Nazi-Ikone Blutschwester Pia:"Von allen Teufeln gehetzt"

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Eleonore Baur, bekannt unter dem Namen "Schwester Pia ", Mitglied von Hitlers Partei seit 1920. Sie beteiligte sich mit den "Alten Kämpfern" an dem Marsch zur Feldherrnhalle am 9. November 1923 und wurde als einzige Frau von Adolf Hitler mit dem Blutorden ausgezeichnet. (Foto: SZ Photo)

Als Adolf Hitler am 9. November 1923 in München putscht, ist Eleonore Baur an seiner Seite. Später lässt sie KZ-Häftlinge für sich schuften - und interessiert sich für Menschenversuche.

Hans Holzhaider

9. November 1923, kurz vor ein Uhr mittags: An der Münchner Feldherrnhalle endet der Putsch, mit dem Adolf Hitler und seine Gesinnungsgenossen zunächst die bayerische und dann die Berliner Regierung aus dem Amt jagen wollte, um selbst die Macht in Deutschland zu übernehmen.

An der Einmündung der Residenzstraße in den Odeonsplatz treffen die Putschisten - rund 2000 Mann, die Hitler und Hermann Göring eilends in München zusammengetrommelt haben, auf eine von rund hundert Landespolizisten gebildete Postenkette.

Hitler marschiert in erster Reihe, auf der einen Seite untergehakt bei Max-Erwin von Scheubner-Richter, auf der anderen bei seinem Leibwächter Graf. Daneben der Reichswehrgeneral Erich Ludendorff mit seinem Diener Kurt Neubauer und Hermann Göring, der die Schlägertrupps der SA befehligte. Aus den Reihen der Nazis fällt ein Schuss - wer ihn abgab, ist nicht bekannt; die Polizisten antworten mit einer Salve, Scheubner-Richter wird getroffen und reißt im Fallen Hitler mit zu Boden.

Der Schusswechsel dauert nur wenige Minuten, 14 Putschisten und vier junge Polizisten bleiben tot liegen, Hitler wird von seinen Anhängern in ein Auto gezerrt, er flieht zu seinem Freund Ernst Hanfstaengl nach Uffing am Staffelsee. Dort wird er zwei Tage später festgenommen.

Die Propaganda verkündete ein Heldenepos

Elf Jahre später, am 9. November 1934, stiftete Hitler für diejenigen, die am Novemberputsch teilgenommen hatten, einen eigenen Orden, das Ehrenzeichen des 9. November 1923, kurz "Blutorden" genannt. Einer der ersten Träger war eine Frau: Eleonore Baur, genannt "Schwester Pia".

Die Berliner illustrierte Nachtausgabe widmete der "unermüdlichen Kämpferin" am 31. Oktober 1934 eine ganze Seite - ein veritables Heldenepos. Wie sie "tapfer und ohne Ahnung, was geschehen sollte", den "Todesweg durch die Residenzstaße" mitmarschierte, "und als plötzlich die Kugeln pfeifend in die Mauern klatschten, als die Männer, die ihr zur Seite marschieren, zusammenbrechen, greift sie schnell und entschlossen die nächsten mit festen Armen und zieht sie aus dem Höllengeknatter, und sie brüllt mit ihrer verteufelt harten und tiefen Stimme die auseinanderstiebenden Truppen an..."

Bei der Überreichung des Ordens am 8. November 1934 im Münchner Bürgerbräukeller, an eben dem Ort, an dem elf Jahre zuvor der Putsch begonnen hatte, sei sie von Hitler gefragt worden, ob sie eine besonderen Wunsch habe, berichtete Eleonore Baur später. Sie habe darum gebeten, "dass ich mich um die in Dachau inhaftierten Häftlinge und deren Angehörige annehmen dürfe".

Putschversuch in München
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Ob sich das wirklich so zugetragen hat, wissen wir nicht; Tatsache ist aber, dass "Schwester Pia" von diesem Zeitpunkt an im Konzentrationslager ein- und ausgehen konnte, wie sie wollte, dass die Wache ihr Meldung zu erstatten hatte und die Gefangenen ebenso wie die SS-Dienstgrade sie grüßen mussten.

Nach dem Krieg musste sich Eleonore Baur wegen ihrer Rolle im Konzentrationslager in einem Spruchkammerverfahren verantworten. Aus den Angaben, die sie dort selbst gemacht hat, und aus den Aussagen von Gefangenen, die dort als Zeugen gehört wurden, ergibt sich ein schillerndes Bild - ein "Unmensch", "von allen Teufeln gehetzt", "zu allen Schandtaten fähig" war sie für die einen.

Andere dagegen nennen sie "unseren Engel in hoffnungslosen Stunden", und "eine selten edle und gütige Frau".

Eleonore Baur wurde am 7. September 1885 in Kirchdorf bei Bad Aibling geboren. "Meine Mutter", schildert sie in einer richterlichen Vernehmung am 10. Oktober 1949 im Arbeitslager Eichstätt, "ist kurz nach meiner Geburt gestorben. Mein Vater hat wieder geheiratet (...), ich war damals sechs oder sieben Jahre alt." Die Stiefmutter habe sie schlecht behandelt, "ich musste täglich um viertel nach vier Uhr aufstehen und in München an verschiedene Leute Milch austragen."

Sie habe sieben Jahre die Volksschule besucht, und habe noch am Tage ihrer Schulentlassung eine Stelle als Dienstmädchen bei einer Hebamme antreten müssen. 1905, also im Alter von 20 Jahren, sei sie mit einer befreundeten Krankenschwester nach Ägypten gefahren und dort in einem deutschen Krankenhaus als Krankenschwester ausgebildet worden.

Reise nach Ägypten

In der Spruchbegründung der Hauptspruchkammer München vom 26. August 1949 liest sich das so: "Schlechte häusliche Verhältnisse, mangelhafte Erziehung, keine Selbstzucht und ein übersteigertes Sexualempfinden brachten sie schon in ihrer frühesten Jugend mit der Polizei beziehungsweise Gesundheitsbehörde in Konflikt. Einen Beruf hat sie nicht erlernt, es entwickelte sich infolge ihrer Hemmungslosigkeit eine Art Abenteurernatur und 1905 reiste sie angeblich zur Pflege nach Ägypten."

Worauf sich die Aussage über das "gesteigerte Sexualempfinden" und die "Hemmungslosigkeit" stützen, geht aus den Spruchkammerakten nicht hervor; offensichtlich existierte ein inzwischen vernichteter Eintrag in den Polizeiakten über einen Vorfall, den Eleonore Baur im März 1949 gegenüber Ärzten der Münchner Universitätsnervenklinik, wo ein psychiatrisches Gutachten über sie angefertigt wurde, so darstellte:

"Nach einem Streit mit der Stiefmutter sei sie einmal aus dem Haus gelaufen und geradewegs auf die Theresienwiese. Dort sei ihr in der Dämmerung ein Mann begegnet, der sie auf den Boden geworfen und zu vergewaltigen versucht habe. Es sei bei diesem Vorfall nicht zu einem Verkehr gekommen und sie habe keineswegs, wie bei der Polizei behauptet worden sei, den Mann dazu animiert. Sie sei acht Tage in Polizeigewahrsam gewesen wegen angeblicher öffentlicher Unzucht. Noch heute (1949) fühle sie sich durch diese Ungerechtigkeit bedrückt."

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In dem gleichen Jahr, in dem Eleonore Baur nach Ägypten reiste, wurde sie Mutter eines Sohnes, den sie vor ihrer Abreise ihrer Stiefmutter in Pflege gab. (Der Vater war nach ihren eigenen Angaben ein Jurastudent, der 1938 tödlich verunglückte; der von ihrem späteren ersten Ehemann adoptierte Sohn, Wilhelm Baur, machte unter den Nazis Karriere; er wurde Leiter des Zentralverlags der NSDAP und Vizepräsident der Reichsschrifttumsskammer; er fiel in den letzten Kriegsstagen in Berlin.)

Eleonore Baur blieb etwa zwei Jahre in Ägypten, dann kehrte sie, weil sie "sehr viel Heimweh hatte", wieder nach München zurück. In der Folgezeit habe sie privat als Krankenschwester gearbeitet; von einer Vereinigung freier Schwestern, die den Namen "Gelbes Kreuz" trug, habe sie den Namen "Schwester Pia" verliehen bekommen.

1908 oder 1909 heiratete sie den Maschineningenieur Ludwig Baur; es habe sich um eine "reine Versorgungsheirat" gehandelt, die fünf oder sechs Jahre später wieder geschieden worden war - weder an das Jahr der Heirat noch an das der Scheidung konnte sie sich genau erinnern.

Von diesen spärlichen Daten abgesehen wissen wir über das Leben der Eleonore Baur bis zum Jahr 1919 fast nichts. In ihrer richterlichen Vernehmung gibt sie an, sie habe während des Ersten Weltkriegs in ihrer Münchner Wohnung Kranke gepflegt. Über politische Aktivitäten aus dieser Zeit ist nichts bekannt. Erst im Frühjahr 1919, in den wenigen Wochen der Räteherrschaft in München, wird deutlich, wo "Schwester Pia" politisch steht.

Vor Gericht wegen Aufreizung zum Klassenhass

In der Vernehmungsniederschrift heißt es: "Als es in München zwischen Regierungstruppen und den Spartakisten zu Straßenkämpfen kam, habe ich als Krankenschwester freiwillig an den Kämpfen teilgenommen, indem ich sofort eine improvisierte Rettungsstation errichtete und während der Kampftage dort den Verwundeten erste Hilfe zuteil werden ließ. Ich habe aus reinem Gefühl der Vaterlandsliebe gehandelt..."

1920 stand Eleonore Baur vor dem Volksgericht München, angeklagt der Aufreizung zum Klassenhass. Gegenstand der Verhandlung war ein Vorkommnis am 11. März 1920. Während einer Frauendemonstration an der Theresienwiese war es zu einer Konfrontation zwischen den Demonstrantinnen und der Polizei gekommen. Baur kam zufällig vorbei und rief den demonstrierenden Frauen zu, sie sollten nicht die Polizei beschimpfen, sondern sich an diejenigen halten, die an allem Unglück schuld seien, nämlich die Juden.

"Acht Pfund Weizenmehl und ein Pfund Zucker bekommen die Juden, und wir bekommen einen Dreck", rief sie, und weiter, die Leute sollten "sich etwas bei den Juden holen, die die Lebensmittel aufspeichern."

Das Gericht sprach Eleonore Baur frei. Die Angeklagte, befanden die Richter, habe "zwar in unverantwortlicher Weise gegen die Juden gehetzt", es sei ihr aber "ferngelegen, die Menge zur Begehung von Gewalttätigkeiten gegen die Juden und deren Eigentum aufzufordern."

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Drei Wochen vor dem Ereignis, das Eleonore Baur vor Gericht brachte, hatte Schwester Pia eine Bekanntschaft gemacht, die für ihren weiteren Lebensweg überaus bedeutsam werden sollte. Es war - an dieses Datum erinnerte sie sich genau - der 19. Februar 1920.

An diesem Tage (wir zitieren wieder die Vernehmungsniederschrift aus dem Jahr 1949) "fuhr ich in der Elektrischen (Anm: der Straßenbahn) in München. Da ich meine Station überfahren hatte, sollte ich nachzahlen. Zufällig hatte ich kein Geld bei mir. Einer der Fahrgäste, ein Zivilist, sah meine Verlegenheit und zahlte für mich. Es stellte sich dann heraus, dass dieser Gast Alois Drexler war, in dessen Begleitung sich Adolf Hitler befand. Durch diesen Vorfall kam ich in Berührung mit Hitler und dadurch mit der Bewegung."

Sie besuchte danach die Versammlungen im Sterneckerbräu und wurde bald Mitglied der Partei. Sie habe, gab sie in ihren Vernehmungen an, die Mitgliedsnummer 511 gehabt, "wobei ich allerdings darauf aufmerksam mache, dass wir mit der Nummer 500 angefangen haben".

In den folgenden drei Jahren ist Eleonore Baur überall zu finden, wo geschossen, gehauen und gestochen wird. "Mit vorgehaltenem Revolver", berichtet die Berliner illustrierte Nachtausgabe habe sie nach einem Sabotageakt gegen einen Lastwagen der SA in der Nähe von Erding die Aufnahme von Verwundeten in einer Gastwirtschaft durchgesetzt, bei Straßenkämpfen in Göppingen sei ihr "buchstäblich die Nase abgeschlagen" worden - all das hat sicher einen gewissen Wahrheitskern, bei den ausschmückenden Details ist wohl Vorsicht angebracht.

Gesichert ist, dass sie als Sanitäterin an den Kämpfen des Freikorps Oberland in Schlesien teilnahm und beim Sturm auf den Annaberg am 21. Mai 1921 am Oberschenkel verwundet wurde. Nach dem gescheiterten Putsch am 9. November 1923 hielt sie sich zehn Jahre lang von der Politik fern. Erst nach Hitlers Machtergreifung wird sie wieder aktiv.

1934 wurde Eleonore Baur von Heinrich Himmler als Fürsorgeschwester in der Reichsführung der SS angestellt. Auf welche Weise sie die Bekannschaft Himmlers gemacht hatte, ist nicht klar; sie rühmte sich jedenfalls später bei vielen Gelegenheiten ihrer guten Kontakte mit dem Reichsführer SS und nannte ihn "meine schwarze Perle". Himmler habe ihr zur Aufgabe gemacht, sich um kranke SS-Männer und deren Angehörige zu kümmern, sagte sie dem Untersuchungsrichter, so kam sie in das SS-Lazarett, das unmittelbar neben dem Konzentrationslager Dachau lag.

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Der am schwersten wiegende Vorwurf, der Eleonore Baur nach dem Krieg gemacht wurde, betraf ihre Anwesenheit bei den Unterkühlungsversuchen des Dr. Siegfried Rascher. Ihrer Intervention sei es zuzuschreiben, hieß es in dem Antrag der Staatsanwaltschaft auf gerichtliche Voruntersuchung, "dass die Häftlinge bei den Versuchen des Dr. Rascher entgegen dem Vorschlag des Professors Holzlöhner und Dr. Finke nicht narkotisiert wurden."

Diese Beschuldigung stützte sich im Wesentlichen auf eine Zeugenaussage des Häftlings und späteren Zivilangestellten im KZ Dachau, Walter Neff. Er sagte aus, er habe Eleonore Baur zweimal bei Raschers Versuchen gesehen. Beim ersten Mal - etwa im August 1942 - sei es zu einer Diskussion zwischen Rascher und seinen Gehilfen Dr. Finke und Dr. Holzlöhner gekommen, wobei Finke und Holzlöhner angeregt hätten, die Versuchspersonen, die mehrere Stunden lang unter qualvollen Schmerzen in drei bis sieben Grad kaltem Wasser lagen, durch eine leichte Narkose zu betäuben.

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Rascher habe dies abgelehnt. Schwester Pia habe sich in die Diskussion eingemischt und ebenfalls gefordert, auf eine Narkose zu verzichten, weil durch die Versuche schließlich deutschen Soldaten geholfen werden solle. Daraufhin habe Finke ihr erklärt, sie habe hier nichts zu suchen, worauf Pia auch tatsächlich weggegangen sei.

Bei dem zweiten Vorfall, etwa zwei bis drei Monate später, sei - ebenfalls der Aussage Neffs zufolge - Pia dazugekommen, als ein Häftling, der durch die Kälteeinwirkung schon bewusstlos war, durch die Körperwärme von zwei Frauen aufgewärmt werden sollte. Die beiden Frauen mussten sich nackt rechts und links neben den Gefangenen legen.

Rascher habe erreichen wollen, dass es zwischen dem Häftling und den Frauen zum Geschlechtsverkehr komme und habe Schwester Pia aufgefordert, den beiden Frauen entsprechend zuzureden. Daraufhin habe Eleonore Baur die Frauen aufgefordert, sie sollten "nicht so gschamig sein", es sei doch alles zum Nutzen der deutschen Soldaten. Neffs Aussage wurde, soweit sie die Diskussion über die Narkotisierung betrifft, von dem Zeugen Rudolf Punzengruber bestätigt.

Punzengruber, selbst Arzt und ehemaliger Häftling, gab zu Protokoll: "Meines Erachtens war sich die Frau über die Unmenschlichkeit dieser Forderung nicht im Klaren (...). Geistig ist diese Frau von einer minderen Erkenntnisfähigkeit."

Die 1. Strafkammer des Landgerichts München kam zu dem Ergebnis, dass "die Beweise für eine Beihilfe zu einem Verbrechen des Mordes, der Körperverletzung mit Todesfolge oder der gefährlichen Körperverletzung als ungenügend zu erachten" seien. Das Verfahren wurde eingestellt, die Kosten trug die Staatskasse.

Unabhängig davon aber wurde das Verfahren nach dem "Gesetz zur Befreiung vom Nationalsozialismus und Militarismus" gegen Eleonore Baur durchgeführt. Die Hauptspruchkammer München hörte 44 Zeugen.

Aus ihren Aussagen ergibt sich ein überaus zwiespältiges Bild von Eleonore Baur - eine Frau, die zwar keine Verbrechen im eigentlichen Sinn begangen hat, die aber rücksichtslos die Arbeitskraft von Häftlingen zu ihrem eigenen Vorteil ausgenutzt hat, die eine glühende Nationalsozialistin und wütende Antisemitin war, und die ihre Machtposition und ihre Beziehungen zu höchsten Parteibonzen dazu benutzt hat, Nachbarn und Bekannte in Angst und Schrecken zu versetzen.

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Andererseits ist unbestritten, dass "Schwester Pia" eine Reihe von Häftlingen, vor allem Pfarrern, geholfen, sich für ihre Freilassung eingesetzt und Angehörige mit Geld unterstützt hat. Welche Seite ihres Charakters zum Tragen kam, war offensichtlich abhängig von ihrer Tageslaune. "Launisch", "unberechenbar", "hysterisch" sind die Adjektive, die in den Aussagen über Eleonore Baur am häufigsten vorkommen.

Von den zahlreichen Besuchen, die Eleonore Baur dem Konzentrationslager abstattete, blieben den Gefangenen vor allem ihre ,,Weihnachtsbescherungen" in Erinnerung. Von 1934 ab kam Schwester Pia den Zeugenaussagen zufolge am Weihnachtstag ins Lager und verteilte an ausgewählte Häftlinge Päckchen mit Weihnachtsgebäck. Es waren aus verschiedenen Gründen keine reinen Wohltätigkeitsveranstaltungen für die Häftlinge.

Der Zeuge Karl Tanzmeier, der als SPD-Funktionär einer der ersten Häftlinge im KZ Dachau war, berichtet von der "Weihnachtsfeier" 1934: "An jenem Weihnachtstage war ich in der Strafkompanie beim Straßenbau gewesen. Es hieß: Die Pia kommt, wir würden beschenkt (...). Es war ungefähr nachmittags um 16 Uhr, als meine Kompanie in den Saal kam. Dort war eine große Anzahl von SS-Leuten und die Schwester Pia. Ich habe das von ihr angebotene Päckchen abgelehnt, ohne dass ich eigentlich einen anderen Grund hatte, als dass ich hierdurch eine politische Demonstration durchführen wollte. Die Schwester Pia hat mir wegen meiner Ablehnung eine Ohrfeige gegeben (...). Als die anwesenden SS-Leute dies sahen, wurde ich sofort aus dem Saal gezerrt und in den Bunker gebracht. Steinbrenner und Kantschuster schlugen mit einer Peitsche bzw. Ochsenziemer auf mich ein. Bei dieser Misshandlung verlor ich fünf Zähne des Oberkiefers (...). Anschließend wurde ich bis Anfang Januar in Dunkelhaft gehalten."

Krepieren und durch den Kamin

Hans Schwarz berichtete, dass bei der "Weihnachtsfeier" im Jahr 1938 in Anwesenheit der Schwester Pia zwölf Gefangene über den Bock gelegt und verprügelt wurden, während die anderen anwesenden Gefangenen Weihnachtslieder singen mussten.

Danach habe Pia eine Ansprache gehalten, ,,dass wir nur ja recht an unsere Heimat und an unseren Führer denken sollten und nicht vergessen, dass wir doch Deutsche wären". Währenddessen, so Schwarz, "wanderten unsere zwölf Kameraden 'zur Erhöhung ihrer Festfreude', wie sich Loritz (der Lagerkommandant) ausließ, in den berüchtigten Bunker, um dann nach Weihnachten wiederzukehren."

Hans Kaltenbacher erinnerte sich an das Jahr 1941: "Zur Weihnachtszeit wurde eine kleinere Zahl reichsdeutscher Häftlinge ausgewählt, um eine Weihnachtsbescherung von Schwester Pia zu empfangen. Ich gehörte zu diesen. In einem Saal hielt Schwester Pia eine Ansprache, die ich nie vergessen werde. Sie hat ausgeführt, dass wir deutschen Häftlinge doch mal die Freiheit wiedersehen würden und sie uns lieb hätte, aber die Juden, die im Lager seien, müssten krepieren, sie müssten durch den Kamin gehen.

Als ein Häftling (ein Kapo namens Knoll) zum Ausdruck brachte, dass er in seiner Eigenschaft als Blockältester schon 96 Juden kaputtgemacht hätte und dass ihm nur noch vier Juden bis zum Hundert fehlten, ist Pia zu ihm hingegangen, hat ihn geküsst und ihm ein zusätzliches Paket gegeben. Dieses Erlebnis war für uns ein so ungeheuerliches, dass wir nach dieser Feier dieses 'hochherzig gespendete Paket' dem nächstbesten Kameraden, den wir auf der Lagerstraße trafen, abgegeben haben, weil es uns ekelte, ein Geschenk zu haben von einer Person, die sich mit Mördern liierte..."

Andererseits gibt es eine Reihe ehemaliger Gefangener, die sich geradezu überschwänglich positiv über Schwester Pia äußerten. Die meisten derartigen Aussagen stammen von deutschen und österreichischen Geistlichen, die in Dachau inhaftiert waren. Der Jesuitenpater Otto Pies berichtet, Pia habe sich "ernstlich", wenn auch ohne Erfolg um seine Freilassung bemüht und ihm zweimal Lebensmittel gebracht. Pfarrer Josef Seitz sagte aus, Pia habe ihm einmal "einen Laib Vollkornbrot und zwei Stück Butter" gebracht und ihm damit "gleichsam das Leben gerettet".

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Besonders viel hielt sich Eleonore Baur auf ihre Aktion zugunsten des Pfarrers Johann Huber aus Landau an der Isar zugute. Dessen Schwester Therese Friedsperger hatte an Pia geschrieben und um Hilfe für ihren Bruder gebeten. Pia antwortete, sie wolle sich für Huber einsetzen, "weil er als Leutnant im Ersten Weltkrieg das Eiserne Kreuz bekommen und sich als Freikorpskämpfer für die 'Befreiung vom Spartakismus' eingesetzt habe."

Als Huber im September 1942 an einer schweren Sepsis erkrankte, verhandelte Pia telefonisch mit dem Reichssicherheitshauptamt und erreichte, dass Huber in ein Schwabinger Krankenhaus eingeliefert wurde, wo er jedoch kurz darauf starb. Die Schwester bezeugte, Pia habe sie mit ihrem Auto in Landau abgeholt und sich im Krankenhaus "wahrhaft mütterlich" um den Pfarrer Huber gekümmert.

Der österreichische Pfarrer Leopold Arthofer schreibt in seinem Buch "Als Priester im Konzentrationslager": "Was sie als blinde Anbeterin des Führers gesündigt hat (...), wissen wir nicht. Gerechterweise müssen wir anerkennen: Sie hat uns im Elend ein Herz gezeigt, in dem die frauliche Güte noch nicht erstorben war." Die von Arthofer weitgehend wörtlich überlieferte Rede, die Pia am 17. Dezember 1942 im Priesterblock des KZ hielt, sagt einiges aus über die grobschlächtige Naivität, mit der Pia den Häftlingen gegenübertrat.

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"Meine liabn Pfarrer", zitiert Arthofer, "mit euch hab i a Wörtl zum redn. Das wiss`ma ganz guat, dass ihr aufs Volk an Einfluss habts, und den Einfluss habts ihr missbraucht, drum seids ihr ja da. I bitt auch, meine liabn Pfarrer, i moans gut mit euch, seids gscheit und arbats mit uns. (...) Seids doch net so dumm, meine liabn Pfarrer, und gebts nach, dann werds ja alle wieder frei werdn, gelt, Redwitz?"

Der Lagerführer Redwitz, berichtet Arthofer, "sah schweigend auf den Boden und presste die Lippen zusammen". Der Berliner Pfarrer Christian Rieger erinnerte sich an eine ähnliche Rede Pias im Priesterblock, bei der sie sich freundlich über die deutschen Geistlichen geäußert, aber dann angefügt habe: "Die Polen können ruhig verrecken."

Dass Pia einen besonderen Hass gegen Polen und Russen hegte, ergibt sich auch aus der Zeugenaussage des Josef Paintmaier, der Pias Anwesenheit bei den Malariaexperimenten des Dr. Schilling bezeugt. Sie habe dort "mit perverser Neugier" zugeschaut, wie den russischen Häftlingen Schachteln mit Malariamücken an die Geschlechtsteile gehängt wurden und gesagt: "Warum legt man die Leute nicht gleich um."

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In einer ihrer zahlreichen Vernehmungen nach dem Krieg begründete Eleonore Baur ihren Hass auf die Polen damit, dass sie während ihres Einsatzes mit dem Freikorps Oberland in Schlesien viele Opfer von Greueltaten der polnischen Insurgenten gesehen habe.

Welche Motive auch immer Eleonore Baur bei ihren Besuchen im KZ Dachau leiteten - so uneigennützig, wie sie es nach dem Krieg glauben machen wollte, waren sie nicht. Fast vom ersten Tag an ließ sie sich Häftlinge zur Arbeit auf einem Grundstück in Oberhaching zuteilen, das sie 1923 mit ihrem zweiten Mann gekauft hatte.

Über dieses "Arbeitskommando Pia" gibt es eine Fülle von Zeugenaussagen, aus denen hervorgeht, dass die Häftlinge, die bei Pia arbeiten mussten, zwar im Großen und Ganzen nicht schlecht behandelt, vor allem wesentlich besser als im KZ verpflegt, aber je nach Laune von der Blutordensträgerin auch massiv schikaniert und gedemütigt wurden.

Am kompetentesten konnte der ehemalige Häftling Michael Gollackner über die Arbeitseinsätze bei Schwester Pia aussagen. Gollackner war vom Frühjahr 1938 bis etwa 1942 fast ständig im "Arbeitskommando Pia"; sein Bericht über die Verhältnisse dort wird durch eine Vielzahl anderer Aussagen bestätigt. "Arbeitsmäßig gesehen hat Pia uns Häftlinge schikaniert", berichtete Gollackner.

"Besonders wenn sie schlechter Laune war, hat sie uns und ebenfalls die SS-Bewachungsposten zur Arbeit angetrieben. Bis zur Dunkelheit wurden wir stetig beschäftigt. Auch sonntags sind wir zur Arbeit herangezogen worden." In besonders schlechter Erinnerung war Gollackner wie anderen Häftlingen die Reinigung der Abortgrube in Pias Garten, die etwa alle zwei Wochen vorgenommen werden musste.

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Gollackner berichtet: "Nur mit der Badehose bekleidet stieg ich durch die kleine Öffnung in die Grube. Die Kameraden ließen mir an einem Strick einen Eimer in die Grube, (den) ich mittels einer Konservenbüchse füllte. Nachher musse ich die Wände und den Boden der Grube mit Bürste, Wasser und Lappen so sauber waschen, dass alles wie neu zementiert aussah."

"Dies entsprang wohl", rechtfertigte sich Eleonore Baur in ihrer richterlichen Vernehmung, "meinem übergroßen Reinlichkeitsbedürfnis."

Wie ein roter Faden zieht sich durch viele Zeugenaussagen die Vermutung, Eleonore Baur habe sich Häftlinge nicht nur zur Arbeitsleistung, sondern auch aus sexuellen Motiven ins Haus geholt.

Der Reutlinger Stadtrat Fritz Wandel schreibt in seinem Buch: "Ein Weg durch die Hölle": "Wenn sie durch das Lager ging, geschah es häufig, dass die politischen Blocks beim Baden waren. Sie versäumte es dann nicht, das Bad zu betreten (...) Fand sie einen, der ihr gefiel, dann stellte sie seine Nummer fest, und am anderen Tag wurde er dem Kommando Schwester Pia zugeteilt. (...) Pia fütterte den Neuen gut, und wenn er willig war und ihren perversen Gelüsten Erleichterung schaffte, dann konnte es sein, dass er zwei Monate lang ihr Favorit war (...) Wehe dem, der sich ihr verweigerte; sie ließ ihn abführen, er wurde in Arrest gebracht und nicht wieder gesehen. Es gab manchen, der lieber sterben ging."

Widersprüchliche Berichte über sexuelle Übergriffe

Emil de Martini, ein Häftling in Auschwitz, berichtet, er habe einmal "an der Seite des Lagerkommandanten eine alte, hässliche Frau in Schwesterntracht durch das Lager gehen (sehen). (...) Ein Kamerad aus Dachau erzählte, dass dies die Schwester Pia sei (...) die im Lager Dachau ein eigenes Kommando, bestehend aus vier Mann, habe, allerdings nicht zur Arbeit, sondern als Bettgenossen (...). Wer sich weigerte, den ließ sie kaltblütig in den Bunker abführen."

Von allen ehemaligen Häftlingen, die in den Verfahren gegen Eleonore Baur ausgesagt haben, hat allerdings kein einziger aus eigener Kenntnis von sexuellen Kontakten mit Schwester Pia berichtet. Der ehemalige Häftling Josef Eckl, der von August 1942 bis August 1943 ständig im "Kommando Pia" war, sagte aus: "Dass sie mit Häftlingen Geschlechtsverkehr hatte ist ausgeschlossen. Sie war damals schon 59 Jahre alt."

Pias Chauffeur Rudolf Wirth hat in einer ausführlichen Aussage vor dem Untersuchungsrichter "ganz entschieden" bestritten, "dass die Beschuldigte sexuelle Ausschreitungen mit Häftlingen ihres Kommandos hatte. (...) Sowohl ich als auch die Köchin, die ebenso wie ich mit ihr wegen ihrer Launenhaftigkeit schwere Auftritte hatte und der Beschuldigten daher bestimmt nicht besonders gut gesinnt sind, können unter Berufung auf unseren Eid behaupten, dass während der Zeit unserer Beschäftigung nicht das Geringste vorgekommen ist, was nicht einwandfrei gewesen wäre in dieser Richtung."

Alle Häftlinge, die je zu Schwester Pia abkommandiert wurden, haben hervorgehoben, dass sie dort wesentlich besser als im KZ verpflegt wurden. Das fiel Pia nicht schwer, denn sie nahm alles, was sie an Verpflegung brauchte, aus dem Lager mit, und sehr wahrscheinlich noch einiges mehr.

Wahre Beutezüge habe Pia im KZ unternommen, sagte ein ehemaliger Häftling, nicht nur auf Lebensmittel, sondern auch auf alles, was sie beim Um- und Ausbau ihres Hauses brauchen konnte.

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Sie ließ sich von den Gefangenen ihr Holzhaus neu verschalen, eine Garage, ein Badehaus, einen Schuppen und einen Bunker bauen, alles natürlich ohne Bezahlung. Im Garten ließ sie sich Lampen installieren, die als "Siegeslampen" deklariert wurden und im Augenblick des Endsieges zum ersten Mal leuchten sollten.

Carolina Neulein, die ab 1940 als Wirtschafterin bei Pia angestellt war, hat berichtet, dass häufig SS-Führer bei Pia verkehrten, dass zweimal zu ihrem Geburtstag eine vollständige SS-Kapelle aufspielte und dass sie sich gern mit dem Spruch brüstete: "Es gibt nur einen Friedrich den Großen, es gibt nur einen Adolf Hitler und es gibt nur eine Schwester Pia."

Nachbarn haben berichtet, dass sie oft mit ihrer Macht drohte, jemanden nach Dachau zu bringen; eine Maria Hohenester, die so unvorsichtig war, vor einer Hitlerrede in Hörweite von Schwester Pia zu sagen: "Heute spricht der Massenmörder", denunzierte sie bei der Polizei; die Frau kam mit sieben Wochen Untersuchungshaft davon.

Eleonore Baur wurde am 5. Mai 1945 verhaftet und kurz darauf wieder freigelassen; am 12. Juni wurde sie vom amerikanischen CIC erneut festgenommen. Die Hauptspruchkammer München verurteilte Eleonore Baur am 26. August 1949 zur Einweisung in ein Arbeitslager auf die Dauer von zehn Jahren - das war die schärfste im Entnazifizierungsgesetz vorgesehene Sühnemaßnahme.

Auf ihre Berufung hin reduzierte die Berufungskammer am 20. Februar 1951 die Dauer der Arbeitslagerzeit auf acht Jahre. Der Spruch hatte nur noch theoretische Bedeutung; Eleonore Baur war schon am 23. Juni 1950 aus gesundheitlichen Gründen entlassen worden.

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Sieben Jahre später stellte sie beim Landratsamt München einen Antrag auf Kriegsgefangenenentschädigung; ob ihr diese gewährt wurde, ist aus den Akten nicht ersichtlich. Sie lebte weiter in dem Haus in Oberhaching, das mit der Arbeitskraft der KZ-Häftlinge ausgebaut worden war.

Zu ihrem 90. Geburtstag erschien in einer rechtsradikalen Zeitung ein Artikel, der mit den Sätzen endete: "Heute schaut sie in ihrem Heim in Oberhaching bei München auf ein gelebtes und bestandenes Leben zurück. Sie bereut nichts und würde es noch einmal tun."

Eleonore Baur starb am 18. Mai 1981, 95 Jahre alt. Im Münchner Merkur erschien eine Todesanzeige der "Kameradschaft Freikorps Oberland/Bund Oberland" mit dem Spruch "Ihre Ehre hieß Treue - Ihr Leben galt Deutschland" und dem Hinweis auf die von ihr erworbenen "Orden und Ehrenzeichen".

Der Original-Artikel von Hans Holzhaider über Eleonore Baur ist 1994 in den Dachauer Heften (10) erschienen.

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