Vereinte Nationen:UN-Generalsekretär fordert Reformen des Sicherheitsrats

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"Die Welt hat sich verändert, aber wir haben uns nicht verändert", sagt Guterres in seiner Rede zur Eröffnung der Vollversammlung. (Foto: Michael M. Santiago/Getty Images via AFP)

Die Struktur aus dem Jahr 1945 sei nicht mehr zeitgemäß, sagt António Guterres. Von fünf Regierungschefs der ständigen Mitglieder nehmen vier nicht an der Vollversammlung teil.

Von Christian Zaschke, New York

UN-Generalsekretär António Guterres hat am Dienstag die 78. Vollversammlung der Vereinten Nationen in New York mit ungewohnt offenen Worten eröffnet. Die Welt sei dabei, aus den Fugen zu geraten, sagte er, und es scheine, dass die Gemeinschaft der Staaten nicht dazu in der Lage sei, zusammenzukommen. Als Kernprobleme der Gegenwart machte er den Klimawandel und den russischen Angriffskrieg in der Ukraine aus.

Es ist bei solchen Zusammenkünften immer auch interessant zu beobachten, wer nicht dabei ist. Dass der russische Präsident Wladimir Putin nicht nach New York reisen würde, war klar. Auch Chinas Präsident Xi Jinping lässt sich bei den Vereinten Nationen nicht blicken. Erstaunlich war hingegen, dass sowohl Frankreichs Präsident Emmanuel Macron als auch der britische Premier Rishi Sunak auf eine persönliche Teilnahme verzichteten.

Aus Paris hieß es, Macron habe terminliche Schwierigkeiten, weil er den britischen König Charles III. treffe. London ließ verlauten, der Premierminister habe zu viel zu tun. Frankreich und Großbritannien gehören neben Russland, China und den USA zu den ständigen Mitgliedern des UN-Sicherheitsrats, des wichtigsten Gremiums der Vereinten Nationen. Von diesen fünf Staaten sind in diesem Jahr lediglich die USA durch den Regierungschef vertreten. Präsident Joe Biden sprach am Dienstag zu den Delegierten.

Dass vier von fünf ständigen Mitgliedern des Sicherheitsrats in diesem Jahr nicht die höchstrangigen Delegationen schicken, lenkt den Fokus erneut auf das Gremium. Seit Jahren wird in New York darüber debattiert, wie man den Sicherheitsrat reformieren könnte. Diese Debatten führen jedoch in der Regel deshalb zu nichts, weil die erwähnten fünf Staaten daran kein Interesse haben.

In seiner Rede ging Guterres ausdrücklich auf dieses Problem ein. Der Sicherheitsrat sei ein Konstrukt von 1945, als soeben ein Weltkrieg zu Ende gegangen war und viele Staaten noch unter Kolonialherrschaft standen. "Die Welt hat sich verändert", sagte er, "aber wir haben uns nicht verändert." Daher sei es unabdingbar, dass der Sicherheitsrat reformiert werde.

Die deutsche Delegation weiß Guterres bei diesem Vorhaben auf seiner Seite. Deutschland setzt sich seit Jahren für eine Reform des Rats ein und hofft, in einem neu gestalteten Gremium einen permanenten Sitz zu erhalten. Eines der Kernargumente der Deutschen ist dabei, dass sie nach den Vereinigten Staaten der zweitgrößte Geldgeber der Vereinten Nationen sind. In diesem Jahr sind sie unter anderem durch Bundeskanzler Olaf Scholz und Außenministerin Annalena Baerbock vertreten.

Mit Spannung war der Auftritt des ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenskij erwartet worden. Als er am Vormittag das Auditorium betrat, um der Rede von Guterres beizuwohnen, wurde er mit demonstrativem Applaus begrüßt. Am Nachmittag sprach er selbst zu den Delegierten. Dabei ging er vor allen Dingen darauf ein, wie Russland Nahrung und Energie als Waffe benutze. Davon sei nicht nur die Ukraine betroffen, die bewusste Zerstörung von Lieferketten führe zum Beispiel zu Nöten in Afrika und Südostasien.

Im bewegendsten Teil seiner Rede schilderte Selenskij, dass die russischen Truppen Zehntausende ukrainische Kinder verschleppt hätten. "Was passiert mit diesen Kindern?", fragte er. Es werde ihnen beigebracht, ihr Heimatland, die Ukraine, zu hassen.

US-Präsident Joe Biden ging in seiner Rede erwartungsgemäß ebenfalls auf den Krieg in der Ukraine ein, wenn auch nicht so ausführlich wie im vergangenen Jahr. Das mag der Tatsache geschuldet sein, dass aus manchen Ländern des globalen Südens zu hören war, es gebe mehr Probleme auf der Welt als den Krieg in der Ukraine, weshalb die Vollversammlung nicht monothematisch verlaufen solle.

Biden sagte: "Wenn wir die Prinzipien der UN-Charta aufgeben, um einen Aggressor zu befrieden, können sich die UN-Mitgliedsstaaten dann noch sicher sein, dass sie beschützt werden? Wenn wir es zulassen, dass die Ukraine aufgeteilt wird, ist dann die Unabhängigkeit von irgendeiner Nation noch sicher? Die Antwort ist Nein." Daher stünden die USA weiterhin an der Seite der Ukraine. Am Donnerstag will Biden sich in Washington mit Selenskij treffen. Der ukrainische Präsident erhofft sich weitere Unterstützung der USA.

Der amerikanische Präsident griff zudem ein Motiv auf, das er öfter bei größeren Reden benutzt. Die Welt befinde sich an einem Wendepunkt der Geschichte, sagte er, es gehe darum, ob sich die Demokratien behaupten können oder ob die Autokratie die vorherrschende Staatsform werde. In Abgrenzung zum Isolationismus seines republikanischen Rivalen Donald Trump sagte Biden zu den Delegierten: "Wir wissen, dass unsere Zukunft an Ihre Zukunft gebunden ist."

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