Flüssigerdgas:Warum das LNG-Terminal vor Rügen so umstritten ist

Lesezeit: 3 min

Im Hafen Mukran ist ein LNG-Terminal geplant. (Foto: Stefan Sauer/dpa)

Vor der Ostseeinsel soll Flüssigerdgas wieder in Erdgas umgewandelt werden. Doch an den Plänen gibt es viel Kritik - nicht nur von Insulanern.

Von Dimitri Taube

Direkt vor der Insel Rügen soll ein Import-Terminal für Flüssigerdgas entstehen. Das Projekt ist allerdings umstritten. Inselbewohner, Landesregierung und Fachleute kritisieren die Pläne. Für Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) spielt der Standort dagegen eine wichtige Rolle bei der Energieversorgung. Die wichtigsten Fragen und Antworten zu dem Vorhaben im Überblick:

Was genau ist vor Rügen geplant?

Flüssigerdgas, kurz: LNG, soll wieder in Erdgas umgewandelt werden. Vorgesehen ist, dass dafür zwei Spezialschiffe an einem Industriehafen anlegen. Es handelt sich dabei um Regasifizierungsschiffe. Eines der beiden, die Neptune, liegt bislang im gut 40 Kilometer Luftlinie entfernten Hafen Lubmin vor der Küste Mecklenburg-Vorpommerns und soll zusammen mit dem zweiten Schiff, der Transgas Power, umziehen. Geplant ist auch eine neue Pipeline nach Lubmin, um das Gas in die dortigen Fernleitungen einzuspeisen. Das Problem: Die Pipeline soll durch den ökologisch sensiblen Greifswalder Bodden gebaut werden.

Das Unternehmen Deutsche Regas betreibt das Rügen-Projekt im Auftrag der Bundesregierung. Insgesamt will Regas eine Gesamtkapazität von 13,5 Milliarden Kubikmetern Erdgas jährlich sicherstellen. 200 Millionen Euro sollen investiert werden.

Dabei sind die Betreiber umstritten, sie waren vorher nicht im Gasgeschäft tätig. Die Stadt Binz auf Rügen hat zudem Zweifel, ob es bei der Finanzierung der LNG-Terminals mit rechten Dingen zugeht. Sie erhebt den Vorwurf einer zweifelhaften Finanzierung und bittet Finanzkontrolleure des Bundes, die Deutsche Regas zu durchleuchten. Das Unternehmen weist die Vorwürfe zurück und spricht von "haltlosen" Behauptungen.

Wo genau befindet sich der Standort?

Das schwimmende LNG-Terminal mit zwei Plattformen ist im Industriehafen Mukran bei Sassnitz geplant. Nur wenige Kilometer entfernt liegt Binz, das größte Seebad auf der Insel. Bundestag und Bundesrat hatten Anfang Juli die Aufnahme des Hafens Mukran als Standort für ein Flüssigerdgas-Terminal in das entsprechende LNG-Beschleunigungsgesetz beschlossen. Es soll schnellere Genehmigungen ermöglichen.

Bei dem Standort Mukran zeichne sich "eine Realisierbarkeit für den Import von LNG" ab, heißt es in dem Gesetz. Zudem könne der Standort "perspektivisch weiterentwickelt werden für eine Nutzung der Hafeninfrastruktur und Leitung mit Wasserstoff und dessen Derivaten".

Warum ist LNG aus Sicht der Bundesregierung für die Energieversorgung so wichtig?

Der Bundeskanzler hat den Standort vor Rügen als essenziell für die Versorgungssicherheit im kommenden Winter eingestuft. Nach Ansicht von Wirtschaftsminister Habeck bieten schwimmende Flüssigerdgas-Terminals die Möglichkeit, die Unabhängigkeit von russischem Pipelinegas voranzutreiben.

Derzeit gebe es eine stabile Gasversorgungslage, die Gasspeicher seien bereits zu über 80 Prozent gefüllt, sagte Habeck im Bundestag vor der Sommerpause Anfang Juli. "Stand heute kommen wir sehr gut durch den Winter." Man sollte sich aber nicht darauf verlassen, dass immer alles gut gehe, so der Minister. Doch: Für die Notwendigkeit des Standorts vor Rügen gibt es bislang keinen Beleg.

Welche Kritik gibt es am Projekt vor Rügen?

Inselbewohner wehren sich gegen das Terminal, befürchten katastrophale Auswirkungen auf die Umwelt und sehen den Tourismus auf Rügen beeinträchtigt. Mit ihrer Kritik sind sie nicht allein. Jörg-Andreas Krüger, Präsident des Naturschutzbundes Nabu, sagt: "Die Infrastruktur zementiert die Nutzung des klimaschädlichen Rohstoffs auf Jahrzehnte." Für die Sicherung der Energieversorgung sei die geplante LNG-Infrastruktur auf Rügen aller Voraussicht nach unnötig.

Ähnlich äußern sich das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) und die Deutsche Umwelthilfe (DUH). Durch das Projekt drohten der Deutschen Umwelthilfe zufolge "tiefgreifende und irreparable Auswirkungen" auf die Umwelt unter und über Wasser. DUH-Bundesgeschäftsführer Sascha Müller-Kraenner kritisiert: In der Gesamtbetrachtung seien die Terminal-Pläne "eine Katastrophe für besonders schützenswerte Meeresgebiete, den Erhalt der Artenvielfalt und unser Klima".

Die Landesregierung von Mecklenburg-Vorpommern stellt sich ebenfalls gegen die Pläne. Laut Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) wäre ihre Regierung für einen Offshore-LNG-Standort bereit gewesen, also für ein Vorhaben auf dem offenen Meer. "Auch dann hätte es Eingriffe gegeben, aber es wäre mehr akzeptiert gewesen", sagt Schwesig.

Wie sieht die LNG-Infrastruktur in Deutschland derzeit aus?

Bislang sind drei LNG-Terminals in Betrieb: in Lubmin, Wilhelmshaven und Brunsbüttel. Die beiden letztgenannten sind staatliche Vorhaben, Lubmin ist derzeit das einzige rein private - mit Mukran wird die Deutsche Regas dann zwei private Projekte betreiben.

Die Anlage in Wilhelmshaven war die erste, über die im Dezember 2022 eine LNG-Lieferung nach Deutschland kam. Zahlen des Bundeswirtschaftsministeriums und der Bundesnetzagentur zeigen außerdem, dass über Wilhelmshaven bis jetzt mit Abstand das meiste Flüssigerdgas eingespeist wurde.

Insgesamt importierte die Bundesrepublik im ersten Halbjahr 2023 etwa 33,8 Terawattstunden LNG. Verglichen mit dem gesamten deutschen Gasimport von 526 Terawattstunden in diesem Zeitraum macht das jedoch nur einen Anteil von etwa sechs Prozent aus. Abgesehen vom Projekt auf Rügen sind noch weitere Terminals geplant. So soll etwa im niedersächsischen Stade vom kommenden Winter an ebenfalls Gas ankommen.

© SZ/dpa/rtr - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusExklusivEnergiepolitik
:Ein Schatten über dem Rügen-Projekt des Kanzlers

Die Deutsche Regas soll gleich zwei große LNG-Projekte vor Rügen stemmen. Der Kanzler hat sich dafür eingesetzt. Doch nun kommen Fragen auf: Woher hat das junge Unternehmen das ganze Kapital?

Von Georg Ismar

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: