Luigi Di Maio ist oft belächelt worden, nicht ganz unverdient. Dem jungen italienischen Außenminister von den Cinque Stelle, 35 Jahre alt, sind in seiner erstaunlichen Karriere schon viele Fauxpas unterlaufen, einmal verortete er Chile nach Venezuela. Es hieß dann jeweils: Kein Wunder, bei der Protestbewegung schaffen es Leute aus dem Nichts dank ein paar Clicks auf einer Internetplattform direkt in höchste Verantwortungspositionen. Di Maio arbeitete früher als Platzanweiser im Fußballstadion von Neapel. Man verhöhnte ihn als "bibitaro", als Getränkeverkäufer. Er konterte, er sei auf der Ehrentribüne eingesetzt worden, bei den VIPs. Das machte die Sache nicht besser.
Nun nimmt man ihn plötzlich ein bisschen ernster. Das hat vor allem damit zu tun, dass er seit Kriegsbeginn in der Ukraine immer sehr deutliche Worte brauchte, um Russland und dessen Präsidenten Wladimir Putin zu verurteilen - ganz auf der Linie von Premier Mario Draghi. Manchmal ist er in seiner Wortwahl sogar noch einen Tick drastischer. Vergessen sind die Zeiten, da er Vertreter der Bürgerbewegung "Gilets jaunes" aus Frankreich in einem offiziellen Rahmen nach Rom einlud. Nun wirbt er für die Wiederwahl von Präsident Emmanuel Macron. Seine Nähe zu Peking? Eine verblassende Erinnerung. Aber der neue Di Maio gefällt nicht allen.
Italien:Krieg bei den Sternen
Die große Protestpartei Cinque Stelle implodiert. Ein Zivilgericht hat Statut und Spitze demontiert. Und im Innern befehdet man sich so sehr, dass am Ende vielleicht nur Sternenstaub übrig bleiben wird.
Vor ein paar Tagen erhielt er üble Verwünschungen, auch Todesdrohungen, weil er dreißig russische Diplomaten aus dem Land geworfen hat, von denen man annimmt, dass sie Spione sind. Das hatten davor auch viele andere Länder schon getan. Doch in Italien gab die Ausweisung Anlass zu reden. Die rechtspopulistische Lega, auch sie Regierungspartei, distanzierte sich vom Außenminister: "Die Geschichte lehrt uns, dass es Frieden nur mit Dialog und Diplomatie gibt, nicht mit dem Rauswurf von Diplomaten." Der Ton war gesetzt. Im Netz schrieb jemand: "Putin, schick mal einen rüber, der Di Maio tötet." Die Empörung war groß, alle Parteien und hohen Chargen der Republik versicherten Di Maio ihre Nähe.
Die Haltung zu Putin ist gerade konfus
Die Solidaritätsadressen verdecken aber die Konfusion nicht, die in der italienischen Öffentlichkeit gerade herrscht, wahrscheinlich ist sie in keinem Land Europas größer. Im Parlament und in den Fernsehstudios tummeln sich eine Menge höchstens halb geläuterter "Putiniani", Anhänger Putins also, dazu sogenannte "Äquidistanzierte", die weder Kiew noch Moskau nahestehen möchten, sowie Negationisten und Relativisten. Rechts wie ganz links. Sogar die Vereinigung der antifaschistischen Partisanen ist gespalten in ihrer Sicht auf den Krieg.
In der Sendung "Carta Bianca" auf Rai Tre tritt nun ständig Alessandro Orsini auf, ein Soziologieprofessor einer römischen Universität. Orsinis provokative Äußerungen fördern offenbar die Einschaltquote, darum laden sie ihn ein. Seine Thesen: Putin mag ja seine Fehler haben, aber die Nato ist auch nicht viel besser; Italien ist Sklave der USA und der Nato; Wolodimir Selenskij hat Putin halt viel zu lange herausgefordert, da muss er sich jetzt nicht wundern. Der Sender wollte Orsini schon fest anstellen: 2000 Euro pro Sendung. Doch wegen Protesten zog man den Vertrag wieder zurück. In den Talkshows begegnet man auch Intellektuellen, die bis gestern gegen das Covid-Zertifikat aufbegehrt hatten. Nun hinterfragen sie die Berichte aus der Ukraine, die Gräueltaten aus Butscha und Mariupol.
Italien:Am Tropf der Tyrannen
Früher Libyen, nun Russland: Italien hat sich bei seiner Energieversorgung politisch erpressbar gemacht. Nun sucht es verzweifelt nach neuen Quellen - und findet auf die Schnelle nur zweifelhafte.
Die Debatten zum Krieg ordnen auch die parteipolitische Landschaft neu. Verhandelt wird an der Falllinie zwischen denen, die finden, Italien sei transatlantisch und europäisch, basta!, und jenen Populisten, die trotz der jüngsten geopolitischen Entwicklungen noch immer mit alternativen Modellen liebäugeln. Diese Verschiebungen sind nicht unwesentlich, denn in Italien finden im Frühling 2023 Parlamentswahlen statt. Einige Parteien haben auch bereits in den Wahlkampfmodus umgeschaltet und setzen die Regierung der nationalen Einheit mit ihren taktischen Spielchen immer wieder auf die Probe. Klar, das hinderte sie nicht daran, im Parlament für die Sanktionen gegen Russland und für die Waffenlieferung in die Ukraine zu stimmen. Aber die Zwiste und Irritationen nehmen zu.
Conte ist ambivalent, Salvini verirrt sich - und Berlusconi schweigt
Bei den Fünf Sternen geht der Bruch quer durch die Partei: "Governisti" gegen "Movimentisti". Erstere regieren loyal mit. Letztere besinnen sich der protestierenden Urseele der Partei und stellen sich quer. Giuseppe Conte, der frühere Premier und neue "Capo politico" der Bewegung, misst sich dabei mit Di Maio, seinem Vorgänger an der Parteispitze, und mit Draghi, seinem Nachfolger als Regierungschef.
In beiden Rivalitäten spielen auch persönliche Animositäten eine Rolle. Neuerdings stemmt sich Conte gegen eine längst vereinbarte Aufstockung der Rüstungsausgaben auf zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Es gebe andere Prioritäten, sagte er, und das ist legitim. Was er nicht so gern sagt: In seiner Amtszeit als Premier, von Sommer 2018 bis Februar 2021, stiegen die Verteidigungsausgaben so stark wie nie - man wollte Donald Trump gefallen. Wo genau steht Conte? Man weiß es nicht.
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In Ambivalenz hüllt sich auch Matteo Salvini von der Lega. In der ersten Kriegsphase versuchte er sich als Pazifist. Er reiste nach Polen zu den ukrainischen Flüchtlingen, um die vielen Fotos vergessen zu machen, die ihn mit Putin-T-Shirts zeigen. Er war ein Putin-Hooligan, seine Lega hat sehr enge Verbindungen zu dessen Partei "Vereintes Russland". Doch die leicht durchschaubare Aktion in Polen war ein Fiasko, von dem er sich nur mühsam erholt. Für Wochen tauchte er ab. Auch zu den Bildern aus Butscha mochte er sich nicht äußern, obschon er sich sonst immer zu allem äußert. Erst als Di Maio die russischen Diplomaten auswies, war er wieder da. Den Namen Putin nennt Salvini aber nie.
Auch Silvio Berlusconi schwieg lange. Es heißt, er habe oft versucht, mit seinem Freund Putin zu telefonieren, doch der ging nie ran. Die beiden waren sich immer sehr nahe, auch privat. Putin lud Berlusconi in seine Datscha ein, Berlusconi beherbergte Putin in seiner Villa Certosa auf Sardinien. Berlusconi sagte einmal von Putin, der sei "ein Geschenk des Herrn". Nun nennt auch er den Namen seines Freundes nicht mehr. Auch das Wort Russland will ihm nicht über die Lippen kommen, wenn er allgemein über den "inakzeptablen Krieg" spricht.
Mögen sich Politiker anderer Länder auch rechtfertigen oder gar entschuldigen dafür, dass sie Putin falsch eingeschätzt haben: In Italien tun seine alten Freunde einfach so, als wäre nicht Putin das Problem, der Kriegstreiber, der Aggressor. Außer Luigi Di Maio aus Pomigliano d'Arco bei Neapel. Der emanzipiert sich gerade recht gekonnt von den Populisten.