Ukraine-Krieg:Berlin weist 40 russische Diplomaten aus

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Nach dem Rückzug russischer Truppen aus Butscha im Nordwesten von Kiew stießen ukrainische Soldaten und unabhängige Beobachter auf Bilder der Zerstörung und des Grauens. Mehrere Hundert Zivilisten sollen in der Stadt getötet worden sein. (Foto: Rodrigo Abd/AP)

Die Bundesregierung reagiert damit auf Gräueltaten in der Nähe von Kiew. Finanzminister Lindner deutet an, wie ein Kompromiss bei Energie-Sanktionen gegen Moskau aussehen könnte.

Von Michael Bauchmüller, Björn Finke und Nico Fried, Berlin/Luxemburg

Nach den mutmaßlich von russischen Soldaten verübten Gräueltaten im ukrainischen Butscha hat die Bundesregierung am Montag 40 russische Diplomaten ausgewiesen. Das teilte Außenministerin Annalena Baerbock mit. "Die Bilder aus Butscha zeugen von einer unglaublichen Brutalität der russischen Führung", so Baerbock. Dieser Unmenschlichkeit müsse man mit Stärke begegnen. Die Bundesregierung habe deshalb entschieden, "eine erhebliche Zahl von Angehörigen der russischen Botschaft zu unerwünschten Personen zu erklären, die hier in Deutschland jeden Tag gegen unsere Freiheit, gegen den Zusammenhalt unserer Gesellschaft gearbeitet haben". Die betroffenen Diplomaten haben fünf Tage Zeit, das Land zu verlassen.

US-Präsident Joe Biden forderte, den russischen Staatschef Wladimir Putin wegen Kriegsverbrechen vor Gericht zu stellen. "Er sollte zur Rechenschaft gezogen werden", sagte Biden. "Dieser Kerl ist brutal. Es ist abscheulich, was in Butscha passiert ist, und alle haben es gesehen." Noch in dieser Woche soll es neue Sanktionen geben, kündigte Bidens Nationaler Sicherheitsberater Jake Sullivan an. Es gebe mit der EU Gespräche über "die volle Bandbreite an Sanktionen".

Der russische UN-Botschafter Wassili Nebensja bestritt auf einer Pressekonferenz in New York, dass die russischen Truppen Zivilisten getötet hätten. Es handle sich um eine "abscheuliche Provokation des Regimes in Kiew". Er zeigte Fotos und Videos, die beweisen sollten, dass in Anwesenheit der russischen Soldaten bis Ende März alles friedlich gewesen sei.

Ein Stopp der Gaslieferungen steht allerdings weiter nicht auf der Tagesordnung

Auch in Deutschland hielt die Diskussion um weitere Sanktionen am Montag an. Ein Stopp der Gaslieferungen steht allerdings weiter nicht auf der Tagesordnung. Finanzminister Christian Lindner (FDP) sagte vor einem Treffen der Euro-Gruppe in Luxemburg, es gehe darum, den Druck auf den russischen Präsidenten Wladimir Putin "weiter zu erhöhen, ohne uns in besonderer Weise selbst zu schwächen".

Sowohl Lindner als auch Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) verwiesen auf Bemühungen, möglichst bald unabhängig von russischen Gaslieferungen zu werden. Dies solle "schnellstmöglich", geschehen, sagte Lindner. Kurzfristig sei Gas aber nicht zu ersetzen. "Wir würden uns mehr schaden als ihm", sagte er mit Blick auf Putin. Lindner deutete aber an, dass ein Boykott von Kohle und Öl vielleicht möglich sei: Um unabhängig von russischem Gas zu werden, brauche Deutschland "einige Zeit, und daher müssen wir unterscheiden zwischen Öl, Gas und Kohle" beim Sanktionspaket, sagte er.

Habeck sprach sich zwar am Montag nicht dezidiert gegen ein Öl- und Gas-Embargo aus - verwies aber ebenfalls auf die Anstrengungen, sich zügig von russischem Öl und Gas unabhängig zu machen, etwa durch neue Lieferverträge mit anderen Anbietern und den geplanten Bau von Flüssigerdgas-Terminals. "Das heißt, dass wir mit jedem Tag daran arbeiten, die Voraussetzungen und die Schritte hin zu einem Embargo zu schaffen", sagte Habeck. Dieser Weg schade Putin "täglich". Die Lieferung von Waffen und militärischem Gerät an die Ukraine solle "uneingeschränkt und in großem Umfang fortgesetzt werden", verlangte Habeck. "Immer mit der Grenze, dass wir nicht Kriegspartei werden dürfen."

Italien will kein Veto gegen ein Gas-Embargo einlegen

Italien, das ähnlich wie Deutschland besonders viel Gas aus Russland bezieht, ist dagegen nach Aussagen von Außenminister Luigi Di Maio zu weitreichenden Maßnahmen gegen den Energiesektor Russlands bereit. "Italien wird kein Veto einlegen gegen Sanktionen gegen russisches Gas", sagte Di Maio am Montag in Zagreb.

Die Bundesregierung wird nach Angaben eines Sprechers in den kommenden Tagen mit den Verbündeten weitere Sanktionen gegen Russland absprechen. Der Sprecher wollte am Montag aber weder auf die Frage eingehen, ob dazu auch die Energiebranche gehört - also etwa ein Stopp der Lieferungen von Gas, Öl und Kohle aus Russland -, noch, ob die Koalition offen für eine Zusatzsteuer auf solche Energie-Importe ist. Eine Sprecherin des Wirtschaftsministeriums betonte, dass ein Gas-Embargo wirtschaftliche Folgen für Deutschland habe, vor allem für einige Regionen im Land, und man deshalb "besonnen handeln" müsse. Hintergrund ist die mangelnde Anbindung etwa Süddeutschlands für die Belieferung mit Flüssiggas.

Deutschland sei "die größte Bremse" bei Sanktionen, sagt Polens Ministerpräsident

Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki hielt der Bundesregierung vor, weitere Sanktionen gegen Russland zu verhindern. Mit Blick auf jüngste Treffen der Europäischen Union sagte er: "Jeder, der die Mitschriften liest, wird wissen, dass Deutschland die größte Bremse ist, wenn es um entschiedenere Sanktionen geht." Morawiecki appellierte deshalb an Kanzler Olaf Scholz (SPD), seine Haltung zu Russland zu überdenken. "Nicht die Stimmen der deutschen Unternehmen, der deutschen Milliardäre, die Sie jetzt wahrscheinlich von weiteren Maßnahmen abhalten, sollten heute in Berlin laut zu hören sein", sagte der nationalkonservative Regierungschef. "Es ist die Stimme dieser unschuldigen Frauen und Kinder, die Stimme der Ermordeten, die von allen Deutschen und von allen deutschen Politikern gehört werden sollte."

Habeck setzte am Montag die Bundesnetzagentur als Treuhänderin bei der deutschen Tochter des russischen Gazprom-Konzerns ein. Dies sei nötig, um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Gazprom hatte am Freitag angekündigt, sich aus der Gazprom Germania zurückzuziehen, aber keinen neuen Eigentümer benannt. Da die Gazprom Germania kritische Infrastruktur, zum Beispiel Gasspeicher, betreibe, sei dies ein Gesetzesverstoß gewesen, so Habeck.

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