Ampelkoalition:Wo ist der Klimakanzler?

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Bauarbeiten an der Isentalbrücke bei Lengdorf für die Bundesautobahn A 94 durch das Isental. (Foto: Renate Schmidt)

Früher tickten SPD und Grüne gerade in Umweltfragen ähnlich. Doch im Streit über Heizungen, Autobahnen und Verkehr wird deutlich: Bei den Sozialdemokraten verschiebt sich etwas - Richtung FDP.

Von Michael Bauchmüller und Georg Ismar, Berlin

Es ist gar nicht so lange her, da grüßte Olaf Scholz als selbsternannter Klimakanzler von den Wahlplakaten. "Kanzler für Klimaschutz", stand da drauf, dazu das Versprechen: "Scholz packt das an." Er besuchte Windparks, ließ sich in Zementfabriken erklären, wie denn der Umbau in Richtung klimaneutrales Wirtschaften klappen soll. Im Wahlkampf wirkten die Sozialdemokraten mitunter grüner als grün.

Und jetzt? Wenn am kommenden Sonntag die Spitzen der Koalition zum Gipfel zusammentreten, dann liegt auf dem Stapel ungelöster Fragen einiges, was mit des Kanzlers Lieblingsthema von einst zusammenhängt, direkt oder indirekt. Gestritten wird im Bündnis über den Klimaschutz im Verkehr, über die Zukunft fossiler Heizungen, über den beschleunigten Ausbau von Autobahnen. Doch an wessen Seite die SPD steht, zählt zu den großen Rätseln vor dem Treffen. Und vieles spricht dafür, dass sie bei Umweltthemen mittlerweile der FDP näher ist als den Grünen.

Zum Beispiel im Streit über den von der FDP geforderten beschleunigten Autobahnausbau. "Der Bundeswegeplan gilt. Wir brauchen auch Vorhaben, um Lücken zu schließen und neue Engpässe zu verhindern", sagt der Fraktionsvorsitzende Rolf Mützenich im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung.

Klimakrise? Rolf Mützenich spricht lieber von "Politik der Sachlichkeit und Vernunft"

Doch während die Grünen zwar alle möglichen Infrastrukturen schneller ausbauen wollen, nicht aber neue Autobahnen, spricht Mützenich von einer "Politik der Sachlichkeit und Vernunft". Schließlich habe man auch in der großen Koalition darauf geachtet, Klimaschäden zu vermeiden, gleichzeitig aber sicherzustellen, "dass alle am Strukturwandel teilhaben können und nicht überfordert werden". So sei man beim Austausch alter Gas- und Ölheizungen darauf bedacht, dass es mit einem Förderprogramm für einkommensschwache Haushalte flankiert werden muss.

Die SPD-Fraktion hatte sich nach der Bundestagswahl deutlich verjüngt, mit gleich 49 Abgeordneten im Alter unter und bis 35 Jahre. Doch wer glaubt, dass damit die Fridays-for-future-Generation nun bedingungslosen Klimaschutz verlangt, sieht sich getäuscht. "Ich sehe gerade auch bei den jungen Abgeordneten, dass sie in der Klima- und Umweltpolitik stark die sozialen Belange im Blick haben, und auch was es für die Industrie bedeutet", sagt Mützenich.

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Ohnehin sind viele der Neulinge in der konservativen Strömung der Partei, dem Seeheimer Kreis, Mitglied geworden - und nicht bei der Parlamentarischen Linken, wie es früher ein fast ungeschriebenes Gesetz im Juso-Lager war. Die Seeheimer haben vor allem auch die Industrie bei dem ganzen Strukturwandel im Blick. Eine der Neuen, die bei den Seeheimern gelandet ist, ist Isabel Cademartori. Die Abgeordnete aus Mannheim kämpft für Biosprit, wie er auf deutschen Äckern gewonnen wird - und damit gegen die Pläne der grünen Umweltministerin Steffi Lemke. "Die SPD sollte die Partei der Technologie und des Klimaschutzes sein", sagt sie. "Im Zweifel sollten wir das bevorzugen - und ich glaube, dass die Mehrheit das so sieht." Vor allem bei jüngeren Abgeordneten herrsche diese Sicht vor. "Mag sein, dass wir damit manchmal näher bei der FDP sind als bei den Grünen", sagt sie. "Aber eine Überbetonung des Naturschutzes hilft uns beim Klimaschutz nicht."

Umweltverbände bringt der neue rote Pragmatismus zum Verzweifeln. "Olaf Scholz mag zwar ein Freund erneuerbarer Energien sein - aber Naturschutz oder Biodiversität sind ihm fremd", sagt etwa BUND-Chef Olaf Bandt. "Das macht es für Umweltverbände nicht einfacher, mit der SPD umzugehen." Obendrein gebe es auch in der SPD Forderungen, "irgendwie alles" zu beschleunigen, auch auf Kosten von Naturschutz und Umweltverträglichkeitsprüfungen. "Das ist ein ernstes Problem." Weil aber die Partei in vielen Koalitionsdebatten eher moderierend auftrete, werde ihre eigentliche Position oft erst spät klar.

"In der Öffentlichkeit stehen vor allem die streitenden FDP und Grünen."

Tatsächlich haben die Sozialdemokraten eine bequeme Position gefunden - im Schwebezustand über den beiden anderen Koalitionspartnern. "In der Öffentlichkeit stehen vor allem die streitenden FDP und Grünen", sagt der oberste Umweltpolitiker der Fraktion, ihr Vizechef Matthias Miersch. "Wir streiten nicht öffentlich, sondern setzen unsere Akzente im vertraulichen Diskurs." Obendrein brauche es die SPD als soziales Gewissen der Koalition. "Die Grünen verfolgen da mitunter einen zu eindimensionalen Ansatz", klagt Miersch.

Der Vorsitzende des Verkehrsausschusses, Udo Schiefner (SPD), mahnt, dass man zu viele Scheindebatten führe - er kritisiert FDP wie Grüne. "Streit über Treibstoff, der gar nicht verfügbar, oder über Autobahnneubau, der in der Form von niemandem geplant ist, mag wichtig für die jeweilige Klientel sein. Unserem Gemeinwohl steht das im Weg." Er sieht die SPD in einer ständigen Vermittlerrolle. "Ich würde lieber Probleme lösen." Zum Beispiel den schnellen Ausbau der Ladeinfrastruktur gerade auch für Lkws im Güterverkehr auf der Straße. Er frage sich, wer eigentlich in diesem Jahrzehnt mehr für die Klimaziele erreichen wolle, stichelt Schiefner gegen die Grünen. Allein auf der Schiene liege nicht "unser aller Seelenheil".

Aber auch in der SPD zeichnet sich ab, dass bei einigen Themen Konflikte drohen. Schon bei der Diskussion über Biokraftstoffe gibt es durchaus auch bei den Sozialdemokraten unterschiedliche Ansichten. Und dann gibt es noch Themen, denen manche junge Abgeordnete weit offener gegenüberstehen als alte Umweltrecken, die unterirdische Speicherung von Kohlendioxid etwa oder neue Züchtungsmethoden in der Gentechnik. "Natürlich gibt es immer wieder Fragen, wo es auch in der Fraktion Diskussionsbedarf gibt", sagt Matthias Miersch. Dass in einer Fraktion diskutiert werde, das sei normal. Doch setzt man bei der SPD darauf, dass man sich erst einmal lieber intern statt auf der öffentlichen Bühne streitet.

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