Streit um Kindergrundsicherung:Diakonie und Ökonomen stärken Familienministerin Paus

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Im Zentrum des neuesten Ampel-Streits: Bundesfamilienministerin Lisa Paus, hier bei einem Besuch einer Kita in Offenbach in dieser Woche. (Foto: Janine Schmitz/Imago)

Zwei Milliarden Euro mehr für arme Familien - darauf beharrt Finanzminister Lindner. Reicht niemals, um Kinderarmut wirksam zu bekämpfen, rechnet eine Studie nun vor. Und Paus freut sich.

Von Robert Laubach und Carim Soliman, Berlin

Im Ampel-Streit um die Kindergrundsicherung bekommt Familienministerin Lisa Paus Rückendeckung von der Diakonie und Ökonomen. Am Freitagvormittag stellten der Sozialverband und das Beratungsunternehmen DIW Econ, ein Tochterunternehmen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), eine Studie zu den Kosten von Kinderarmut vor. Mit ihrem Ergebnis gehen sie sogar noch weiter als das Familienministerium, das jüngsten Äußerungen von Paus zufolge zwei bis sieben Milliarden Euro jährlich für die Kindergrundsicherung veranschlagt. Es brauche aber 20 Milliarden Euro, um die Armut wirksam zu bekämpfen, sagt nun Diakonie-Chef Ulrich Lilie. "Wir wollen endlich dazu beitragen, zur Sachdebatte zurückzukehren", sagte Lilie. Angesichts des anhaltenden Konflikts zwischen der Grünen Paus und FDP-Finanzminister Christian Lindner erscheint das schwierig.

Dafür wollen die Autoren der Studie zunächst die volkswirtschaftlichen Kosten von Kinderarmut zeigen - und rechnen dagegen die Wirkung von höheren Sozialleistungen. Laut Statistischem Bundesamt war 2022 knapp ein Viertel aller Kinder und Jugendlichen von Armut oder sozialer Ausgrenzung betroffen. Damit gingen oft schlechtere Bildungschancen und höhere Krankheitsrisiken einher. Das koste die Gesellschaft mehr als 100 Milliarden Euro pro Jahr. "Wir nehmen lieber die enormen Folgekosten in Kauf", kritisierte Diakonie-Chef Lilie.

Die Familienministerin nahm diese Vorlage dankend an. Noch am Nachmittag beraumte Paus kurzfristig eine Pressekonferenz an. Die Studie verdeutliche erneut, dass die Kindergrundsicherung nicht nur "eine Investition in die Zukunft unserer Kinder" sei, sondern auch "in unseren Wohlstand". Ihr Vorhaben genieße deshalb über Fachkreise hinaus breite Unterstützung. "60 Prozent der Bevölkerung und 75 Prozent der Eltern mit minderjährigen Kindern befürworten die Einführung einer Kindergrundsicherung." Und auch der Kanzler stehe hinter den Inhalten des Gesetzesentwurfs, den ihr Haus erstellt hat.

Der Wirbel um den neuesten Ampel-Streit? Kein Kommentar von Paus

Konkret könne sie auf diese Inhalte aber nicht eingehen, entschuldigte sich Paus, da diese "regierungsintern verhandelt werden". Stattdessen hob sie die hervorragende Arbeit aller am Entwurf beteiligten hervor. Der Vorwurf, für die Kindergrundsicherung gebe es kein Konzept, stelle diese Mühen für "das wichtigste sozialpolitische Projekt dieser Regierung" in Abrede.

Auch auf den Unmut, den ihr erneutes Vorpreschen in der Sache am Mittwoch ausgelöst hatte, ging Paus kaum ein. Durch ihr Veto hatte sie den Beschluss eines Gesetzesentwurfs des Finanzministeriums während einer Kabinettssitzung verhindert. Mutmaßlich, um den Druck auf den Hausherren Christian Lindner (FDP) zu erhöhen, im Haushaltsplan für das kommende Jahr mehr Mittel für die Kindergrundsicherung bereit zu stellen. Nachfragen waren bei ihrem Auftritt am Freitag nicht erlaubt.

Auch DIW-Chef Marcel Fratzscher fordert mehr Geld für das Vorhaben des Familienministeriums. "Die Kindergrundsicherung ist ein sehr effektives Instrument", sagte der Ökonom. Aber das reiche nicht: "Es muss auch darum gehen, in Bildung, in bessere Kitas und bessere Ausbildungssysteme zu investieren." Die Kindergrundsicherung sei keine Alternative dazu, sondern schaffe erst die Voraussetzungen dafür, dass Kinder und Jugendliche Angebote in den Bereichen Bildung und Kultur überhaupt wahrnehmen könnten.

Es koste die Gesellschaft viel mehr, Armut nicht zu bekämpfen, sagt der DIW-Ökonom

Lindner betont in der Debatte die Kosten als ein Problem. Sein Ministerium hat für das erste Jahr der Kindergrundsicherung zwei Milliarden Euro eingeplant - für Paus das absolute Minimum. DIW-Ökonom Fratzscher forderte am Freitag, das Vorhaben als Investition zu sehen. Wenn man es schaffe, die Kinderarmut signifikant zu reduzieren, dann werde der volkswirtschaftliche Gewinn deutlich höher als die Kosten sein.

Würde man die Leistungen für Kinder in Haushalten mit niedrigem Einkommen um 100 Euro je Kind erhöhen, fiele die Armutsquote auf 15,5 Prozent, schreiben die Forscher. Allein diese Erhöhung koste allerdings bereits zwischen vier und fünf Milliarden Euro - mehr als doppelt so viel wie vom Finanzministerium vorgesehen. Dazu kämen noch die Kosten dafür, die bisherigen Leistungen zu vereinfachen und zu digitalisieren. "Die Frage ist, ob Sie die Kinderarmut nur teilweise reduzieren oder komplett reduzieren wollen", sagte Fratzscher. Auf 20 Milliarden Euro Gesamtsumme käme man, wenn man Letzteres wollte.

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Laut den Zahlen der Diakonie sind knapp drei Millionen Kinder in Deutschland von relativer Armut betroffen. Als arm gilt, wer weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens zu Verfügung hat. Damit steht Deutschland im europäischen Vergleich auf den hinteren Plätzen. In zwei Drittel der EU-Staaten sind prozentual weniger Kinder arm. Besonders häufig betroffen sind Kinder von Alleinerziehenden. Die Eltern müssen häufig auch dann Leistungen wie Bürgergeld beziehen, wenn sie erwerbstätig sind.

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