Hochschulen:Ausverkauf in Ungarn

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Studierende protestieren an der Universität für Theater und Film in Budapest im September 2020 gegen die Bildungspolitik der Regierung . Auf dem großen Transparent steht: "Wir stehen für die Freiheit unserer Universität ein". (Foto: Martin Fejer/imago / EST&OST)

Die ungarische Regierung überführt öffentliches Vermögen in Stiftungen - darunter auch die meisten Hochschulen. Viktor Orbán wirbt mit mehr Flexibilität und Geld. Kritiker sprechen von einem "Staat im Staate".

Von Cathrin Kahlweit

Die Ansiedlung einer chinesischen Hochschule in Budapest schlägt hohe Wellen. Die Fudan-Universität will sich mit 5000 Studenten und 500 Lehrkräften in der Hauptstadt einrichten, kräftig unterstützt von der ungarischen Regierung. Allein die Baukosten, die Ungarn mit einem Kredit der chinesischen Entwicklungsbank finanzieren will, liegen bei 1,5 Milliarden Euro, das Grundstück ist ein Geschenk. Laut den Statuten der Hochschule müssen Studenten "sozialistische Grundwerte" respektieren. Trotz massiver Proteste etwa aus dem grün regierten Budapest ist die Sache fix; die Regierung von Viktor Orbán spricht von einem Prestigegewinn und sagt, man müsse vom Osten lernen.

Von manchen Universitäten aus dem Westen wollte man zuletzt weniger lernen: Die Central European University (CEU) war vor einigen Jahren aus dem Land vertrieben worden. Sie könnte nun, sehr theoretisch, nach Budapest zurückkehren, nachdem das strittige Gesetz von 2017 nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs endlich reformiert wird; der Parlamentsbeschluss ist für diese Woche angesetzt. Die CEU, die in Wien Asyl fand, hat dankend abgelehnt.

Der politische Streit um die beiden Institutionen ist auch international auf großes Interesse gestoßen. Für andere, weit grundlegendere Entwicklungen gilt das erstaunlicherweise nicht. Dabei wird das ungarische Hochschulsystem von der Orbán-Regierung sukzessive einem kompletten "Modellwechsel" unterzogen, Schlösser, Parks, Agrarflächen oder Kultureinrichtungen gehen den gleichen Weg: Sie werden aus staatlichem Eigentum in Vermögensverwaltungsstiftungen überführt.

Die Regierung wirbt mit einem "Angebot, das man nicht ablehnen kann"

Fans des neuen Modells sprechen von einem Paradigmenwechsel, der Ungarn wettbewerbsfähiger mache. Die Regierung wirbt mit einem "Angebot, das man nicht ablehnen kann" und antwortet auf eine Anfrage der SZ, alle Vermögenswerte der neuen Stiftungen dürften qua Gesetz nur im öffentlichen Interesse verwendet werden; sie würden nicht automatisch "privat". Gegner bestreiten genau das und sprechen von einem "Staat im Staate", einem "neoliberalen Ausverkauf öffentlichen Eigentums" und dem Versuch der Regierung Orbán, sich für einen möglichen Wahlverlust im kommenden Jahr abzusichern, Gelder beiseite zu schaffen und eigene Leute in lukrative Posten zu bringen. Die Wochenzeitschrift HVG vergleicht die Stiftungen mit "Lehnsgütern", die Feudalherrscher ihren Vasallen schenken.

Eine Vorlage mit dem sperrigen Namen "Gesetz über vermögensverwaltende Stiftungen im öffentlichen Interesse, die öffentliche Aufgaben wahrnehmen" soll an diesem Dienstag vom Parlament abgesegnet werden. Damit wird dem Masterplan für derzeit mehr als 30 Projekte ein entscheidender Puzzlestein hinzugefügt. Zuletzt war 2019 ein Stiftungsmodell eingeführt worden, mit dem öffentliches Vermögen privatisiert werden kann. 2020 beschloss die Zweidrittelmehrheit der Fidesz-Abgeordneten eine neue Definition für öffentliche Gelder, die in der Verfassung verankert wurde.

Das Thema ist in Ungarn längst ein politischer Spaltpilz, an zahlreichen Universitäten gab und gibt es Proteste. Die heftigsten fanden 2020 an der Universität für Theater und Film in Budapest statt. Vergangene Woche veranstalteten Studenten und Hochschulangestellte einen landesweiten "Infostreik". Aber Fakt ist auch: Das Gros der mehr als zwei Dutzend Hochschulen hat seiner Umwandlung mehr oder minder freiwillig zugestimmt oder sie bereits vollzogen - wenngleich selbst Befürworter des neuen Modells wie der Dekan der juristischen Fakultät in Pecs, Adrián Fábián, von "leichter Erpressung" sprechen. Versprochen werden nämlich nicht nur die Übertragung von Vermögenswerten wie Immobilien sowie Gehaltserhöhungen, sondern auch vier Milliarden Euro aus dem Europäischen Wiederaufbaufonds, den Orbán noch im vergangenen Herbst fast hätte scheitern lassen.

Das Vermögen gehört der jeweiligen Stiftungsleitung. Alte Regeln gelten nicht mehr, jeder kann gefeuert werden

Die EU wüsste künftig sicher gern, wie das Geld verwendet wird, aber das könnte schier unmöglich werden. Nur die Einrichtungen, die ihrer eigenen Transformation zustimmen, hieß es, würden von dem EU-Geldregen profitieren - für die chronisch unterfinanzierten Bildungseinrichtungen ein verlockender Traum. Allein die großen Budapester Universitäten ELTE und BME leisten anhaltenden Widerstand.

Die Knackpunkte des Modells sind Transparenz und Autonomie. Der Ökonom und Bildungsexperte von der Universität Debrecen, István Polónyi, erklärt das Problem so: Die neuen Kuratorien seien von der Regierung ausgesucht und ihr politisch verpflichtet. Das Vermögen, das der Staat an die jeweilige Stiftung überträgt, gehöre der Stiftungsleitung, nicht der Universität als Lehr- und Forschungseinrichtung, das Kuratorium habe die alleinige Verfügungsgewalt. Alte Regeln gelten nicht mehr, jeder kann gefeuert werden.

Fans sprechen von einer überfälligen Reform, um Ungarns Hochschulen, die in internationalen Rankings zurückgefallen sind und extrem bürokratisch verwaltet wurden, endlich flexibler und moderner zu machen, die Ausstattung zu verbessern sowie Kooperationen mit der Wirtschaft zu erleichtern. Die Regierung führt an, dass die Einrichtungen langfristiger planen und ihre Aufgaben in einer modernen Gesellschaft besser erfüllen könnten. Die Freiheit von Wissenschaft und Forschung sei ohnehin im Grundgesetz verankert.

Aber alle Gesprächspartner der SZ - Juristen, Ökonomen, Politiker, Bildungsexperten und -expertinnen im In- und Ausland - sind sich einig: Der Modellwechsel sei im besten Fall eine "Black Box", ein ungedeckter Wechsel auf die Zukunft. János Setényi, politischer Berater und Bildungsexperte, der sich selbst als konservativ bezeichnet, sagt: "Was den 'Modellwandel' angeht, gibt es zwei Narrative. Eines handelt von der Schaffung neuer Möglichkeiten. Das zweite von einem gigantischen Diebstahl öffentlicher Gelder durch eine nationale Bourgeoisie, die von Orbán geschaffen wurde." Teil dieses Narrativs sei auch, dass EU-Gelder mithilfe von politisch kontrollierten Universitätsstiftungen abgesaugt werden sollten, deren Verwendung später nicht mehr nachvollziehbar sei.

Setényi argumentiert, der Reformprozess sei unvollständig, daher sei ein Urteil verfrüht. Dániel Deák geht weiter. Er ist Jurist und Ökonom an der Corvinus-Universität, die als Erste zur Stiftung umgewandelt wurde - ausgestattet mit Aktien des teilstaatlichen Ölkonzerns MOL und eines pharmazeutischen Unternehmens im Wert von 1,4 Millionen Euro. MOL-Chef Zsolt Hernádi, der wegen Korruptionsvorwürfen von einem kroatischen Gericht in einem später kassierten Urteil verurteilt worden war, ist Kuratoriumsvorsitzender.

Deák kennt den Wechsel also aus eigener Erfahrung. Er spricht von den Leitungsgremien als "Strohmännern" der Regierung. Es sei für Orbán wichtig, das Bildungswesen unter Kontrolle zu behalten und gleichzeitig seinen "Kumpanen" neue Geldquellen zu verschaffen. Die Regierung widerspricht mit einem komplizierten Hinweis auf das ungarische Grundgesetz: "Stiftungen, die eine öffentliche Aufgabe erfüllen, gewährleisten die Umsetzung ihrer auf das öffentliche Interesse ausgerichteten und für die Gesellschaft wichtigen Ziele auch als private, von der jeweiligen Regierung unabhängige Einrichtungen."

Der Wissenschaftsminister verweist zudem auf europäische Vorbilder, überall würden doch Stiftungsuniversitäten entstehen. Aber deutsche Experten winken ab, die ungarische Sonderform sei nicht vergleichbar. Veronika Proske vom DAAD-Informationszentrum in Budapest erläutert besorgt, dass in der ungarischen Rechtsform künftig die Leitungsgremien, also die Kuratoriumsmitglieder, auf Lebenszeit ernannt und nur mit Zweidrittelmehrheit absetzbar seien. Auch Györgyi Germán, Leiterin des Fernstudienzentrums Budapest der Fernuniversität Hagen, spricht von "öffentlichem Geld ohne öffentliche Kontrolle."

Unter den Kuratoriumsvorsitzenden sind auffallend viele Fidesz-Politiker. Sie haben die völlige Kontrolle

Einer der vielleicht besten Kenner der Materie, der emeritierte Linguistik-Professor István Kenesei von der Universität Szeged, verweist zudem darauf, dass die Reform von einer künftigen Regierung nicht auszuhebeln sei; das sei ein Jahrhundertwerk von Fidesz im eigenen Interesse: "Keine neue Regierung ohne Zweidrittelmehrheit kann das Rad zurückdrehen." Nur der oder die Kuratoriumsvorsitzende könne Regel- oder Gesetzesbrüche an die Gerichte melden, die Kuratorien hätten die völlige Kontrolle über Vergabe, Ausschreibungen, Investitionen, akademische Ausrichtung, Kooperation mit Unternehmen. Kenesei zitiert den Autor Péter Magyari vom Onlineportal 444.hu, der vom kompletten Verzicht jedes Mitspracherechts des Staats an einer öffentlichen Aufgabe schreibt - und einen parallelen Staat entstehen sieht.

Ein Blick auf Personalia in den Stiftungen könnte dazu beitragen, den "Modellwechsel" zu verstehen - ohne Anspruch auf Vollständigkeit. Schon ernannt oder designiert sind als Kuratoriumsvorsitzende an der Universität Miskolc die amtierende Justizministerin Judit Varga, und, laut Webseite, Vertreter von Bosch und einem Energieversorger. An der Pannonischen Universität Veszprém leitet der frühere EU-Kommissar und Ex-Justizminister Tibor Navracsics die Stiftung, an der Universität Pecs Staatssekretär József Bódis. Mitglieder des Kuratoriums der Agraruniversitäten sind Landwirtschaftsminister István Nagy und Ex-Kanzleramtsminister János Lázár, an der Universität für Tiermedizin ein Fidesz-Abgeordneter und ein ehemaliger Landwirtschaftsminister. Für die Universität Szeged war anfangs Familienministerin Katalin Novák vorgesehen; jetzt steht offenbar der Ex-Justizminister und Fidesz-Abgeordnete László Trócsányi auf der Liste. In Győr, wo Audi ein großes Werk hat, sitzt die Personalchefin von Audi, Erzsébet Knáb, in der Leitung, Außenminister Péter Szijjártó ist auch im Kuratorium. Die Universität in Kecskemét listet drei Fidesz-Abgeordnete, in Sopron ist es ein Staatssekretär. Zwar sind hier und da auch mal Oppositions- oder Lokalpolitiker kooptiert, aber das ist die Ausnahme.

Die Opposition wirft Orbán vor, er wolle im Falle eines Machtverlusts seine Macht nur verlagern. Die Regierung betont, das alles habe nichts mit der Wahl 2022 zu tun, und jede Universität habe schließlich die Wahl. Nicht nur die Ungarische Akademie der Wissenschaften ist aber offenbar skeptisch. In einer Stellungnahme mahnt sie unter anderem an, dass jede Zweckentfremdung von Mitteln verhindert und die Autonomie der Senate gewahrt bleiben müsse. Und: "In den Stiftungsgremien sollte eine ausgewogene Vertretung von Politik, Wirtschaft, Bildung und Forschung sowie eine Rotation der Mitglieder gewährleistet sein." Nach alledem sieht es derzeit nicht aus.

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