Steuern und Abgaben:Lindner fordert Zeitenwende in Wirtschafts- und Finanzpolitik

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Im Denkprozess vor dem Dreikönigstreffen der FDP: Bundesfinanzminister Christian Lindner. (Foto: Emmanuele Contini/IMAGO)

Das Bundesfinanzministerium arbeitet an einer Strategie, die Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit steigern soll. Einige Vorschläge wurden nun bekannt - sie dürften heftige Diskussionen in der Ampelregierung auslösen.

Von Henrike Roßbach, Berlin

Christian Lindner ist seit neun Jahren Parteivorsitzender der FDP, weshalb er seit ebendiesen neun Jahren zwischen Weihnachten und Neujahr stets aufs Neue damit beschäftigt ist, sich Gedanken zu machen - über seine Rede auf dem Dreikönigstreffen seiner Partei. Doch während das Ergebnis dieses Denkprozesses erst am 6. Januar der Öffentlichkeit präsentiert werden wird, sind andere Überlegungen Lindners schon jetzt bekannt geworden.

In seiner Funktion als Bundesfinanzminister nämlich hat Lindner sein Haus schon im November mit einer "Sammlung von Maßnahmenvorschlägen" für ein "Wachstumspaket 2023/2024" beauftragt. Nun sind die ersten Grundlinien fertig, "als Diskussionsvorschlag zur internen Meinungsbildung", wie es im entsprechenden internen Ministeriumspapier vom 22. Dezember heißt, über das die Frankfurter Allgemeine Zeitung berichtet hat. Auf die "Zeitenwende" in der Sicherheits-, Außen- und Energiepolitik müsse "die Zeitenwende in der Wirtschafts- und Finanzpolitik folgen", so die Forderung. Es ist Lindners zweiter Aufschlag dieser Art: Schon im Mai hatte er angesichts von Wachstumsschwäche und Inflation eine neue finanzpolitische Strategie vorgestellt, die den Titel "Finanzpolitik in der Zeitenwende" trug.

Nun bewerten die Fachebenen des Finanzministeriums auf fünf Seiten zunächst die makroökonomische Ausgangslage, um dann Vorschläge für die Steuerpolitik, den Arbeitsmarkt sowie die Handels-, Energie- und Finanzpolitik zu machen. Im Zentrum steht die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands angesichts dauerhaft höherer Energiepreise, Fachkräftemangel und Modernisierungsdefizite. Und auch wenn das Papier nur die erste Skizze ist: Schon jetzt finden sich Punkte darin, die für Diskussionen innerhalb der Ampelregierung sorgen dürften.

Der Streit um den Soli geht weiter

An allererster Stelle wäre da die Feststellung, dass die Steuerbelastung für Unternehmen in Deutschland international "zu den höchsten" gehöre und deshalb im Laufe der kommenden Jahre reduziert werden müsse. In Betracht komme dafür "eine generelle Reduzierung des Tarifs bei Einkommen- und Körperschaftsteuer" oder alternativ "der Entfall der Ergänzungsabgabe", also des Solidaritätszuschlags.

Seit 2021 ist der Solidaritätsbeitrag für 90 Prozent derjenigen, die ihn zuvor auf ihre Lohn- und Einkommensteuer zahlen mussten, abgeschafft; die obersten zehn Prozent zahlen ihn weiterhin - und alle Unternehmen, die körperschaftsteuerpflichtig sind. Allerdings beträgt der Körperschaftsteuersatz, auf den der Soli erhoben wird, nur 15 Prozent, der sogenannte Reichensteuersatz in der Einkommensteuer dagegen 45 Prozent.

Die komplette Abschaffung des Soli ist eine alte Forderung der FDP. Allerdings konnten sich die Liberalen damit in den Koalitionsverhandlungen nicht durchsetzen. Auch jetzt meldeten sich schnell die ersten Kritiker: "Der Finanzminister hat die Feiertage offensichtlich genutzt, um in alten FDP-Wahlkampf-Kisten zu kramen", sagte Grünen-Fraktionsvize Andreas Audretsch der Süddeutschen Zeitung. Der altbekannte Vorschlag aber hätte besser in der Kiste im Keller bleiben sollen, "Steuersenkungen für die Reichsten führen nicht zu wirtschaftlicher Dynamik".

Zurück zum steuerpolitischen Markenkern der FDP

Dass sich in Sachen Soli in dieser Legislaturperiode noch etwas tut, ist aktuell nahezu ausgeschlossen (außer das Verfassungsgericht erklärt den Rest-Soli für verfassungswidrig). Der Vorstoß aus dem Finanzministerium zeigt aber, dass Lindner den steuerpolitischen Markenkern seiner Partei offenbar stärker herausstellen will. Wörtlich heißt es in dem BMF-Papier, das Ressort müsse weiter Stellung beziehen gegen Steuererhöhungen - als "steuerpolitische Brandmauer".

An anderer Stelle dagegen ist das Finanzressort weniger interessiert an Grenzziehung: Die Passage zur Energiepolitik betrifft klar die Zuständigkeit von Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) - und zwar mit Vorschlägen, die diesem kaum gefallen dürften. So heißt es, die Kernenergie könne unverändert "einen wichtigen Beitrag zur Versorgungssicherheit" leisten, weshalb das BMF "fachlich" den Weiterbetrieb der verbliebenen Atomkraftwerke über April 2023 hinaus befürworte. Zudem solle geprüft werden, die geplante Erhöhung des CO2-Preises auch 2024 noch einmal auszusetzen - und das Fracking-Verbot solle entfallen.

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Die erste Reaktion des Wirtschaftsministeriums fiel entsprechend zurückhaltend aus. Sobald das Konzept vorliege, sagte eine Sprecherin, werde man es sich gern anschauen und dazu verhalten. Im Übrigen werde die Regierung im Jahreswirtschaftsbericht zur wirtschaftspolitischen Entwicklung Stellung nehmen. Aktuelle Zahlen zeigten zudem, dass sich 2022 sogar etwas mehr ausländische Firmen in Deutschland angesiedelt hätten als im Jahr zuvor. Der Subtext: So schlimm kann es nicht stehen um die Wettbewerbsfähigkeit. Audretsch betonte mit Blick auf den Fracking-Vorstoß: "Auch das braucht niemand." Nur erneuerbare Energien garantierten günstige und saubere Energie für die Wirtschaft der Zukunft. Notwendig sei außerdem "eine große Modernisierung des Sozialstaates". Doch ausgerechnet zum nächsten sozialpolitischen Großprojekt der Ampel meldet sich das Finanzministerium nun ebenfalls kritisch zu Wort: Bei der Ausgestaltung der Kindergrundsicherung bestehe "die erhebliche Gefahr, dass aus guten Motiven die Arbeitsanreize für Geringqualifizierte beeinträchtigt werden".

In dem Papier werden jenseits dieser Punkte auch noch neue Freihandelsabkommen gefordert, ein "Steuerbürokratieentlastungsgesetz" und eine "Superabschreibung" als Prämie für Investitionen in Klimaschutz und Digitalisierung. Immerhin: Letzteres hat laut der Sprecherin des Wirtschaftsministeriums auch Habeck schon "als wichtiges Instrument" eingeordnet.

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