Der Ton wird jetzt deutlich rauer, Karsten Schneider wirft Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) ein gebrochenes Versprechen vor. Vordergründig kämpft der Bürgermeister von Binz auf Rügen für den Hering. Vor allem aber geht es um die Interessen der Bewohner und der finanzkräftigen Immobilieninvestoren.
Sie stemmen sich seit Monaten gegen ein geplantes LNG-Terminal im benachbarten Mukran. Sie bangen um Natur und Tourismus rund um das Ostseebad mit seinen langen weißen Sandstränden. Jetzt spielen sie auf Zeit - und das womöglich mit Erfolg.
"Dass Sie nun zulassen, dass die Schon- und Laichzeit des Herings erheblich gestört wird, ist ein klarer Wortbruch", hat Schneider an Habeck geschrieben, das Schreiben liegt der Süddeutschen Zeitung vor. Denn der Wirtschaftsminister habe bei einem Treffen am 20. April 2023 in Binz öffentlich versprochen, dass die 50 Kilometer lange Anbindungsleitung - durch sie soll das Erdgas vom Terminal auf Rügen zum Festland transportiert werden - bis Jahresende fertiggestellt sein müsse. Sonst müssten die Arbeiten wegen der Heringe bis Mai ruhen.
Es läuft nicht so mit dem "Deutschlandtempo"
Im Industriehafen Mukran, nicht einmal zehn Kilometer Luftlinie von Binz entfernt, sollen künftig LNG-Tanker anlegen. Auf zwei schwimmenden Terminals, sogenannten Regasifizierungsschiffen, will das Unternehmen Deutsche Regas das kalte Flüssigerdgas in einen gasförmigen Zustand umwandeln. Per Pipeline durch die Ostsee soll es an Binz vorbei zum Hafen Lubmin strömen, und von dort weiter ins deutsche Gasnetz.
Kanzler Olaf Scholz (SPD) hat das Projekt zur Chefsache gemacht, doch es klappt nicht so mit dem "Deutschlandtempo". Zunächst sollte das größte LNG-Terminal in der Ostsee im Dezember den Betrieb aufnehmen, dann im Februar, in jedem Fall aber noch diesen Winter. Doch auch das wackelt jetzt. Weil Fristen gerissen wurden, auch wegen des schlechten Wetters, wurden die Arbeiten in die Laichzeit des Herings hinein verlängert.
Die Deutsche Umwelthilfe und ein Heringsfischer reichten gegen diese Planänderung Klagen ein. Das Bundesverwaltungsgericht bat wegen eines Eilantrags das für den Leitungsbau durch die Ostsee zuständige Unternehmen Gascade, die Arbeiten im Greifswalder Bodden und im ersten Seeabschnitt auszusetzen.
"Dem kommen wir nach", betont ein Gascade-Sprecher. Die eigentliche Leitung ist fertig, nach letzten Vorbereitungen will das Unternehmen sie eigentlich im Februar in Betrieb nehmen. Doch auf einigen Abschnitten fehlen Steinabdeckungen, um den Meeresboden halbwegs wiederherzustellen - Arbeiten, die aber die Laichzeit der Heringe massiv stören könnten, wie Umweltschützer warnen.
Es gibt keine akute Gasmangellage, sagt die Regierung Mecklenburg-Vorpommerns
Auch bei der Bundesnetzagentur gibt es Zweifel, dass noch im Winter erstes Gas fließen kann; eine endgültige Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts wird in Kürze erwartet. Derweil geht die Landesregierung von Mecklenburg-Vorpommern deutlich auf Distanz. Das sei alles der Wunsch des Bundes gewesen, heißt es hier. Aber das zentrale Argument sei entfallen für das Terminal: eine akute Gasmangellage, drohende Engpässe im Winter. Stattdessen sind die Speicher gut gefüllt, zu gut 77 Prozent.
"Wir sind hier, wenn man so will, nur Dienstleister und haben uns an die Gesetze zu halten", sagte Umweltminister Till Backhaus (SPD) kürzlich dem NDR. Das werde alles rechtsstaatlich sauber geprüft. Aber: "Wir haben von Anfang an gesagt, dass Mecklenburg-Vorpommern dieses Projekt so nicht unterstützt, weil wir Zweifel haben an der Gasmangellage." Die Grünen im Landtag verlangen, die Behörden müssten ihre Entscheidungen revidieren. Diese seien "offenkundig falsch", sagt Hannes Damm, ihr energiepolitischer Sprecher.
Im Namen des Kanzlers kämpft dagegen der Ostbeauftragte Carsten Schneider (SPD) weiter für das Projekt, trotz voller Speicher: "Das Terminal wird uns helfen, die Versorgungssicherheit für Ostdeutschland und auch für Bayern und Tschechien zu schaffen", sagt er.
Befürworter argumentieren, mit seiner Lage in Ostdeutschland sei das Terminal besonders wichtig - etwa dann, wenn kein Gas mehr durch die Ukraine Richtung Tschechien und Ungarn strömt. Auch das Wirtschaftsministerium rechnet weiter mit der Inbetriebnahme in diesem Winter. Die Wiederherstellung des Meeresbodens könne schließlich auch bis nach der Laichzeit warten.
Das Terminal selbst könnte noch in diesem Winter den Betrieb aufnehmen
Doch auf Rügen ist die Stimmung gereizt. Bei Bürgerdialogen wurde deutlich, dass auf der Insel viele den Eindruck haben, Berlin entscheide über die Köpfe der Menschen vor Ort hinweg.
Nicht alle sehen es hier wie der Binzer Bürgermeister: So kämpft etwa sein Sassnitzer Amtskollege Leon Kräusche für das Projekt - Mukran gehört zu seiner Stadt; es locken auch hohe Steuereinnahmen. Aber eine schriftliche Anfrage, ob er weiter zu dem Projekt stehe und er die genauen Vorteile beziffern könne, könne er "aufgrund des vollen Terminkalenders" nicht zeitnah beantworten, teilt sein Büro mit.
Das Unternehmen Deutsche Regas muss nun etwas umdisponieren. Eines der beiden schwimmenden Terminals, die Neptune, die bisher in Lubmin liegt, sollte nach Mukran verlegt werden. Nun bleibt sie zunächst, wo sie ist und soll "im Laufe des Frühjahrs" für den Betrieb auf Rügen umgerüstet werden.
Das Unternehmen hat zwar ein zweites Terminalschiff gechartert, die Transgas Power. Doch die ist erst einmal als LNG-Tanker unterwegs, derzeit im Nordatlantik. "Die zwischenzeitliche Nutzung als LNG-Tanker erfolgte ad interim bis zur Fertigstellung des Terminals", betont die Deutsche Regas. Trotz allem bleibt man hier optimistisch: Das Terminal werde seinen "Betrieb im Rahmen einer entsprechenden Genehmigung wie geplant noch in diesem Winter aufnehmen", heißt es hier. Vorausgesetzt natürlich, die Gasleitung zum Festland tut das auch.