Das Politische Buch:Anklage gegen den agro-industriellen Komplex

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Notruf mit Traktoren: Schweizer Bauern bilden im Februar ein SOS-Zeichen. Auch der Autor ruft SOS - aber aus ganz anderen Gründen. (Foto: Gian Ehrenzeller/dpa)

Bartholomäus Grill, bayerischer Bauernbub und langjähriger Afrika-Korrespondent, wirft den Landwirtschaftskonzernen vor, die Lebensgrundlagen der Menschheit zu zerstören.

Rezension von Thomas Hummel

Als der aktuelle Bauernaufstand begann, da hatte Bartholomäus Grill sein Buch schon geschrieben. Und trotzdem steht drin, was er darüber denkt: "Ich bin jedes Mal hin und her gerissen, wenn Europas Landwirte auf die Barrikaden gehen", schreibt er, "einerseits verstehe ich ihre wirtschaftlichen Nöte, andererseits erzürnt mich ihre dumpfe Uneinsichtigkeit."

Bartholomäus Grill, geboren 1954 im oberbayerischen Oberaudorf am Inn, vier Jahrzehnte lang Korrespondent für die Zeit und den Spiegel in Afrika, hat sein Wissen und seine Beobachtungen zusammengetragen über die deutsche und weltweite Landwirtschaft. Sein Buch trägt einen Titel, der keine Zwischentöne zulässt: "Bauernsterben: Wie die globale Agrarindustrie unsere Lebensgrundlagen zerstört". Es ist eine 226 Seiten lange Abrechnung, eine Anklage gegen die moderne Landwirtschaft und ihre dahinter liegenden politischen und wirtschaftlichen Interessen. Aus Grills Worten sprechen Wut und eine Warnung an die Gesellschaft.

"Krieg gegen die Natur - und gegen uns selbst."

Für ihn ist die moderne Landwirtschaft eine der "destruktivsten Kräfte, die die Menschheit je entfesselt hat". Im Zentrum stehe die Plünderung der begrenzten biologischen Ressourcen und die flächendeckende Zerstörung der Umwelt durch den weltumspannenden agro-industriellen Komplex, der so mächtig geworden sei wie der militärisch-industrielle Komplex. Dieser Agrarkomplex führe einen "Krieg gegen die Natur - und gegen uns selbst". Gelenkt werde er von internationalen Chemie-, Pharma- und Saatkornkonzernen. Landwirtschaftspolitiker und Bauernverbände lieferten die Propaganda dazu. Die konventionellen Landwirte seien nur das Heer der Fußsoldaten, die mit ihren Traktoren Autobahnen und Innenstädte blockieren oder unliebsame Politikerinnen bedrohen. Streichung der Steuererleichterung beim Agrardiesel? Schutz der Umwelt, der Tiere, des Wassers? Dann gibt's Rabatz!

Aufstand wegen Agrardiesel: Die große Wut der Bauern mit ihren Demos gegen die Ampelregierung und die Subventionskürzungen haben viele Beobachter überrascht. (Foto: Monika Skolimowska/dpa)

Es ist eine harsche Kritik, die Bartholomäus Grill verfasst hat. Er wiederholt dabei, was viele Agrarwissenschaftler, Wasserversorger, Biologen und natürlich Klima- und Naturschützer seit Jahren sagen. Dabei haben sich Fronten gebildet: zwischen Land und Stadt, zwischen Lebensmittelproduzenten und -konsumenten, zwischen denen auf den Feldern und denen in ihren Büros. Genau hier hat Bartholomäus Grill einen Vorteil. Er ist einerseits der "Presseheini aus der Großstadt", mit dem viele Landwirte nicht einmal reden wollen, wie er selbst beschreibt. Andererseits ist er aufgewachsen auf den Bauernhöfen seiner Großeltern und Eltern.

Gier, Geiz und Profitmacherei

Somit kann er den Strukturwandel in der Landwirtschaft fein nachzeichnen. Seine Kindheit beschreibt Grill als "versunkene Welt", in der das Gefühl der Zusammengehörigkeit auf dem Land stärker war. Gier, Geiz und Profitmacherei seien verpönt gewesen. Die Großeltern auf dem Bergbauernhof und deren Vorfahren hätten nachhaltig gewirtschaftet, Ressourcen geschont. Auch sein Vater beherzigte die Regeln noch. "Dann brach der Fortschritt auf die Bauern herein", schreibt Grill.

Alles immer größer - die Felder, die Mähdrescher, die Profite. Und die kleinen Bauern haben das Nachsehen und geben auf. (Foto: Volker Lannert/dpa)

Es wurde damals "grüne Revolution" genannt, ein Ausdruck, der in konservativen und rechten Parteizirkeln heute unter Strafandrohung verboten ist. In den 1960er-Jahren hieß das: Chemie auf die Äcker, Pestizide, Kunstdünger. Dazu Aufzuchtbeschleuniger für die Tiere. Regeln der Natur? War von gestern. Jetzt lieber Wachstum, Wachstum, Wachstum.

Bartholomäus Grill: Bauernsterben. Wie die globale Agrarindustrie unsere Lebensgrundlagen zerstört. Siedler-Verlag, München 2023. 240 Seiten, 24 Euro. E-Book: 19,99 Euro. (Foto: Siedler)

Grill beschreibt die Folgen: mehr Erträge mit weniger Mitarbeitern. Nötige Investitionen in Geräte, Ställe, Dünger. Verschuldung vieler Bauern. Sterben der Höfe. Und das über Jahrzehnte, egal, wer gerade regierte. Ende der 1950er-Jahre gab es in Westdeutschland fast 1,4 Millionen landwirtschaftliche Betriebe, im Jahr 2023 in Gesamtdeutschland noch 255 000. Weil die Großbetriebe immer billiger produzierten, konnten die kleinen nicht mithalten. Und weil ein Großteil der EU-Subventionen (bis heute) pro Liter Milch oder pro Hektar Land ausbezahlt wurden und werden, profitieren immer weiter die großen.

Landwirte, entkoppelt von der Natur?

Ein Phänomen, das nicht nur auf Oberbayern, Deutschland oder Europa beschränkt ist. Sondern sich über die ganze Welt ausgebreitet hat. Grill berichtet aus Brasilien, den USA, von den Philippinen und vor allem aus Afrika. Lokale Eliten vertreiben indigene Völker, roden Wälder, um an Land zu kommen. Kleinbauern ackern am Rande der Existenz, der Klimawandel setzt ihnen zusätzlich zu, auch wenn einige von Grills Protagonisten davon noch nie was gehört haben. Agrarkonzerne bieten genverändertes Saatgut und gleich das dazu passende Pestizid an. Die Landwirtschaft degradiere Böden, verseuche Wasser, quäle Tiere, habe sich von Natur entkoppelt, schreibt Grill. Er wirft ihr "Beihilfe zum Ökozid" vor.

Die entscheidende Frage stellt er im vorletzten Kapitel: "Was tun?" Es gebe viele Ideen, viele Pläne, viele Lösungen. Grill plädiert für eine agrarökologische Wende, eine neue grüne Revolution. "Die Politik muss sich vom Primat der Wirtschaft befreien und wir alle werden radikal umdenken und unser Verhalten ändern müssen." Es ist ein drastischer Appell eines Weitgereisten. Und Grill selbst weiß: Da schwingt "eine Menge Hilflosigkeit" mit.

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