Kampf gegen die AfD:Die SPD wirbt um einen Pakt der Mitte

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Auch am ersten Februarwochenende demonstrieren wieder Zehntausende gegen die AfD - wie hier vor dem Reichstag in Berlin. (Foto: Ebrahim Noroozi/AP)

Nach den Massenprotesten gegen die AfD schöpfen die Sozialdemokraten neuen Mut und würden gern politisch nachlegen. Für einige Vorhaben bräuchte es die Union, doch das Verhältnis zu deren Führung ist angespannt.

Von Georg Ismar

Saskia Esken hat wenig Zeit, sie bricht an diesem Tag noch ins Erzgebirge auf. Im Willy-Brandt-Haus hat man erkannt, dass man wieder mehr raus zu den Leuten muss, auch dorthin, wo die AfD sehr stark ist. So stehen für die SPD-Chefin später der Besuch eines Supermarkts und die Teilnahme an einer Bürgerversammlung in der Gaststätte Postgut in Hohenstein-Ernstthal auf dem Programm.

Im Präsidium haben sie gerade ausführlich beraten, was politisch aus dem großen Zulauf zu den Demonstrationen gegen Rechtsextremismus und Gedankenspiele für Ausbürgerungen und Abschiebungen politisch folgen soll. Esken hat zwar nur ein paar Minuten für ihr Statement, aber an Ideen mangelt es ihr und der SPD-Spitze nicht. Doch auch in der Kanzlerpartei fragen sich einige, reicht das? Und ist das Verhältnis zu CDU-Chef Friedrich Merz noch so zu kitten, dass man gemeinsam den Kampf gegen die AfD führen kann, auch mit Absprachen für eine Reform der Schuldenbremse?

Als Erstes will die SPD-Spitze, dass das schon länger geplante Demokratiefördergesetz mit FDP und Grünen in der Ampelkoalition auf den Weg gebracht wird, es soll Vereine und Organisationen, die sich für die Demokratie und gegen Extremismus einsetzen, besser ausstatten. Was Esken noch alles vorschwebt, hört sich nach einem großen Arbeitsprogramm für Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) an. Man müsse dafür sorgen, dass rechtsextreme Netzwerke offengelegt und deren Finanzströme ausgetrocknet werden. Sonderdezernate und Schwerpunktstaatsanwaltschaften sollen ferner zur Bekämpfung von Hasskriminalität gebildet werden.

Erfahrene Sozialdemokraten räumen Fehler der Ampelregierung ein

Bei Organisationen, die mit der AfD verbunden sind, müsse man schauen, wo Verbote angezeigt sein könnten. Zudem müsse im öffentlichen Dienst das Disziplinarrecht schärfer angewandt werden, um eine rechtsextreme Unterwanderung im Richter- wie im Schuldienst und bei den Sicherheitsbehörden zu verhindern. "Wir müssen uns auch das Waffenrecht noch mal anschauen."

Aber die spannendere Debatte in der Partei von Kanzler Olaf Scholz läuft dieser Tage hinter den Kulissen ab. Gerade erfahrene Sozialdemokraten reden dort Tacheles. Es wird eingeräumt, dass gerade auch eigenes Regierungshandeln zum Erstarken der AfD und zum Ampelfrust beigetragen habe. Seien es die von Bürgern als Hineinregieren in den Keller empfundenen ersten Entwürfe des Heizungsgesetzes, die Probleme, die Migration nach Deutschland einzudämmen, oder die über Nacht im Kanzleramt entschiedenen Kürzungen beim Agrardiesel für die Bauern.

Immer wieder wird aber vor allem das gebrochene Versprechen bei einer der großen sozialen Fragen dieser Zeit kritisiert: 400 000 neue Wohnungen hatte Scholz pro Jahr versprochen, gerade im unteren Preissegment sollte es durch mehr Angebot geringere Mieten geben. Das Ziel wird weit verfehlt - und so sagt ein einflussreicher Sozialdemokrat, es brauche ein staatliches Wohnungsbauprogramm für 100 000 Wohnungen. Das Dilemma: Ohne Aussetzung oder Lockerung der Schuldenbremse sind hier kaum Impulse möglich, die vielleicht etwas die Stimmung im Lande drehen könnten.

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Merz nannte die SPD neulich "Partei der subventionierten Arbeitslosigkeit"

Nicht nur die Ministerpräsidenten fordern von Scholz, mehr klare Kante gegen die FDP und Finanzminister Christian Lindner zu zeigen. Und immer wieder landet die Debatte über eigene Fehleinschätzungen beim Bürgergeld. "Wir sind stolz auf dieses Bürgergeld-Gesetz", kontert hingegen Esken am Montag die Kritik an der Höhe der früheren Hartz-IV-Leistungen.

Als CDU-Chef Friedrich Merz die SPD neulich die "Partei der subventionierten Arbeitslosigkeit" nannte, war die Empörung mal wieder groß. Aber einflussreiche Sozialdemokraten stimmen im persönlichen Gespräch zu: Früher sei man die Partei der Arbeiter gewesen, heute kümmere man sich viel zu sehr um staatliche Subventionsempfänger. Laut einer Erhebung des Allensbach-Instituts glauben drei Viertel der Bevölkerung, das Bürgergeld in seiner derzeitigen Höhe halte viele Empfänger davon ab, sich eine reguläre Arbeit zu suchen. Auch 62 Prozent der SPD-Anhänger sehen das so. Da der Staat zudem die Kosten für Miete und Heizung übernimmt, treffen Bürgergeld-Empfänger Steigerungen in dem Bereich weniger. Gerade Arbeitnehmer mit geringen Einkommen empfinden die Regelungen als ungerecht. Das Geld für die steigenden Sozialausgaben fehlt dann an anderer Stelle.

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Angesichts der großen Herausforderungen für die Demokratie und der Haushaltsnöte, wird intern auch über neue Sondervermögen diskutiert, etwa zum Wohnungsbau. Aber wegen des Zerwürfnisses zwischen Kanzler Scholz und Friedrich Merz ist ein neuer Schulterschluss kaum möglich, auch wenn einige in der Partei auf die Notwendigkeit eines "Pakts der Mitte" verweisen, denn bei wichtigen Themen wie Migration oder Haushalt ist man eigentlich auch auf die größte Oppositionspartei angewiesen, auch als Signal des Zusammenstehens der Demokraten. Aber gerade hat es eher den Anschein, dass sich - auch selbstverschuldet - Gräben vergrößert haben. Das wird auch dem Kanzleramt angekreidet. Merz hat sich mächtig geärgert, als er im Herbst mit Scholz über ein Bündnis zur Begrenzung der Migration im Kanzleramt redete und zeitgleich Kanzleramtschef Wolfgang Schmidt ein Treffen mit Journalisten abhielt, in dem er klarmachte, Merz brauche man für die Lösung dieser Fragen ohnehin nicht, nur die Bundesländer. Und auch dass Esken beim SPD-Parteitag im Dezember sagte, die Union hetze "im Chor mit der AfD" gegen die Ampel, stieß ihm bitter auf.

In der Union hat sich das Gefühl verbreitet, man werde von Scholz und der SPD nicht ernst genommen, die Genossen würden ständig tricksen. Beim Sondervermögen für die Bundeswehr habe man mitgemacht, nun werde es entgegen den Absprachen nicht nur für neues Material genutzt, sondern auch um Haushaltslöcher zu stopfen. Auf keinen Fall wollen Merz und CSU-Chef Markus Söder bei einem Zerbrechen der Ampel übergangsweise in eine große Koalition eintreten, dann müsse es Neuwahlen geben. SPD-Chefin Esken beharrt darauf, das Tischtuch mit der Union sei noch nicht ganz zerschnitten. "Auch wenn wir in der Sache kontrovers diskutieren und streiten", sagt sie, "sind unsere Gesprächskanäle jederzeit offen."

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