede finanzielle Unterstützung der Regierung müsse gestoppt werden, da diese nur zur Unterdrückung der Opposition genutzt werde.
Die EU-Kommission hatte Mitte August 53 Millionen Euro Hilfe für Minsk angekündigt, von denen 50 Millionen dem Kampf gegen Corona dienen sollen. Immer lauter werden die Rufe, Zivilgesellschaft und freie Medien mit mehr Geld zu unterstützen sowie Krankenhäuser direkt zu beliefern. Tichanowskajas dritte Forderung betrifft das heikelste Thema der EU-Außenpolitik: "Sanktionen sind sehr wichtig in unserem Kampf". Nur solche Strafen könnten Lukaschenko dazu bringen, Gespräche mit dem Koordinationsrat zu führen. Daher habe sie die Minister gebeten, "mutiger zu sein".
Doch die Appelle führen nicht zum Durchbruch. Denn obwohl nicht nur Außenminister Heiko Maas (SPD) konstatiert, dass in Belarus "in den vergangenen Wochen nichts besser" geworden ist, werden Sanktionen wieder nicht beschlossen. 40 Personen wollen die EU-Staaten mit Einreiseverboten und Kontensperrungen bestrafen, aber Zypern blockiert die Liste, weil nicht gleichzeitig Sanktionen gegen die Türkei beschlossen werden sollen.
Laut Außenminister Nikos Christodoulidis müsse die Verletzung der Hoheitsrechte seines Landes durch Erdgasbohrungen Folgen haben: "Unsere Reaktion auf Verstöße gegen zentrale Grundwerte und Prinzipien kann nicht à la carte sein, sie muss konsistent sein." Nun eskaliert der Streit und wird Ende der Woche Thema beim Sondergipfel. Dann beraten die Staats- und Regierungschefs über das Verhältnis der EU zur Türkei. Seit Wochen bemühen sich vor allem Ratspräsident Charles Michel und Bundeskanzlerin Angela Merkel um Deeskalation zwischen der Türkei und Griechenland. Die Sorge ist groß, dass die zuletzt vielversprechenden Vermittlungen durch die von Zypern geforderten Sanktionen gefährdet würden. Dafür nimmt man in Kauf, sich ein Stück weit zu blamieren, indem Sanktionen gegen Lukaschenkos Helfer ständig verschoben werden. Einstimmig konnten sich die Außenminister darauf einigen, wegen Verstößen gegen das UN-Waffenembargo gegen Libyen drei Firmen aus Jordanien, Kasachstan und der Türkei zu bestrafen. Ob dieser Schritt von Ankara als Provokation gewertet wird, ist noch offen. Immerhin: Laut EU-Diplomaten ist nun eine große Mehrheit dafür, auch Lukaschenko mit Sanktionen zu belegen. In seiner Pressekonferenz fordert der Außenbeauftragte schnelle und faire Neuwahlen. Er lehnt es ab, Zypern zu kritisieren, hofft auf eine Konsenslösung beim Sondergipfel. Dann könnten die Außenminister in der Sitzung am 12. Oktober endlich die auch in Borrells Augen überfälligen Sanktionen beschließen: "Wenn wir das nicht hinbekommen, steht unsere Glaubwürdigkeit auf dem Spiel." Und Tichanowskaja? Am Nachmittag betont sie, dass "unsere Revolution nicht pro- oder antirussisch" sei und reagiert damit auf Kritik aus Minsk und Moskau an ihrer Reise. Auch Borrell wies diesen Vorwurf scharf zurück: "Die EU hat keine geheime Agenda." Die Oppositionelle betont, dass alle die Souveränität ihres Landes respektieren müssten, aber die Unterstützung von Demokratie sei keine Einmischung in innere Angelegenheiten.
"Von einer Zelle aus kann ich nichts verändern"
Was sie antreibt, steht bei der Pressekonferenz auf einem Plakat hinter ihr: Seit 44 Tagen kämpft ihr Volk für Freiheit, 12 000 Bürgerinnen und Bürger wurden inhaftiert, mehr als 500 gefoltert.
Eine halbe Million Menschen habe gegen Lukaschenko demonstriert. Sie liebe ihre Heimat, aber im Fall einer Rückkehr würde sie im Gefängnis landen: "Von einer Zelle aus kann ich nichts verändern."