Türkei:Verzicht aus Wut

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In Denver rollen diese Coca-Cola-Dosen vom Band, das türkische Parlament zählt künftig aber nicht mehr zu den Abnehmern. Das Produkt wird dort boykottiert. (Foto: Brittany Peterson/AP)

In der Türkei will man Solidarität mit den Palästinensern zeigen. Boykotts sind schwer in Mode gekommen - ob sinnvoll oder nicht. Nun hat es auch Coca-Cola getroffen.

Von Raphael Geiger

In Krisenzeiten muss jeder Opfer bringen, im türkischen Parlament zum Beispiel gibt es neuerdings keine Coca-Cola mehr und nichts von Nestlé. Abgeordnete, denen nach Brause oder Instantkaffee war, erfuhren, dass dies aus Gründen der Solidarität mit den Palästinensern nicht mehr möglich sei. Man werde, so der Präsident des Parlaments, nichts mehr von Firmen kaufen, "die ihre Unterstützung für Israel und das Töten von Unschuldigen in Gaza erklärt haben". Was Nestlé und Coca-Cola mit Israel verbindet, erklärte der Parlamentspräsident nicht. Er kündigte aber noch an, man werde sogar schon gekaufte Produkte entsorgen. Die ungeöffneten Coladosen von Ankara, ein Abfallprodukt der Weltpolitik.

In der Türkei ist das Boykottieren gerade so was wie ein Volkssport. Es hat mit Wut zu tun, für die es kein Ventil gibt. Die Sympathien im Nahostkonflikt sind im Land klar verteilt, man fühlt mit den Palästinensern. Der Terror der Hamas spielt keine Rolle mehr, einziges Thema ist die Lage im Gazastreifen. Man gibt sich dem Hass auf Israel hin, man geht auf Demos, mehr lässt sich von Istanbul oder Mersin aus nicht tun. Wohin also mit der Wut?

Man kann auf einen Big Mac verzichten. Seit die israelischen Filialen von McDonald's den Soldatinnen und Soldaten einen Rabatt anbieten, ist die Burgerkette für manche Türken der Feind. Auch wenn die türkische McDonald's-Kette mit der israelischen auf dem Papier nichts zu tun hat, wie sie schnell verkündete. Ein Mann in Istanbul fand es trotzdem eine gute Idee, in einer Filiale einen Karton mit Mäusen zu hinterlassen. Für die palästinensische Sache.

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Welches Produkt man weglässt, ist eine Frage des Charakters. Bei Menschen wie bei Institutionen. Sag mir, was du boykottierst, ich sag dir, wer du bist. Da sind die Verschwörungsgläubigen, die im Namen eines Waschmittels aus dem US-Bundesstaat Ohio einen jüdischen Ursprung vermuten. Ariel, ist doch klar. Der Boykott auf Verdacht hat in der Türkei eine gewisse Tradition, unvergessen der Bürgermeister von Izmir, der im Jahr 1995 in den Kampf gegen Dole-Bananen zog. Er war sich sicher, dass der damalige US-Senator Bob Dole, angeblich ein Feind der Türkei, der Besitzer des Bananenimperiums war. War er nicht, egal.

Andere boykottieren zielgenau. Als sich die Türkei 2017 mit den Niederlanden stritt, sah sich ein Landwirtschaftsbetrieb zum Handeln gezwungen und verwies 40 Kühe einer niederländischen Rinderrasse des Landes. Heute scheint bei der türkischen Bahngesellschaft ein Nachrichtenjunkie zu arbeiten, dem ein Rechtsstreit in den USA auffiel. Die Gewerkschaft von Starbucks-Mitarbeitern hatte einen propalästinensischen Tweet abgesetzt, jetzt verklagt der Konzern die Gewerkschaft. Logisch, dass in den Schnellzügen der Türkei kein Starbucks-Kaffee mehr serviert wird.

Von jetzt an also türkischer Mokka auf den Gleisen. Oder vielleicht der Instantkaffee von Nestlé, auf den die Abgeordneten verzichten. Die Konzerne selbst dürfte die Boykottwut nicht allzu sehr schmerzen, noch sind die türkischen McDonald's-Restaurants gut besucht. Nur Ariel hat es schwer, auch in Israel riefen jetzt manche dazu auf, das Waschmittel nicht mehr zu kaufen. Abgefüllt werde es nämlich in der Türkei.

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