Krieg in Nahost:USA drängen Israel zu Kurswechsel

Lesezeit: 3 min

Viele Palästinenser sind im Gazastreifen auf der Flucht. Sie können in den Lagern nur eingeschränkt mit Strom, Wasser und Lebensmitteln versorgt werden. (Foto: Mohammed Talatene/dpa)

In Tel Aviv will der amerikanische Verteidigungsminister Lloyd Austin Ministerpräsident Benjamin Netanjahu davon überzeugen, die intensive Bodenoffensive im Gazastreifen bald zu beenden.

Von Alexandra Föderl-Schmid, Tel Aviv

US-Verteidigungsminister Lloyd Austin hat nach eigenen Angaben bei seinem Besuch in Israel über einen Übergang zu weniger intensiven, "eher chirurgischen" Einsätzen gesprochen. In jedem Krieg gebe es Phasen, sagte Austin vor der Presse. Benötigt werde eine detaillierte, durchdachte Planung. Zudem sei die weitere Entwicklung des Gazastreifens ohne die Hamas Thema gewesen. Die radikalen Islamisten sollten nie wieder in der Lage sein, von dem Palästinenser-Gebiet aus Terror nach Israel hineinzutragen. Austin hatte am Montag in Tel Aviv Gespräche mit dem israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu und seinem Amtskollegen Joav Gallant geführt.

Der Minister versuchte bei seinem zweiten Besuch in Israel seit Kriegsausbruch, die israelische Führung davon zu überzeugen, eine Art Fahrplan für das weitere Vorgehen vorzulegen, hieß es aus Kreisen der US-Delegation. Die Israelis sollten davon überzeugt werden, dass die intensive Bodenoffensive und die Bombardierungen aus der Luft nicht mehr lange so weitergehen könnten. US-Präsident Joe Biden hatte vergangene Woche davor gewarnt, Israel würde durch "willkürliche Bombardierungen" die Unterstützung weiter Teile der Welt verlieren. Die WHO kritisierte am Montag Israel für die Angriffe auf ein Krankenhaus. Nach Angaben der israelischen Armee vom Montag wurden am Vortag 150 Ziele im Gazastreifen angegriffen.

Austin hat nach israelischen Angaben mehr humanitäre Hilfe für die palästinensische Zivilbevölkerung im Gazastreifen angemahnt. Es gehe darum, wie die USA Israel auf dem Weg zu "dauerhafter" Sicherheit am besten unterstützen könnten, wurde Austin am Montag vom Presseamt der israelischen Regierung zitiert. "Und das bedeutet, dass wir dringende Bedürfnisse angehen müssen und den fast zwei Millionen Vertriebenen in Gaza mehr humanitäre Hilfe zukommen lassen und diese Hilfe besser verteilen müssen."

Am Sonntag wurde der Grenzübergang Kerem Schalom geöffnet, damit mehr Hilfsgüter für die 2,3 Millionen Palästinenser in den Gazastreifen gelangen können. Bisher waren Lieferungen nur über den ägyptischen Übergang Rafah möglich. Damit werde eine Vereinbarung Israels mit den USA umgesetzt, teilte die zuständige israelische Behörde Cogat mit.

Alle Nachrichten im Überblick
:SZ am Morgen & Abend Newsletter

Alles, was Sie heute wissen müssen: Die wichtigsten Nachrichten des Tages, zusammengefasst und eingeordnet von der SZ-Redaktion. Hier kostenlos anmelden.

Die USA scheinen nun auch intensiver in Verhandlungen über eine mögliche weitere Vereinbarung zur Freilassung der noch in Gewalt der Hamas befindlichen Geiseln eingebunden zu sein. Laut israelischen Medienberichten war CIA-Chef William Burns dabei, als sich Mossad-Chef David Barnea und der katarische Ministerpräsident Mohammed al-Thani trafen - zum zweiten Mal binnen weniger Tage, diesmal soll die Zusammenkunft in Warschau stattgefunden haben. Auch Sicherheitskreise in Ägypten, das wie Katar als Vermittler auftritt, bestätigten Verhandlungen. Die Hamas verlangt laut israelischen Medienberichten diesmal als Bedingung den Rückzug des israelischen Militärs hinter von ihr festgelegte Linien, was Israel ablehnt. Ende November war eine einwöchige Feuerpause in Kraft getreten. In dieser Zeit kamen 105 Geiseln frei, im Gegenzug wurden 240 palästinensische Gefangene aus israelischen Gefängnissen entlassen. Laut israelischer Einschätzung sollen noch 112 Geiseln am Leben sein.

Der Vater einer jener Geiseln, die von israelischen Soldaten im Gazastreifen am Freitag irrtümlich erschossen wurden, erhebt schwere Vorwürfe gegen die Armee. "Gesetzlosigkeit" habe dazu geführt, dass sein Sohn erschossen worden sei, sagte Avi Shamriz in Interviews mit den israelischen TV-Sendern Channel 12 und 13. Die Tötung "war kein Fehler, es war eine Hinrichtung", sagte er. Die Hamas habe seinen Sohn entführt, die israelischen Streitkräfte hätten ihn ermordet. Avi Shamriz gab an, dass er die Handschrift seines Sohnes auf den Tüchern wiedererkannt habe.

Die drei Geiseln hatten ein weißes T-Shirt als Fahne verwendet und sich entkleidet

Die israelischen Streitkräfte hatten zuvor ein weiteres Detail zu dem tragischen Vorfall im Norden des Gazastreifens mitgeteilt: Auf Stoffresten hatten die drei Israelis mit Essensresten in hebräischer Sprache "SOS" und "Hilfe drei Geiseln" geschrieben. Die Hinweise waren rund 200 Meter von jenem Ort entfernt gefunden worden, an dem die Männer im Alter von 25, 26 und 28 Jahren erschossen worden waren. Sie hatten sich an ihre Landsleute gewandt, ein T-Shirt als weiße Fahne verwendet und sich entkleidet, um zu zeigen, dass sie keinen Sprengstoff oder Waffen am Körper trugen. Ob die drei Geiseln ihren Entführern entkommen konnten oder ob sie zurückgelassen wurden, ist weiter unklar. Die Führung der israelischen Armee erklärte noch vor Abschluss der Untersuchungen, hier seien Einsatzregeln verletzt worden.

Die israelische Armee prüft auch einen Vorfall auf einem Kirchengelände im Gazastreifen. In der katholischen Pfarrei der "Heiligen Familie" in Gaza-Stadt sind zwei Frauen, Mutter und Tochter, getötet und sieben weitere Menschen verletzt worden. Der Lateinische Patriarch von Jerusalem, Kardinal Pierbattista Pizzaballa, kritisierte, dass ein Scharfschütze "kaltblütig" und ohne Vorwarnung das Feuer eröffnet habe. In einer ersten Stellungnahme gab die Armee an, auf dem Gelände habe sich ein Raketenwerfer befunden.

Die israelische Armee veröffentlichte am Montag ein Bild mit einem Koffer voller Bargeld, den israelische Soldaten im Haus eines Hamas-Führers in Dschabalia gefunden haben sollen. Umgerechnet 1,3 Millionen Euro sollen sich darin befunden haben. Es wurden auch weitere Aufnahmen von dem mit vier Kilometern bislang längsten Tunnel veröffentlicht, der bisher im Gazastreifen entdeckt worden ist. Er soll so breit und hoch sein, dass ihn sogar Fahrzeuge passieren können.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusErinnerungskultur
:"Wir sehen jetzt, wie stark Antisemitismus weltweit verbreitet ist"

Dani Dayan, Vorsitzender der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem, zeigt sich besorgt über judenfeindliche Tendenzen an westlichen Universitäten. Er lobt Bundeskanzler Olaf Scholz und findet das Wahlergebnis in Bayern alarmierend.

Von Alexandra Föderl-Schmid

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: