Bahnprojekt:Neuer Ärger um Stuttgart 21

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Es dauert, so eine Kathedrale des Verkehrs zu bauen: Blick in den Rohbau des neuen Stuttgarter Bahnhofs, der im vergangenen November fertig wurde. (Foto: Arnulf Hettrich/Imago)

Die Bahn will den neuen Bahnhof Ende 2025 in Betrieb nehmen, doch es gibt Probleme mit der Sicherungstechnik. Nun wird diskutiert, was weniger schlimm wäre: einen Bahnhof zunächst nur zum Teil zu eröffnen - oder den Termin gleich um ein Jahr zu verschieben.

Von Max Ferstl und Roland Muschel, Stuttgart

Sie stehen jetzt wieder auf dem Schlossplatz in Stuttgart, die Demonstranten mit der größten Ausdauer, vielleicht auch die mit der größten Wut. An der Königsstraße haben sie einen Lastwagen zur Bühne umgebaut, davor stehen rund 200 Menschen. In ihrem Rücken, 800 Meter die Straße runter, erhebt sich der Turm des Bahnhofsgebäudes, daneben die Kräne über der gewaltigen Baustelle. Hier soll der supermoderne Bahnhof Stuttgart 21 entstehen, wobei sie das Vorhaben hier auf dem Schlossplatz eher kritisch sehen. Als historischen Fehler.

Auf der Bühne tritt Dieter Reicherter ans Mikrofon. Früher war er mal Richter am Landgericht, jetzt fällt er ein verheerendes Urteil: "Ein Desaster" sei Stuttgart 21, findet Reicherter, bevor er laut darüber nachdenkt, ob die Verantwortlichen nicht vor ein "Tribunal" gehörten, ob es nicht einen Untersuchungsausschuss brauche, Ermittlungen wegen Untreue. Das große Besteck. Die Menge applaudiert.

Seit 15 Jahren demonstrieren die S21-Gegner in Stuttgart, an jedem Montag, an 699 Montagen bislang. Sie werden den Tiefbahnhof nicht mehr verhindern, aber darum allein geht es nicht. Es geht darum, dem Land zu zeigen, dass der neue Bahnhof eine miese Idee war. Längst ist bekannt, dass das Projekt mehr als elf Milliarden Euro kosten wird statt der ursprünglich geplanten 4,5 Milliarden. Auch an epische Verzögerungen haben sich die Stuttgarter gewöhnt. Doch in diesen Tagen kursiert ein neues Szenario, das klingt wie die Pointe dieser unglücklichen Entstehungsgeschichte: Stuttgart 21 könnte zwar Ende 2025 endlich in Betrieb gehen, aber nur ein bisschen, nicht richtig.

Zur Debatte steht eine sogenannte Teilinbetriebnahme, weil es Probleme mit der anspruchsvollen digitalen Sicherungstechnik gibt. Das Szenario sieht deshalb ungefähr so aus: Die meisten Passagiere würden weiterhin im alten, oberirdischen Kopfbahnhof in die Züge steigen. Doch immerhin könnten erste Züge durch den neuen, unterirdischen Durchgangsbahnhof fahren. Damit hätte Stuttgart, zumindest für eine Übergangsphase, eine Art Kombi-Bahnhof, was durchaus einem Treppenwitz gleichkäme: Nach den Massenprotesten, nach dem überharten Polizeieinsatz gegen die Bahnhofsgegner im Schlossgarten schlug der Schlichter Heiner Geißler seinerzeit, im Jahr 2011, so einen Kombi-Bahnhof vor. Doch davon wollten die Befürworter nichts wissen. Nun ist diese Variante also wieder Teil der Diskussion, als mögliche Notlösung.

Der "Digitale Knoten Stuttgart" hat sich offenbar verknotet

Offiziell bestätigen will die Bahn die Gedankenspiele nicht. "Die Inbetriebnahme des künftigen Stuttgarter Hauptbahnhofs ist weiterhin für Dezember 2025 vorgesehen", teilt sie auf Anfrage mit. Kommende Woche tagt der Aufsichtsrat, der sich dann mit der Frage beschäftigen muss, wie diese Inbetriebnahme konkret aussehen soll. Denn dass Ende kommenden Jahres ein voll funktionsfähiger Bahnhof eingeweiht wird, daran glauben mittlerweile nur noch kühne Optimisten. Eher schon ist von einer weiteren Verschiebung der Eröffnung die Rede: um ein Jahr bis Ende 2026. Ursprünglich sollte der Bahnhof 2019 fertig werden.

Stuttgart 21, das war für die Befürworter einst eine Verheißung - und für die Bahn ein Prestigeprojekt. Der Tiefbahnhof sollte den gesamten Bahnknotenpunkt Stuttgart neu organisieren. Kürzere Umstiege, mehr Verbindungen, ökonomisch und ökologisch sinnvoll, so lauteten damals die Argumente. Wie toll der Bahnhof einmal aussehen wird, kann man schon jetzt besichtigen. Neben dem Gleis 16 am Stuttgarter Kopfbahnhof, in einem Turm, gibt es dazu eine Ausstellung. In einem großen Schaukasten ist der Bahnhofsplatz der Zukunft aufgebaut, viele Bäume, Wege für Fußgänger, aber keine Gleise, die sind ja alle unterirdisch.

Sollte ursprünglich im Jahr 2019 fertig werden - und ein paar Milliarden billiger: die Großbaustelle in Stuttgart. (Foto: Werner Kuhnle/DPA)

Die Ausstellung zeigt auch, wie modern es hier irgendwann zugehen soll. "Der Digitale Knoten Stuttgart setzt Maßstäbe für die Digitalisierung der Eisenbahn in Deutschland", steht auf einem Schaubild. Als erster großer Bahnknoten in Deutschland käme Stuttgart 21 ohne Lichtsignale aus. Doch offenbar bereitet nun gerade die Digitalisierung Probleme.

Konkret geht es um Lieferschwierigkeiten bei der Sicherungstechnik, die benötigt wird, damit auf dem neuen Bahnhof mehr Züge und Passagiere abgefertigt werden können. Dafür werden die Züge des Fern- und Regionalverkehrs mit dem digitalen Zugsicherungssystem ETCS ausgestattet. Diese Technik ist aus Sicht des baden-württembergischen Verkehrsministers Winfried Hermann (Grüne), der nicht als großer Fan des Projekts gilt, zwingend nötig. Ohne das moderne Zugsicherungssystem wäre die Leistungsfähigkeit des Knotens beeinträchtigt. "Dann wäre der Bahnhof das, was wir immer befürchtet haben: ein Engpass."

Dass die, "Terminlage sehr angespannt" sei, hat die Bahn eingeräumt - mehr nicht

Neu sind die Probleme mit dem digitalen Knoten nicht, schon im Dezember 2023 hatte der Infrastrukturvorstand der Deutschen Bahn, Berthold Huber, eingeräumt, dass die "Terminlage sehr angespannt" sei. Mehrere Meilensteine seien nicht erreicht worden. Die Bahn hatte deshalb zusätzlich 60 eigene Mitarbeiter in das Projekt abgeordnet, um die verlorene Zeit aufzuholen. Offenbar vergebens.

Mittlerweile scheint die Bahn nur noch die Wahl zu haben zwischen zwei wenig verlockenden Alternativen: entweder die Teileröffnung Ende 2025 - oder eine komplette Verschiebung. Der Druck ist jedenfalls gewaltig. Der Schienenbeauftragte der Bundesregierung, Michael Theurer, der auch FDP-Landeschef ist, drängt die Verantwortlichen, den Bürgern mögliche Verzögerungen rasch offenzulegen.

Zumindest in der Landespolitik gibt es einen klaren Favoriten. "Einen Holperstart gilt es unbedingt zu vermeiden", sagt Thomas Dörflinger, Verkehrsexperte der Südwest-CDU. Eine Verschiebung wäre daher "insgesamt die sinnvollere Lösung". Die Christdemokraten hatten damals vehement für Stuttgart 21 geworben. Die Aussicht, dass sie bei der Landtagswahl 2026 die Debatte um den bestenfalls zur Hälfte funktionierenden Bahnhof einholt, dürfte daher niemanden elektrisieren.

Von solchen Überlegungen unbeschwert blickt Winfried Kretschmann (Grüne) auf jenen Bahnhof, der seine Anfangszeit als Ministerpräsident prägte. Mittlerweile spricht wenig dafür, dass Kretschmann den Bahnhof glanzvoll einweihen wird. Die Frage sei nicht, ob es holpert, sagt er. Sondern nur: "Wie lange und wie stark."

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