Spionage:Bekämpfen Erdoğans Spitzel einfach nur den Terror?

Lesezeit: 3 Min.

Schickt der türkische Präsident Erdoğan Spitzel nach Deutschland? (Foto: dpa, AP; Collage: SZ)
  • Der Bundesgerichtshof (BGH) hat 2015 entschieden: Ausländische Spione, die lediglich Leute ausspähen, die auch aus deutscher Sicht als Terroristen gelten, müssen keine Strafe fürchten.
  • Das Leiturteil fiel noch vor dem Putschversuch in der Türkei - seitdem sind in verschiedenen Bereichen türkische Spitzel aufgeflogen, die ihre eigenen Landsleute in Deutschland ausspioniert haben.
  • Sie könnten sich nun auf das Urteil berufen.

Von Georg Mascolo und Ronen Steinke, Berlin

Die Richter des 3. Strafsenats am Bundesgerichtshof (BGH), zuständig für Staatsschutz, sind nicht für übermäßige Milde bekannt. Sechs Männer und eine Frau sind es, bei denen die Fäden der bundesweiten Spionage-Strafverfolgung zusammenlaufen, Schnüffler und Geheimnisverräter müssen sich vor ihnen verantworten. Aber was die sieben Karlsruher Juristen am 20. Januar 2015 ihren Kollegen in den Ländern mitteilten, ließ einige staunen. So liberal war es.

Etwas verkürzt: Wenn fremde Spione in Deutschland "nur" Terroristen ausspähen, vom "Islamischen Staat" oder der kurdischen PKK beispielsweise, dann gehe das in Ordnung. Natürlich gibt es Ausnahmen - etwa, wenn die ausländischen Spitzel haarsträubende Methoden anwenden. Zum Beispiel "die deutsche Souveränität in" nicht nur leichter, sondern "gravierender Weise missachten". Oder wenn sie in der Intimsphäre von Zielpersonen schnüffeln. Aber im Grundsatz gilt: Ausländische Spione, die lediglich Leute ausspähen, die auch aus deutscher Sicht als Terroristen gelten, müssen keine Strafe fürchten.

Spionage ist nur strafbar, wenn sie sich gegen die Bundesrepublik Deutschland richtet

Es ist ein Leiturteil, das bislang noch kaum praktische Relevanz bekommen hat. Spionage-Ermittlungen kommen normalerweise selten vor. In diesen Monaten aber ist das anders. Man denkt an die zahlreichen Fälle, in denen Mitarbeiter deutscher Behörden mutmaßlich für andere Länder gespitzelt haben sollen. Vor allem für die Türkei, aber auch etwa für Vietnam. Von 15 Mitarbeitern, vor allem Dolmetschern, hat sich das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) gerade getrennt, wie jüngst der Spiegel berichtete.

Noch ist keiner von ihnen vor Gericht gekommen. Noch steht auch keiner jener Ditib-Imame vor Gericht, die verdächtigt werden, ihre eigenen Landsleute für Ankara bespitzelt zu haben. Aber mit Blick auf den überraschend liberalen Leitspruch aus Karlsruhe befürchten nun manche in den Sicherheitsbehörden, dass solche Prozesse mit großer Unsicherheit behaftet wären. Die Sorge ist: Der BGH könnte solche Spitzel freisprechen. Weil diese sich auf "Terrorbekämpfung" berufen. Und das könnten andere Spitzel als Freibrief verstehen. "Würde man eine strafrechtlich zu laxe Linie fahren, würde das die Türkei fast ermuntern", warnt sogar ein Jurist, der als Verteidiger in Spionagefällen arbeitet, der Kölner Anwalt Nikolaos Gazeas.

In seinem Leiturteil von 2015 geht der Senat zwar mit keinem Wort auf die Türkei ein. Dennoch fällt es heute schwer, bei dem Urteil nicht an die Türkei zu denken.

Kooperation bei der Terrorbekämpfung

Spionage ist nur strafbar, wenn sie sich "gegen die Bundesrepublik Deutschland richtet", so steht es in Paragraf 99 des Strafgesetzbuchs. Doch dazu sagen die Bundesrichter: Nicht alles, was Spione auf deutschem Boden tun, richte sich automatisch gegen Deutschland. Die Sicherheitsbehörden mögen es zwar als Problem ansehen, dass hierzulande innertürkische Konflikte ausgetragen werden; zwischen Türken und Kurden etwa. Die BGH-Richter mahnen aber an: Das gehe Deutschland wenig an, solange sich die Spitzeltätigkeit nur gegen "Mitglieder oder Unterstützer einer durch die Europäische Union gelisteten ausländischen terroristischen Vereinigung richten".

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Hintergrund ist, dass Deutschland in der Terrorbekämpfung mit vielen Staaten kooperiert. So sehr mit der Türkei gestritten wird, wenn es um Erdoğans autoritäres Gebaren geht, so sehr zieht Berlin trotzdem an einem Strang gegen Dschihadisten oder militante Kurden. Diese Zusammenarbeit zwischen den Nachrichtendiensten läuft weiter, versichern Insider auf deutscher Seite. Die kurdische PKK, ein Hauptfeind Erdoğans, steht auch in Deutschland und bei der EU auf Terrorlisten. Gegen linksradikale türkische Gruppen wie die TKP/ML geht die deutsche Justiz sogar mit großem Einsatz vor, derzeit läuft in München ein Mammutprozess mit zehn Angeklagten. Nur in der Bewertung der Gülen-Bewegung besteht ein grundsätzlicher Dissens. Ankara betrachtet sie als Terroristen. Berlin widerspricht. Echte oder vermeintliche Gülen-Anhänger auszuspähen bleibt daher strafbar in Deutschland.

In den anderen Spionagefällen ist die vormals harte deutsche Linie seit 2015 aufgeweicht: In ihrem Leiturteil rüffelten die Karlsruher Richter sogar einen ihrer Kollegen, einen Haftrichter beim BGH, der sich auf die Seite des Generalbundesanwalts geschlagen hatte mit der strengeren Meinung, Deutschland könne keine fremden Agenten in seinen Behörden dulden. Die konziliante Antwort des Strafsenats: Selbst wenn ein Maulwurf in deutschen Amtsstuben arbeitet und von dort Geheimnisse verkauft, sei das nicht pauschal illegal. "Die Ausnutzung der Zugriffsmöglichkeit auf amtliche Register und Informationssysteme" bedeute nicht automatisch, dass "der Grundtatbestand der geheimdienstlichen Agententätigkeit erfüllt ist".

Das Leiturteil stammt noch aus der Zeit vor dem Putschversuch in der Türkei. Ob diese milde Linie jetzt noch gilt, wird sich an diesem Donnerstag vielleicht schon erkennen lassen. Dann findet in Karlsruhe eine mündliche Verhandlung statt.

Das Kammergericht Berlin läuft gerade gegen die Karlsruher Nachsicht Sturm. In Berlin hatte dieses Gericht einen Inder als Spion verurteilt, obwohl der beteuert hatte, nur im Kampf gegen den Terror geholfen zu haben. Der 59-Jährige hatte als Mitarbeiter der Zentralen Ausländerbehörde Daten über seine in Deutschland lebenden Landsleute an den indischen Auslandsgeheimdienst Research & Analysis Wing weitergegeben. Nach seiner Verhaftung am 17. Februar 2016 beteuerte der mutmaßliche Spion: Es sei nur gegen radikale Sikh-Separatisten gegangen. Diese seien Terroristen, genau so sehe das auch der deutsche Staat, der sie auf Terrorlisten führt.

Die Berliner Richter, weniger milde als ihre Karlsruher Kollegen, wollen das nicht als Ausrede gelten lassen. Begründung: Im Geheimdienstgeschäft gelte ein "Geben und Nehmen". Wenn ein Maulwurf eigenständig Informationen ans Ausland verkaufe, am BND vorbei, schwäche das jedenfalls die deutsche Position im internationalen Nachrichtendienst-Tauschgeschäft.

"Das Argument ist nicht sonderlich moralisch, sondern pragmatisch", sagt der Kölner Spionage-Anwalt Gazeas. "Aber damit ließe sich eigentlich aller Spitzelei in deutschen Ämtern ein Riegel vorschieben."

© SZ vom 18.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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