Frank-Walter Steinmeier:Mit Döner im Gepäck nach Istanbul

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Vor dem Bahnhof Sirkeci trifft Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (links) Istanbuls Oberbürgermeister Ekrem İmamoğlu, den wichtigsten Gegenspieler von Staatschef Erdoğan. (Foto: Umit Bektas/Reuters)

Der Bundespräsident besucht die Türkei - und trifft dort ein Staatsoberhaupt, das verstört und doch wichtiger Partner ist. Wird er Klartext mit Recep Tayyip Erdoğan reden?

Von Robert Roßmann, Istanbul

"An diesem Bahnhof hier begannen viele Geschichten", sagt Frank-Walter Steinmeier. Er sei ein Symbol für den Aufbruch ins Unbekannte - am Ende der Reisen hätten "erst einmal Heimweh, Entbehrung und Anstrengung" gewartet.

Der Bundespräsident ist am Montag zu einem dreitägigen Besuch in die Türkei gekommen. Und sein Programm beginnt demonstrativ am Istanbuler Bahnhof Sirkeci. Der war nicht nur Endstation des legendären Orient-Express, sondern auch Startpunkt Hunderttausender sogenannter Gastarbeiter auf ihrem Weg nach Deutschland. Mit seinem Besuch wolle Steinmeier "seine Wertschätzung für die Lebensgeschichten und Lebensleistungen der Millionen türkeistämmigen Menschen in Deutschland zum Ausdruck bringen", hatte sein Amt bereits vorab erklärt. Deshalb ist Steinmeier jetzt in dem historischen Bahnhof und hält eine Rede - übrigens in einem Restaurant mit dem Namen "Orient Express".

Sein Vorgänger hatte den Gastgeber verärgert

Im Tross des Bundespräsidenten sind nicht nur Bundestagsvizepräsidentin Aydan Özoğuz (SPD), die CDU-Abgeordnete Serap Güler und der Oberbürgermeister von Hannover, Belit Onay (Grüne). Steinmeier wird auch von dem Schriftsteller Dinçer Güçyeter, dem Schauspieler Adnan Maral ("Türkisch für Anfänger") und dem Berliner Döner-Imbissbetreiber Arif Keles begleitet. Keles hat in der Präsidentenmaschine einen schockgefrorenen Döner-Spieß samt Soßen mit in die Türkei gebracht. Am Montagabend, bei einem Empfang in der historischen Sommerresidenz des deutschen Botschafters, schneidet auch Steinmeier Fleisch von dem Spieß.

Zu Hause in Deutschland hat Steinmeier eine schwierige Woche hinter sich. Am vergangenen Mittwoch hat er im Schloss Bellevue das erste Buch vorgestellt, das er in seiner Amtszeit geschrieben hat. Es trägt den Titel "Wir" und handelt "vom Zusammenhalt und vom Mut zu handeln". Dem Bundespräsidenten war das Buch ein wichtiges Anliegen, man konnte ihm den Stolz darauf anmerken. Doch dann kamen die Rezensionen - sie waren quer durch die Presselandschaft vernichtend.

Auch die kommenden Tage dürften für Steinmeier schwierig werden. Es ist zehn Jahre her, dass zum letzten Mal ein Bundespräsident die Türkei besucht hat. Joachim Gauck hatte damals für Furore gesorgt. Denn er beließ es nicht bei diplomatischen Floskeln, sondern beklagte ungewöhnlich deutlich Defizite der Türkei bei der Rechtsstaatlichkeit oder der Meinungsfreiheit.

Türkischer Ministerpräsident war damals der heutige Präsident Recep Tayyip Erdoğan. Und der reagierte heftig. Gauck habe sich in die inneren Angelegenheiten der Türkei eingemischt, schimpfte Erdoğan. Das sei "einem Staatsmann nicht angemessen".

Erdoğan stellt sich auf die Seite der Hamas

Steinmeier wird Erdoğan am Mittwoch in Ankara treffen. Die Türkei ist in der Nato und der G20 ein wichtiger Partner Deutschlands. Es gibt aber eben auch erhebliche Differenzen - etwa bei der Beurteilung der islamistischen Hamas oder des Krieges im Gaza-Streifen. Auf welcher Seite Erdoğan steht, hat er am vergangenen Wochenende einmal mehr gezeigt - mit dem Empfang des Hamas-Politbürochefs Ismail Hanija in Istanbul. Der israelischen Regierung hat Erdoğan dagegen vorgeworfen, mit dem Krieg in Gaza inzwischen "Hitler übertroffen" zu haben.

Man darf deshalb gespannt darauf sein, wie sich Steinmeier bei seiner Begegnung mit Erdoğan verhalten wird. Mehrere Bundestagsabgeordnete haben den Bundespräsidenten bereits aufgefordert, Klartext zu reden. Das ist allerdings nicht die größte Stärke Steinmeiers. Der langjährige Außenminister ist auch im Schloss Bellevue vorsichtiger Diplomat geblieben.

Im vergangenen November hat der Bundespräsident Erdoğan in Berlin empfangen. Anschließend teilte das Präsidialamt mit, "aufgrund der jüngsten Äußerungen aus der Türkei zum Nahostkonflikt" habe Steinmeier "die deutsche Position mit Nachdruck deutlich gemacht". Für Steinmeiers Verhältnisse war das schon Klartext. Aber er hat ja auch Gründe für seine Zurückhaltung.

Treffen mit einem Hoffnungsträger

Die Türkei war schon bei der Begrenzung der Flüchtlingszahlen ein wichtiger Partner. Der Angriffskrieg Russlands in der Ukraine und die Eskalation im Nahen Osten haben ihre Bedeutung zusätzlich gestärkt. Man braucht Ankara bei der Unterstützung der Ukraine. Und man hofft, dass Erdoğan den Krieg im Nahen Osten nicht befeuert, sondern vielleicht sogar als Vermittler helfen kann.

Am Montag, im Bahnhof Sirkeci, trifft der Bundespräsident aber erst einmal den Istanbuler Oberbürgermeister Ekrem İmamoğlu. Bei den Kommunalwahlen Ende März hatte İmamoğlu sein Amt souverän verteidigen können, seitdem gilt er als wichtigster Gegenspieler Erdoğans. İmamoğlu ist Mitglied der kemalistischen CHP, die Partei hat Ende März Erdoğans AKP überraschend auf Platz zwei verwiesen und damit viele Hoffnungen geweckt.

An diesem Dienstag fliegt Steinmeier, er wird übrigens auch von Bundesfinanzminister Christian Lindner begleitet, von Istanbul nach Gaziantep. Die Stadt liegt in der Region, die im vergangenen Jahr schwer von Erdbeben erschüttert wurde. Dabei waren mehr als 50 000 Menschen ums Leben gekommen, im benachbarten Syrien starben mehrere Tausend Menschen. Steinmeier will ein Lager für Erdbebenopfer besuchen und eine Schule besichtigen, deren Aufbau Deutschland förderte. Am Dienstagabend geht es dann weiter nach Ankara, zum wichtigsten Termin der Reise: dem Treffen mit Erdoğan.

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